Luise (Luna Wedler), der Optiker (Karl Markovics) und Oma Selma (Corinna Harfouch)Foto: Studiocanal GmbH / Walter Wehner Foto: Studiocanal GmbH / Walter Wehner

Regisseur Aron Lehmann verwandelt den Roman „Was man von hier aus sehen kann“ in einen skurrilen, unkonventionellen Film, der von diesem Donnerstag an in den Kinos startet.

Das Okapi ist ein seltenes Tier, das nur in den äquatorialen Regenwäldern des Kongos vorkommt. Aber auch wenn Aron Lehmanns „Was man von hier aus sehen kann“ nicht in Zentralafrika, sondern im Westerwald angesiedelt ist, spielt das Okapi hier eine wichtige Rolle. Denn immer wenn das Tier Selma (Corinna Harfouch) im Traum erscheint, stirbt in den nächsten 24 Stunden ein Mensch im Dorf.

Panik um präventive Abschiedsbriefe

Die mystischen Vorhersehungen gehören im Ort schon längst zur Normalität. Schnell spricht sich der Okapi-Traum herum, dessen letale Folgen niemand anzweifeln würde. Am Postbriefkasten bildet sich eine lange Schlange, weil alle präventiv einen Abschiedsbrief schreiben, den sie, nachdem der Tod seine Arbeit verrichtet hat, ebenso panisch wieder zurück haben wollen.

Einen märchenhaften Dorfkosmos baut Lehmann („Jagdsaison“) in seinem Film auf und bevölkert ihn mit einem guten Dutzend skurriler Charaktere. Da ist Selmas seltsam verhuschte Enkelin Luise (Luna Wedler), aus deren Perspektive der Film seine Geschichte erzählt. Wenn sie etwas sagt, was sie selbst nicht glaubt, fällt etwas von der Decke oder aus dem Himmel herab. Der namenlose Optiker (Karl Markovics) hört Stimmen in seinem Kopf und fängt jeden Tag einen Brief an seine heimliche Liebe Selma an, ohne ihn zu Ende zu bringen. Die missmutige Marlies (Rosalie Thomass) hat immer schlechte Laune und keiner weiß warum. Die abergläubige Elsbeth (Hansi Jochmann) beherbergt buddhistische Mönche, die in Prozessionen durch Dorf und Wälder wandeln.

Als Vorlage für den Film diente Mariana Lekys gleichnamiger Roman, der sich über zwei Jahre in den Bestsellerlisten hielt. Lekys plastische, märchenhafte Erzählweise ruft förmlich nach einer filmischen Umsetzung. Regisseur Aron Lehmann gehörte seit seinem originellen Debüt „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ (2011) zu den interessanteren Nachwuchstalenten und hat in dem Cyrano-Update „Das schönste Mädchen der Welt“ (2018) sowie der Komödie „Jagdsaison“ (2022) sein unkonventionelles Profil geschärft. Und auch hier ist Lehmann sichtbar bemüht, den unorthodoxen Geist der literarischen Vorlage auf der Leinwand zum Leben zu erwecken.

Die Besetzung glänzt in den skurrilen Figuren

Die Zeichnung der schrägen Figuren und ihrer Neurosen gelingt ihm dank einer lebhaft aufspielenden Besetzung bestens. Auch die Ausstattung, die aus Original-Locations einen märchenhaften Mikrokosmos kunstvoll zusammenwebt, unterstützt den surrealen Grundton der Erzählung. Allerdings führt die Rückblendendramaturgie, mit der die mehr als 20 Lebensjahre umfassenden Romanteile ineinander verschränkt werden, zu einer streckenweisen Materialermüdung. Auch der Off-Kommentar, mit dem regelmäßig Buchzitate eingeschleust werden, wirkt deutlich überdosiert. Und so entwickelt sich „Was man von hier aus sehen kann“ zu einem interessant durchwachsenen Kinoerlebnis, das sich erfolgreich von den tragikomischen Formatvorlagen des deutschen Films löst, aber sich nicht so recht zu einem neuen, kohärenten Ganzen zusammenfügen will.

Was man von hier aus sehen kann: D 2022. Regie: Aron Lehmann, mit Luna Wedler, Corinna Harfouch, Karl Markovics. Ab 12, Start 29. Dezember.