Niclas Füllkrug strotzt auch bei der WM im Trikot des deutschen Teams vor Selbstbewusstsein. Foto: imago//Simon Stacpoole

Stürmer Niclas Füllkrug, wegen seiner Zahnlücke „Lücke“ genannt, macht nicht nur mit seinem ersten WM-Tor auf sich aufmerksam. Und woher hat er eigentlich sein Markenzeichen?

Die Fliegen flogen Thomas Müller um den Kopf herum und waren auch noch so frech, auf seiner Nase Platz zu nehmen, als in den Stadionkatakomben von Al-Khor die Rettung nahte. Niclas Füllkrug kam in der Mixed Zone, also dort, wo Spieler und Medienschaffende nach den Partien zueinanderfinden, ums Eck – und Müller witterte die Fluchtchance. „Fülle, komm, übernimm du“, sagte er und gaukelte den Menschen, die die Frage stellten, Großzügigkeit vor: „Hier isser!“ Füllkrug also war da und Müller dann mal weg um kurz nach ein Uhr nachts Ortszeit, was in dem Fall im Sinne aller Beteiligter gewesen ist.

Ein Kreuzbandriss warf Füllkrug schon einmal zurück

Denn ausnahmsweise waren es nicht Müllers Aussagen, die nach dem 1:1 der DFB-Elf gegen Spanien im zweiten WM-Gruppenspiel interessierten. Nein, Niclas Füllkrug, der Torschütze zum 1:1 in Minute 83, war die Hauptfigur dieses Fußballabends in der warmen Wüstennacht – auch, weil er eine so spezielle Geschichte zu bieten hat.

Ein kurzer Rückblick also, zur ersten Einordnung: Füllkrug ist der Mann, der schon in beiden Knien einen Knorpelschaden hatte. Den ein Kreuzbandriss in seiner Karriere zurückwarf. Der vor einem Jahr mit Werder Bremen in der zweiten Liga spielte und da zeitweise auf der Bank saß. Der sich mit Clemens Fritz, dem Bremer Leiter Profifußball, heftig im Kabinengang zoffte, weshalb eine Suspendierung im Raum stand. Der sich nun aber in dieser Bundesliga-Runde mit zehn Toren in den Fokus von Bundestrainer Hansi Flick spielte – und jetzt nicht nur WM-Spieler ist, sondern auch Torschütze: gegen Spanien, mit einem Traumtor in den Winkel.

Füllkrug kennt keine Nervosität

Nach so einem steinigen Weg zum Karrierehöhepunkt könnte man am Gipfel schon mal durchdrehen, was Füllkrug aber nicht tat. Denn nach seinem Tor stand er hinterher in der Mixed Zone und referierte darüber, als hätte er gerade an einem kalten Novemberabend gegen Holstein Kiel in der zweiten Liga getroffen. So ein Automatismus sei es, den man eben immer trainiere, sagte Füllkrug, als er auf seinen Schuss angesprochen wurde. Vor seinem Tor, so erzählte es Füllkrug, „war ich voll im Lauf, nachdem Jamal Musiala den Ball festgemacht hat, dann lag die Kugel vor meinen Füßen, und ich habe ihn mitgenommen.“ Und dann, so Füllkrug, sei es am Ende nur noch Instinkt gewesen.

So trocken wie sein Abschluss waren hinterher seine Aussagen. Ob er nicht nervös gewesen sei, wollte noch jemand wissen. „Nö“, sagte Füllkrug: „Nervös? Ich bin in solchen Situationen sehr entspannt – es ist ja nicht das erste Tor, das ich geschossen habe.“

Der Stürmer hat intern und auf dem Platz einiges zu sagen

Tja, so ist das wohl, wenn ein Nordlicht auf dem Platz heiß läuft und hinterher so cool runterfährt wie die Klimaanlagen in den katarischen Stadionkatakomben. Tor ist Tor, das war der Füllkrug-Sprech des Abends: egal wo und gegen wen. Oder anders: Holstein Kiel ist nicht Spanien – aber für Füllkrug irgendwie doch.

Nicht ganz so nüchtern redeten die Teamkollegen über den eiskalten Füllkrug. Als Erster lief Ilkay Gündogan heiß, als er auf den neuen Neuner der DFB-Elf angesprochen wurde. „Niclas bringt sich voll ein, auch neben dem Platz“, sagte der Mittelfeldmann und ergänzte, dass „der Niclas relativ laut“ werden könne – was angesichts der ruhigen Töne von Füllkrug selbst überrascht. Intern und auf dem Platz aber hat Füllkrug demnach einiges zu sagen. Dass er ein Neuling ist, ist ihm da egal. „Einen unglaublich geilen Typen“, nannte Thomas Müller seinen neuen Kollegen. Und Kapitän Manuel Neuer diktierte seine Begeisterung im Telegrammstil: „Als Typ super – und als Spieler auch.“

Füllkrug gegen Costa Rica in der Startelf?

Selbst die „Times“ staunte nach Füllkrugs Auftritt über den „Killer mit der Zahnlücke“ – und fragte sich am Rande: Woher hat dieser Füllkrug eigentlich diese Lücke? Die Erklärung geht so: Als junger Kerl trug der heute 29-Jährige einst Zahnspange. Die Lücke wurde geweitet, um Platz für ein Implantat zu schaffen. Doch dann wurde Füllkrug Profi und hatte keine Zeit, die Behandlung fortzusetzen. Jetzt, so sagt er es selbst, „ist die Lücke mein Markenzeichen“. Und Füllkrug der Lückenfüller in der DFB-Elf.

Denn der Torjäger bedient die Sehnsucht nach einem echten Neuner. Und keiner hätte seine Qualitäten am Ende besser auf den Punkt bringen können als er selbst: „Ich freue mich, dass ich die Hoffnung des Bundestrainers erfüllen konnte, dass er Präsenz im Sechzehner und Torgefahr auf dem Platz hat – also das, was man sich von einem echten Stürmer erhofft.“

Und wer weiß, vielleicht beweist Hansi Flick nun den Mut zur Lücke: in der Startelf gegen Costa Rica.