London Shahs Dystopie „Water Rising“ spielt im Jahr 2099, die ganze Welt steht unter Wasser, auch die englische Hauptstadt. Foto: Cover/Loewe-Verlag

„Calypsos Irrfahrt“ und „Water Rising“ spielen auf und unter Wasser. Die Lektüre beider Bücher entführt in so bedrohliche Welten, dass jeder Leser froh sein wird, daheim im Trockenen zu sitzen.

Stuttgart - Die Osterferien stehen vor der Tür. Doch im zweiten Coronajahr bleibt Strandurlaub für viele ein Wunschtraum. Wer auch innerlich Abstand zwischen sich und das Meer bringen will, liegt mit diesen beiden Büchern richtig: Sowohl in „Calypsos Irrfahrt“ der Hamburger Autorin Cornelia Franz als auch in „Water Rising – Flucht in die Tiefe“ der britischen Autorin London Shah tritt das Meer nicht als Sehnsuchtsort auf, sondern birgt Gefahren und Bedrohung.

Dabei beginnen Oskars Ferien ganz gemütlich, fast zu gemütlich für einen Zehnjährigen. Mit seinen Eltern dümpelt er auf der Calypso, einem kleinen Segelboot, unter der heißen griechischen Sonne. Bis zu den Balearen will die Familie samt Hund über das Mittelmeer segeln. Noch vier Wochen auf diesem Schiff, winselte Oskar zu Beginn innerlich, danach könne man ihn gleich auf dem Friedhof ablegen.

Flüchtlinge an Bord

Dass er dort nach wider Erwarten doch noch aufregenden Ferien beinahe endet, hat mit den beiden Kinder zu tun, die Oskar und seine Eltern aus dem Meer retten. Nala und ihr kleiner Bruder Moh sind bei der Überfahrt von Afrika von einem Flüchtlingsboot gefallen. Mit ein paar Brocken Französisch kann sich Oskars Mutter mit ihnen verständigen. Doch die Hoffnung, die Geschwister auf Kreta in die Obhut irgendeiner zuständigen Behörde zu geben, zerschlägt sich.

Es beginnt eine Irrfahrt von einem Hafen zum nächsten, überall werden die Flüchtlinge mit Misstrauen begrüßt und dürfen nicht einmal von Bord. Cornelia Franz erzählt seemännisch versiert von einem besonderen Törn. Teilweise schwere See entspricht dem Sturm der Gefühle, dem die Kinder ausgesetzt sind. Angst macht nicht nur, was hinter den Flüchtlingen liegt, sondern auch, was auf sie zukommt. Die Welt der Erwachsenen, zeigt „Calypsos Irrfahrt“ anschaulich, ist mit den elternlosen Flüchtlingen überfordert. So nehmen die drei Kinder, die sich schnell anfreunden, ihr Schicksal selbst in die Hand. Das Happy End von „Calypsos Irrfahrt“ ist fast zu schön, um wahr zu sein. Trotzdem zeigt Cornelia Franz, auch in den Dialogen zwischen Nala und Moh, wie berührend jedes einzelne Flüchtlingsschicksal ist, wenn man es kennt.

Ängste in einer Welt unter Wasser

Leyla, die Heldin aus London Shas Debütroman, ist ebenfalls auf der Flucht – vor der Regierung Großbritanniens, die die 16-Jährige und ihren Vater zu Staatsfeinden Nummer eins erklärt. Im Jahr 2099 spielt „Water Rising – Flucht in die Tiefe“, die Klimakatastrophe und ein Asteroideneinschlag haben die Erde geflutet. Seither ist ein Leben an der Oberfläche unmöglich. Leyla ist in einer Unterwasserwelt zu Hause und macht als eine der besten U-Boot-Pilotinnen Londons auf sich aufmerksam. Doch auch der Gewinn des jährlichen Marathon-Rennens lässt ihren größten Wunsch unerfüllt: die Freilassung ihres Vaters, den die Regierung an einem geheimen Ort gefangen hält. Der Vorwurf: Der Wissenschaftler habe Kranken, die an einer Art Unterwasser-Depression leiden, zum Selbstmord verholfen.

Leyla bricht auf, um ihren Vater zu befreien. London Shah malt faszinierend und megaspannend eine Dystopie aus, in der die Menschen im Krieg mit optimierten, unterwassertauglichen Artgenossen sind. Dass sich Leyla in einen dieser Anthropoiden verliebt, lässt sie die offizielle Propaganda und ihre Folgen immer kritischer hinterfragen. Als sie entdeckt, dass die Regierung ihre Bürger mit Fake News und dem Schüren von Ängsten manipuliert, muss sie handeln. Nicht nur Leylas smarter Butler mit den klugen Oscar-Wilde-Sprüchen macht Lust auf den zweiten Band, der im Herbst erscheinen soll.

Info

Cornelia Franz: Calypsos Irrfahrt. Carlsen-Verlag. 144 Seiten. 12 Euro. Ab 10

London Shah: Water Rising – Flucht in die Tiefe. Loewe-Verlag. 464 Seiten. 18,95 Euro. Ab 14