Zwei Bücher warnen derzeit in sympathisch aufklärerischer Art davor, wie sich Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft breitmachen kann und dass Jugendliche Gefahr laufen können, sich davon verführen zu lassen. Foto: imago/Christian Ohde

Spannende Lektüre für junge Menschen zu einem brisanten Thema: Andreas Götz („Wir sind die Wahrheit“) und Martin Schäuble („Sein Reich“) erzählen vom manipulativen Wirken Rechtsextremer.

Stuttgart - Die Demos gegen Corona-Einschränkungen mögen irritierend sein, fallen aber unter das hohe Gut Meinungsfreiheit. Wenn allerdings wie in Berlin Ende August Rechtsextreme sie zum Anlass für Rabatz nehmen, wird plötzlich sichtbar, was sonst eher im Netz virulent ist. Es gibt eine zwar krude, aber nicht ungefährliche Mischung von Neonazis, Holocaust-Leugnern, Verschwörungstheoretikern und sogenannten Reichsbürgern, in deren Sog auch Jugendliche geraten können. Neuerscheinungen im Kinder- und Jugendbuchbereich reagieren auf dieses Thema. Wir stellen zwei Titel vor.

Noah lässt sich mit Neonazis ein

Der Autor Andreas Götz, bekannt geworden mit Thrillern für Jugendliche, beschäftigt sich in seinem neuen Roman „Wir sind die Wahrheit“ mit der Anziehungskraft von demokratiefeindlichen rechten Gruppierungen. Die Zwillinge Leah und Noah haben gerade ihr Abitur hinter sich gebracht. Da wird Noah, der sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, so brutal zusammengeschlagen, dass er ins Koma fällt und es unklar ist, ob er daraus wieder erwacht. Als der Polizei ein Video zugespielt wird, das zeigt, wie ihn dunkelhäutige Männer angreifen, versteht seine Familie gar nichts mehr. Gleichzeitig bekommt Leah über einen Account vom verschwundenen Handy des Bruders Schnipsel aus dessen Videotagebuch zugeschickt. Diese lassen keinen anderen Schluss zu, als dass sich Noah mit Neonazis eingelassen hat. Leah versucht verzweifelt zu verstehen, was passiert ist, und nimmt selbst Kontakt zu einer Gruppierung auf, mit der Noah heimlich verkehrte.

Es ist ein geschickter und Spannung erzeugender Kniff des Schriftstellers quasi zwei Geschichten parallel laufen zu lassen. Leah lernt einen sich intellektuell gebenden Trupp kennen, der sich vorwiegend im Diskutieren übt und angeblich nichts von Gewalt hält. Deren eloquenter Anführer Alexander, ein attraktiver, charismatisch wirkender Sohn reicher Eltern, fasziniert sie mehr, als ihr lieb ist, obwohl sie sein Gedankengut ablehnt. Parallel erfahren wir Leser mit ihr als Ich-Erzählerin immer mehr aus dem Videoblog von Noah. Es dauert etwas, bis sich Leah gegen die Verführung, die vor allem Alexander geschuldet ist, zu entscheiden vermag, nicht nur, weil sie die hohlen Phrasen erkennt. Und auch wenn alles letztendlich einigermaßen gut ausgeht, behält ihr entscheidender Widersacher in dieser beeindruckenden, wendungsreichen Geschichte recht: Sie hat sich trotz aller kritischen Überlegungen manipulieren lassen. Davon gibt es Bilder im Netz. Diese werden die Wahrheit, die sie schließlich herausfindet, vermutlich überlagern.

Ist Juris Vater ein übler Rechter?

Viel distanzierter gestaltet sich die Situation des Protagonisten in „Sein Reich“ von Martin Schäuble. Der 15-jährige Juri kann in den Sommerferien aus finanziellen Gründen nicht groß verreisen. Er beschließt, einen Überraschungsbesuch bei seinem Vater im Schwarzwald zu machen, der nie Kontakt zu ihm wollte. Er darf bleiben und lernt dessen seltsame Freunde kennen. Da gib es Achim, der mit Frau, Söhnen und Töchtern als Selbstversorger auf einem Hof im Wald lebt. Hier schuften die Mädchen brav im Haushalt, die Jungs hacken Holz und üben sich im Bogenschießen. Sein Vater schraubt so gerne wie er selbst an Modellflugzeugen herum, was Nähe erzeugen könnte, wenn er nicht krude Dinge erzählen würde, etwa dass die Kondensstreifen der Flugzeuge am Himmel giftige Chemikalien, „Chemtrails“, seien. Die Dorfjugendlichen, mit denen Juri am See chillt, halten seinen Vater für einen üblen Rechten. Juri sieht in ihm eher einen bedauernswerten Sektierer. Als ihm schließlich doch mulmig wird, ist es zu spät, wie schon der Prolog des Buchs nahelegt.

Martin Schäuble, 1978 in Lörrach geboren, hat mit einer Arbeit über den Dschihad promoviert und Sachbücher sowie Jugendromane über Extremisten verschiedener Art veröffentlicht. Hier erzählt er vom Phänomen der Reichsbürger, die den deutschen Staat zwar nicht anerkennen, seine Behörden und Gesetze weitgehend ignorieren, ihn aber trotzdem umstürzen wollen. Vielen Jugendlichen dürfte deren Existenz eher fern sein genauso wie dem Protagonisten des mitreißend geschriebenen Buchs.

Juri ist nicht naiv, nur unwissend. Und er begegnet zum ersten Mal seinem Vater, der auf gewisse Art auch einfach als verschroben durchgehen kann. Er lässt ihn Auto fahren, geht mit ihm angeln. Das macht etwas mit dem gerade mal 15-Jährigen. Achim und seine Familie erscheinen zwar bizarr altmodisch, aber nicht unsympathisch. Außerdem wird Juri von gleich zwei Mädchen angeflirtet, was ihn zusätzlich durcheinanderbringt. Es ist vom Autor klug entworfen, wie Juri in zwei Welten gleichzeitig verkehrt, und erst, als eine offensichtlich bedrohliche Gestalt im Umfeld seines Vaters auftaucht, es mit berechtigter Angst zu tun kriegt, ohne die Dimensionen im idyllischen Schwarzwald auch nur ahnen zu können. Übrigens stellte Martin Schäuble das Buch im Gespräch mit Tobias Elsäßer im Juni im Stuttgarter Literaturhaus vor. Der Mitschnitt der Veranstaltung findet sich unter https://vimeo.com/430335794.

Beide Titel warnen in sympathisch aufklärerischer Art davor, wie sich Rechtsextremismus am Rand oder auch mitten drin in unserer Gesellschaft breitmachen kann.

Das sind die vorgestellten Bücher

Andreas Götz: Wir sind die Wahrheit. Dressler-Verlag. 288 Seiten, 17 Euro. Ab 14

Martin Schäuble: Sein Reich. Fischer-KJB. 238 Seiten, 14 Euro. Ab 13