Zärtlichkeiten mit den Gesellschafterinnen Foto: DCM/Bernd Spauke

Entschiedene Entzauberung: Susanne Wolff spielt die Kaiserin Elisabeth als unberechenbare Eigenbrötlerin. Sandra Hüller gibt die verliebte Hofdame.

Im vergangenen Jahr sind zwei neue Sisi-Serien, ein neuer Sisi-Film sowie ein Sisi-Roman erschienen. Warum es zu dieser Häufung ausgerechnet im Jahr 2022 kam, lässt sich auch nach intensiver Recherche kaum begründen. Außer den sich ständig wiederholenden Floskeln über eine angebliche Modernität dieser eigensinnig renitenten Kaiserin findet sich kaum mehr als ihr extremer Fitness- und Diätwahn, der neuzeitlich wirkt. Nun kommt schon wieder ein neuer Sisi-Film in die Kinos: „Sisi & Ich“ der Hamburger Regisseurin Frauke Finsterwalder. Doch dieser Film immerhin kann für sich beanspruchen, in dem Jahr zu erscheinen, in dem sich der gewaltsame Tod von Kaiserin Elisabeth zum 125. Mal jährt. Am 10. September 1898 wurde sie in Genf bei einem Attentat tödlich verletzt. Und die Ermordung der Monarchin ist auch ein Thema in dieser neuen Verfilmung.

Sissi mit dem verniedlichenden Doppel-s

Dass sich der Film mit den letzten Lebensjahren der Kaiserin beschäftigt, ist eine Entwicklung, die tatsächlich erst im vergangenen Jahr Fahrt aufgenommen hat – sieht man von Luchino Viscontis Film „Ludwig II.“ aus dem Jahr 1973 ab, in dem Kaiserin Elisabeth als reife Frau vorkommt. Zuvor galt das hauptsächliche Interesse der Filmschaffenden eher der jungen Schönheit, allen voran Romy Schneider als Sissi mit dem verniedlichenden Doppel-s. Der Film „Corsage“ von Marie Kreutzer mit Vicky Krieps als 40-jähriger Sisi als auch Karen Duves Roman „Sisi“, beides im letzten Jahr erschienen, verlegen den Fokus weg von der jungen ungestümen Frau hin zu der mitten im Leben stehenden Gattin, Mutter, Reiterin und Regentin.

Und hier knüpft Finsterwalders Film an, der die letzten Lebensjahre von Elisabeth zum Thema hat. Er beginnt damit, dass sich die ungarischen Gräfin Irma (Sandra Hüller) im Jahr 1894 als neue Hofdame für Elisabeth (Susanne Wolff) in der Wiener Hofburg vorstellt. Die frühere Hofdame ist der zwar nicht mehr jungen, aber immer noch sehr sportlichen Sisi zu langsam („Die Kaiserin wird niemals müde“). Irma bekommt den Zuschlag und macht sich auf die beschwerliche Reise nach Korfu, wo Elisabeth, weit ab von Mann und Hof, mit zwei jungen, hübschen, dünnen Hofdamen und vielen, ebenfalls sehr ansehnlichen Hunden in einer Art antikem Gelage lebt. Gleich bei ihrer Ankunft muss Irma zeigen, wie schnell sie laufen und wie hoch sie springen kann, zu trinken bekommt sie trotz der großen Hitze erst einmal nichts, später dann nur eine, mit Kokain angereicherte Tinktur zum Abnehmen. Schnell ist klar: Das wird kein Spaß hier.

Faszinierende Ergebenheit

Sisi erklärt ihrer neuen Gesellschafterin mit einem aasigen Lächeln, dass sie weder dicke Menschen noch Männer erträgt. Doch Irma ist der abweisenden, launisch-fiesen, von Gedanken an ihre eigene Vergänglichkeit besessenen Sisi vom ersten Moment an verfallen. Dass Liebe keinen Grund braucht, das zeigt Sandra Hüller in faszinierender Ergebenheit. Ob Sisi ihre betuliche, aber oft auch wunderbar alberne Hofdame ebenfalls liebt, das lässt Susanne Wolff sehr gekonnt im Vagen. Ihre zarte und rätselhafte Sisi ist auch privat immer die Kaiserin, die ganz genau die Hierarchie einzuhalten pflegt und Gunst und Missgunst nach Gutsherrinnenart verteilt. „Du bist nicht meine Freundin“, wirft sie Irma an den Kopf.

Klar aber ist, wen Sisi nicht liebt: ihren Mann, Kaiser Franz Joseph (Markus Schleinzer), der keinerlei Zugang zu seiner melancholischen Frau hat („Mein kleines Püppchen“), sie verzweifelt vergewaltigt und zurück an den Wiener Hof zwingt. Und ihre Mutter, Ludovika von Bayern: Angela Winkler hat einen zwar kurzen, grandiosen Auftritt als ungarisches Gulasch verschlingendes Muttertier, das schon längst jede Herzensbindung zu ihrer Tochter verloren hat. Essen, Kotzen, Verdauen, das alles spielt eine große Rolle in dem Film, es dient der Entzauberung alles Zeremoniellen, bringt aber viele lustige und obszöne Momente.

Queeres Personal

Nicht nur durch das queere Personal, die entschieden modernen Kostüme, das unzeitgemäße Geduze, vor allem auch durch den romanhaften, ganz und gar unhistorischen Schluss macht Finsterwalder deutlich, dass ihr Sisi-Film kein Biopic im engeren Sinne ist. Es ist vielmehr eine poetische Variation zu den vielen bereits existierenden Sisi-Lesarten – und dadurch dem Roman von Karen Duve näher als allen Sisi-Filmen.

Sisi & Ich: D 2022. Regie: Frauke Finsterwalder. Mit Sandra Hüller, Susanne Wolff, Angela Winkler. 132 Minuten. Ab 12, Start: 30. März

Kaiserin Elisabeth in Film und Literatur

Romy und Co.
Prägend für das Bild von Kaiserin Elisabeth von Österreich sind bis heute die Filme der „Sissi“- Trilogie mit Romy Schneider in der Hauptrolle aus den Jahren 1955 bis 1957. 1973 ist Romy Schneider noch einmal als Kaiserin Elisabeth aufgetreten, und zwar in Luchino Viscontis Film „Ludwig II.“. 2021 entstand für Netflix die Serie „Sisi“ mit Dominique Devenport und Jannik Schümann als jungem Kaiserpaar. Im selben Jahr erschien noch die Netflix-Serie „Die Kaiserin“ mit Devrim Lingnau und Philip Froissant in den Hauptrollen. Unter der Regie von Marie Kreutzer kam 2022 der Film „Corsage mit Vicky Krieps in die Kinos.

Roman
Eine ganz besondere Annäherung an den Mythos Sisi stellt der Roman „Sisi“ von Karen Duve dar, der ebenfalls im vergangenen Jahr erschienen ist. Er ist bei Galiani Berlin erschienen.