Unter Goeckes Geister-Tänzern ist auch Theophilus Vesely (Mitte). Foto: Rahi Rezvani /RR

Bei seinem Gastspiel in Ludwigsburg wird das Nederlands Dans Theater (NDT) vom Publikum gefeiert. Auch ein neues Stück von Marco Goecke hat die Kompanie dabei.

Marco Goecke kommt herum – und an. Wie präsent das Werk des ehemaligen Stuttgarter Haus-Choreografen ist, zeigte das vergangene Wochenende. Da hätte sich Goecke teilen müssen, um am Samstag sowohl mit Gauthier Dance als auch mit dem Bayerischen Staatsballett Premierenapplaus entgegenzunehmen. Die coronabedingte Verschiebung der „Todsünden“ im Theaterhaus erleichterte Goecke die Wahl für München, auch wenn es dort gerade Kontroversen um Ballettchef Igor Zelensky und seine bislang nicht bekannte Beratertätigkeit für eine russische Stiftung gibt. Trotzdem dürfte es Goecke freuen, dass sein nervöser Stil nun auch bei den eher klassischen Bayern angekommen ist.

Viel Applaus und sogar Standing Ovations hätte sich Goecke am Samstag auch beim Gastspiel des Nederlands Dans Theaters in Ludwigsburg abholen können. Am NDT, wo Goecke trotz seiner neuen Aufgabe als Ballettchef in Hannover nach wie vor Associate Choreographer ist, hat er im Februar „I love you, ghosts“ herausgebracht. Bei der Premiere seines elften NDT-Stücks bekam er zudem den Jirí-Kylián-Ring angesteckt.

Die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten

Auch bei der deutschen Erstaufführung verbreiteten die sieben Geister-Tänzer Goeckes, unter ihnen auch Theophilus Vesely, viel düster Groteskes; vor allem die Überdrehtheit, mit der dieses Stück oszilliert zwischen der Sehnsucht nach Vergangenem und der Notwendigkeit, nach vorn zu schauen, mag das Publikum beim NDT-Gastspiel im Forum mitgerissen haben. Die Mimik fratzenhaft, die Gesten kantig und überzeichnet wie bei Trickfiguren, die schwarzen Spitzentops wie aus einem Gemälde des Goldenen Zeitalters: Goecke trauert um das Lucent Danstheater, um seine Atmosphäre, seinen Geist.

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Das Heim des NDT ist einem Neubau gewichen; und mit Emily Molnar hat die Kompanie auch einen neuen kreativen Kopf. Am Rande des Gastspiels in Ludwigsburg spricht die Kanadierin über das Tanzlabor, das sie im NDT sieht. An wie viele Stilen darin geforscht wird, sollte auch der dreiteilige Gastspielabend zeigen.

Jirí Kyliáns Gesamtkunstwerk „Toss of a Dice“ zeigt überraschend klar, wo einer wie Goecke herkommt. Hier wie da brechen flatternde Impulse immer wieder so intensiv aus dem Bewegungsfluss aus, dass sie beim Zuschauen zucken lassen. Vor allem aber beeindruckt die Präzision, mit der sich Kyliáns Tanz gegenüber der messerscharf rotierenden Skulptur von Susumu Shingu, dem ploppenden Sound von Dirk Haubrich und den in den Raum gezischten Konsonanten eines Mallarmé-Gedichts behauptet.

Eisberg-Ruinen vor einem Horizont in schlechtem Zustand

Zwischen den Altmeister-Eckpfeilern tut sich der eher skizzenhaft wirkende Beitrag der spanischen Choreografin Marina Mascrell schwer. Sein Titel „How to cope with a sunset when the horizon has been dismantled“ ist so wenig griffig wie sein betont buntes Kollektiv, das im Übergang von Einzel- zu Gemeinschaftsaktionen die Rolle des Individuums verhandelt. Eisberg-Ruinen bieten Tanz und Kopf zwar Angriffspunkte, doch Mascarells Vagheit passt nicht zum Bild, das man vom NDT hat.