Yuanyuan Li bricht auf dem Heimweg zusammen. Die Hilfsbereitschaft, die ihr anschließend entgegengebracht wird, überrascht sie und gibt nicht nur ihr ein gutes Gefühl.
„Ich will nur noch nach Hause“ – dieser Gedanke ist Yuanyuan Li immer wieder durch den Kopf gegangen, als sie am Samstagmittag, 8. März, in einer Stadtbahn von Fellbach nach Bad Cannstatt saß. Von jetzt auf nachher sei ihr sehr schlecht geworden. „Ich hatte keine Kraft mehr, mein Herz raste, mir war schwindelig, und der Kopf fühlte sich seltsam leer an“, sagt die 25-Jährige, die bei ihrem Ausflug in die Stadtbibliothek Fellbach Menstruationsschmerzen bekam. „Eigentlich habe ich sie mit speziellen Tabletten gut im Griff.“ Daher sei sie zu einer Apotheke in der Nähe der Bücherei gegangen, ihr gewünschtes Medikament gab es jedoch nicht.
In der Not griff sie zu einem anderen, möglicherweise war es nicht das richtige. „Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich von Minute zu Minute.“ An der Haltestelle Nürnberger Straße sei sie dann mit starken Bauchschmerzen ausgestiegen. „Jeder Schritt fiel mir schwer.“ Wieder schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie nur nach Hause wollte. „Es war ja nicht mehr weit.“ Sie schaffte es jedoch nicht. Nach wenigen Metern brach sie entkräftet an einem Kreisverkehr zusammen, halb sitzend, halb liegend am Gehwegrand.
Mehrere Autofahrer bieten ihre Hilfe an
Was dann jedoch geschah, überwältigte nicht nur die junge Chinesin, sondern auch ihre Vermieterin Agnes Zarday. An sie hatte sich Yuanyuan Li bereits in der Bahn Hilfe suchend gewandt, sie jedoch nicht erreicht. „Ich habe die ersten beiden Anrufe nicht mitbekommen, weil ich spazieren war“, sagt die 73-Jährige. Dementsprechend sei sie erst rund zehn Minuten später in größter Sorge vor Ort eingetroffen. Zu ihrer Freude wurde die 25-Jährige bereits bestens betreut.
Schon vor dem eigentlichen Schwächeanfall hätten in der Brenzstraße mehrere Autofahrer angehalten und gefragt, ob sie Hilfe brauche, erinnert sich Li. Zunächst habe sie abgelehnt und sich weitergeschleppt. „Ich war immer bei Bewusstsein, aber irgendwann konnte ich nicht mehr.“ Und genau zu diesem Zeitpunkt hat sich eine junge Passantin, etwa 20 bis 25 Jahre alt, liebevoll um sie gekümmert. „Sie hat das Heft in die Hand genommen, sich zu mir hingesetzt und mir eine Wasserflasche gegeben.“
Im Anschluss ebbte die Hilfsbereitschaft nicht ab. Nachdem die Vermieterin die unbekannte Frau, die mutmaßlich im medizinischen Bereich arbeitet, abgelöst hatte, half noch ein junger Mann, die geschwächte 25-Jährige in den Schatten zu bringen. Schließlich war es ein sehr sonniger Frühlingstag. Außerdem kontrollierte ein Nachbar den Puls bis zum Eintreffen der alarmierten Rettungssanitäter. „Sie waren ebenfalls wahnsinnig nett“, sagt Yuanyuan Li, deren Zustand sich stetig verbesserte, auch dank der Einnahme von Schokolade.
Keine Spur von Voyeurismus
Zurückgeblieben sei ein sehr positives Gefühl – auch bei ihrer Vermieterin: „Mich hat das Ereignis emotional stark bewegt“, sagt die gebürtige Ungarin, die seit 1977 in Deutschland lebt. „In letzter Zeit ist man Zeuge von gewaltigen Veränderungen geworden. Die Ergebnisse der Wahl zeigen bundesweit einen Rechtsruck, das Gefühl, dass sich die Gesellschaft immer mehr spaltet, hat sich belegt. Und dann erlebt man so etwas. Viele empathische Menschen, die vollkommen uneigennützig einer vollkommen fremden Person ihre Hilfe anbieten. Ganz unaufdringlich und ohne jeglichen Voyeurismus“, so Zarday, die sich mit ihrer Mieterin bereits in der Nachbarschaftsapp „Nebenan“ auf die Suche nach der Unbekannten gemacht hat. „Bislang leider ohne Erfolg.“ Es sei ein außergewöhnlicher Akt der Freundlichkeit gewesen, fügt Yuanyuan Li hinzu. Sie bedauert, dass sie sich nicht persönlich bei der Ersthelferin bedanken konnte. Aber auch bei den Verkehrsteilnehmern, die angehalten hatten. „Es gehört Mut dazu, Hilfe anzubieten“, sagt die 25-Jährige, die aus der Nähe von Shanghai stammt.
In ihrer Heimat hat sie ein Bachelorstudium im Bereich Rechnungswesen abgeschlossen. Seit eineinhalb Jahren lebt sie in Deutschland, um in eine komplett andere Richtung zu gehen. Nach ihrer einjährigen Zeit als Au-pair-Mädchen bei einer Familie in Darmstadt macht sie jetzt ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Betriebskita des baden-württembergischen Innenministeriums. Im Anschluss will sie eine Fachschule in diesem Bereich besuchen. Die Arbeit mit den Kindern mache ihr viel Spaß. Eindrucksvoll finde sie, wie viel Respekt man dem Nachwuchs in Deutschland entgegenbringt. Vor einem Windelwechsel müsse man beispielsweise nachfragen, ob das okay sei. „In China wurde das einfach gemacht.“ Auch das Thema Inklusion sei für sie komplettes Neuland.