Die Meisterdiebin Catwoman kommt nach 10 Jahren Knast als 50+-Altvordere in ein verändertes Gotham. Cliff Chiangs „Catwoman – Lonely City“ spricht die Reiferen unter den Fans des Batman-Kosmos an.
Was machen eigentlich Superhelden, wenn sie alt werden? Sie werden grantiger, kantiger, unberechenbarer. Das ist schon ein paar mal erzählt worden, sehr eindrucksvoll etwa in Frank Millers epochalem Batman-Epos „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ aus dem Jahr 1986. Aber was, muss man sich da auch fragen, machen Superschurken, wenn die Jahre sie einholen? Wenn die Knie nicht mehr wollen und die Bandscheiben schmerzen?
Die von Cliff Chiang geschriebene und gezeichnete Catwoman-Miniserie „Lonely City“, deren erste beide Hefte nun in einem Band auf Deutsch erschienen sind, gibt darauf eine bittersüße Antwort. Catwoman kommt hier nach zehn Jahren aus dem Gefängnis, sie ist in ihren Fünfzigern, und nicht nur Gotham hat sich verändert. Als sie wieder in ihr altes Kostüm schlüpft, nach einer Phase schmerzhaften Trainings, klappt im Ernstfall nichts mehr so wie früher. Die übermenschlich behände Katzenfrau ist nun Seniorenturnerin, Gotham aber ein von militärischer Hightech geschützter Mini-Polizeistaat. Keine gute Kombination für eine Regelbrecherin, die Großes vorhat.
Die Menschen hinterm Brimborium
Cliff Chiang ist bislang am bekanntesten als Zeichner von Brian K. Vaughns „Paper Girls“, der noch besseren Comic-Alternative zur Netflix-Serie „Stranger Things“. Aber er hat viel Erfahrung mit dem Superheldenkosmos von DC, er hat „Green Arrow/Black Canary“ und „Wonder Woman“ gezeichnet. Aber keine amerikanische Superheldenserie hat so faszinierende Neben- und Schurkenfiguren wie der Batman-Kosmos. Und Chiang begreift ganz genau, woran das liegt.
Weil Bruce Wayne alias Batman kein durch Chemikalien, Strahlenunfälle, Operationen oder sonstige Bauplanmodifizierer radikal veränderter Metamensch ist, sondern nur ein famos durchtrainierter Athlet mit viel Köpfchen und dem nötigen Milliardärseinkommen, um sich Sondertechnologie wie das Batmobil zu leisten, blieben auch seine bizarrsten Gegner im Menschlichen verankert. Egal, wie grotesk das Auftreten, die Kostümierung, die Waffen von Mr. Freeze, dem Pinguin oder der Vogelscheuche auch sein mögen, wir wissen, dass hinter all diesem Brimborium ein Mensch steckt, den es völlig aus der Bahn geworfen hat.
Auch Schurken sind Gefährten
Batman ist längst keine normale Serie mehr. Sein Gotham ist wie die Welt von „Star Wars“ ein alternativer Kosmos. Einer, der nicht nur Unterhaltung liefert, sondern Symbole, Ideen, Reflektionsräume und imaginäre Gefährten, die länger im eigenen Leben bleiben als manche reale Beziehung, Überzeugung und Loyalität. Auch wenn man eine Weile gar nicht verfolgt, was in den vielen verschiedenen Batman-Geschichtensträngen so alles passiert, bleiben die Figuren ja bei einem. Darauf baut Chiang in „Lonely City“ auf.
Catwoman, bürgerlich Selina Kyle, sei da natürlich ein einfacher Fall für die Leserinnenbindung, könnte man einwenden. Die Meisterdiebin war von Anfang an ein ambivalenter Fall, Schurkin zwar, aber eine mit moralischem Kompass, immer wieder Helferin im Kampf gegen Sadisten, Psychopathen und Schlächter – und seit langem schon offen eingestanden die große schwierige Liebe im Leben des Fledermausmanns.
Kein Gotham für Neulinge
Aber „Lonely City“ begnügt sich nicht damit, eine klare Sympathieträgerin mit nun eintretenden Altersbeschwerden in den Mittelpunkt zu stellen. Der mittlerweile ganz (hmm?) legale Geschäftemacher Pinguin alias Oswald Cobblepot tritt auf, dazu Eddie Nygma, einst bekannt als Riddler, der zum Killer Croc mutierte Waylon Jones, sowie einige andere. Manche sind komfortabel aufgestiegen, manche sind kaputte Altrabauken ohne Zukunft. Nicht sehr sympathisch wirkt der schizophrene Harvey Dent, immer noch entstellt als Two-Face, aber innerlich unter hart errungener Kontrolle. Er ist der autoritäre Bürgermeister von Gotham, ein gefährlicher Kontrollfreak und ziemlich zwielichtiger Profitmacher - aber doch jemand, der mit einem anderen Kerl in sich ringt, der noch viel schlimmer auftreten würde.
Wahrscheinlich ist „Lonely City“ kein guter Einstiegscomic für Leser, die Batmans Welt noch gar nicht kennen. Ein bisschen sollten einem die Figuren vertraut sein, um Chiangs Spiel mit ihren Persönlichkeiten, ihrem Images, ihren früheren Möglichkeiten genießen zu können. Vor allem funktioniert dann auch der Grundschock besser, denn dies ist ein Gotham mit Verlustbilanzen: Als Selina Kyle aus dem Gefängnis kommt, sind Batman, Nightwing, Robin und Batwoman längst tot, ausgelöscht in jenem finalen Komplott des Jokers, in dessen Verlauf Selina verhaftet wurde. Eine Rückblende wird später Näheres, aber längst nicht alles erzählen.
Keiner ist mehr sicher
„Lonely City“ erscheint in der Reihe Black Label von DC, gilt also als Geschichte aus einem Parallelkosmos, frei von allen Erzählzwängen und Rücksichtnahmen der traditionellen Hefte. Passieren kann also letztlich alles, keine(r) ist vor finalen Wendungen sicher. Der US-Verlag nennt als empfohlenes Lesealter auch 17+, einen Gütesiegel, das verspricht, es müsse nicht andauernd eine neue Megaklopperei für den kindlichen Geschmack inszeniert werden.
Es geht denn auch um Lebenserfahrung, um die Frage, ob sich eigentlich gelohnt hat, was man bislang alles gemacht hat – und ob man noch die Chance hat, was Vernünftigeres hinzubekommen. Im August soll im Original der vierte und letzte Band der Miniserie erscheinen, im Oktober auf Deutsch dann wieder Nummer 3 und 4 gebündelt. Schon jetzt aber scheint klar: Wenn man ältere Batman-Leser halten will, sollte man öfter mal von den heraufziehenden Dämmerjahren der Gotham-Belegschaft erzählen.
Cliff Chiang: Catwoman – Lonely City. Panini Comics. Aus dem Englischen von Carolin Hidalgo. 108 Seiten, 20 Euro.