Daisy Edgar-Jones als Kya Foto: dpa/Michele K. Short

An diesem Donnerstag startet die Verfilmung von Delia Owens’ Bestseller „Der Gesang der Flusskrebse“ in den Kinos. Daisy Edgar-Jones überzeugt als rätselhafte Kya, die unter Mordverdacht gerät. Es gibt aber noch einen zweiten Hauptdarsteller.

Eines Tages hält die Mutter es nicht mehr aus. Mit Blutergüssen und Platzwunden im Gesicht, die vom letzten Gewaltausbruch ihres Mannes zeugen, macht sie sich davon. Zurück bleiben die Kinder, die in den kommenden Wochen nacheinander ebenfalls die Flucht ergreifen. Schließlich ist die sechsjährige Kya allein mit dem alkoholkranken Vater. Sie hat gelernt, den Wutausbrüchen aus dem Weg zu gehen, und flüchtet sich in die weite Marschlandschaft North Carolinas. Aber irgendwann ist auch der Vater verschwunden. Das Mädchen ist auf sich gestellt und muss lernen in der Natur zu überleben.

Ein Buch über die Kraft des Überlebens

Der Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens führte 2019 und 2020 die internationalen Bestsellerlisten an. Es ist ein Buch über die Brutalität des Verlassenseins und die Kraft des Überlebens, die ein kleines Mädchen aufbringen muss und es zu einer jungen Frau reifen lässt. Aber es ist auch ein Buch über eine unvergleichliche Landschaft in der Küstenregion North Carolinas, wo die Grenzen zwischen Land und Wasser zerfließen. Die eindrückliche Naturkulisse ist auch der zweitwichtigste Hauptdarsteller in der Kinoadaption von Olivia Newman. Mit ungebändigter Faszination lässt sich die Kamera auf dieses unwirkliche Biotop ein, das gleichermaßen wie eine sonnendurchflutete Fantasy-Kulisse und ein bedrohlicher Märchenwald wirkt. Aber die eigentliche Protagonistin ist Kya (Daisy Edgar-Jones), die als junge Erwachsene im Jahr 1969 angeklagt wird, den Footballstar und Sohn aus gutem Hause Chase Andrews (Harris Dickinson) ermordet zu haben. Im Ort ist man sich schnell einig, dass die junge Außenseiterin, die von allen nur „das Marschmädchen“ genannt wird, den Mord begangen haben muss. Der pensionierte Rechtsanwalt Tom Milton (David Strathairn) scheint als Einziger an die Unschuld Kyas zu glauben. Um sie verteidigen zu können, müsse er sie besser kennenlernen, sagt der Jurist. Und so gleitet die Erzählung in regelmäßige Rückblenden hinein, in denen die Lebensgeschichte des „Marschmädchens“ aufgeblättert wird.

Heldin mit Überlebensintelligenz

Wie so oft bei Verfilmungen von Bestsellern bleibt auch Newman sehr nah an der Buchvorlage. Werktreue ist in diesem Fall kein Fehler, denn Owens’ Roman, der ein klassisches Justizdrama mit einer unkonventionellen Coming-of-Age-Geschichte verbindet, ist ohnehin schon sehr nah am filmischen Erzählen aufgebaut. Und so entwickelt auch die Kinoversion eine konventionelle Strahlkraft, die durch sorgfältig orchestrierte Naturaufnahmen bereichert wird. Die Härte der traumatischen Kindheitserlebnisse wird kurz, aber effizient angerissen, das Leben in der Abgeschiedenheit der Natur hoffnungslos romantisiert. Aber die stille, kraftvolle Performance von Daisy Edgar-Jones wiegt solche Schwächen wieder auf. Vollkommen unangestrengt gelingt es ihr, die Figur den Naturkindfrau-Stereotypen zu entreißen und deren weibliche Überlebensintelligenz sichtbar zu machen.

Der Gesang der Flusskrebse. Regie: Olivia Newman. Mit Daisy Edgar-Jones, Harris Dickinson, Taylor John Smith. 125 Minuten, ab 12 J.