Helmut Kaiser mit Hund Franz-Joseph. Seine Hunde tragen stets kaiserliche Namen. Und Herrchen trägt stets Schwarz. Foto: Robin Rudel - Robin Rudel

Die Tanzschule Kaiser schließt – für immer. Helmut Kaiser hat zwar viele Tanzlehrer ausgebildet, aber keinen Nachfolger gefunden.

EsslingenDie letzten 40 Jahre waren die schönsten in meinem Leben. Ich möchte keinen Tag davon missen“, sagt Helmut Kaiser über seine Zeit als Leiter seiner eigenen Tanzschule. Zu den Füßen des Tanzlehrers liegt Franz-Joseph, der sieben Monate alte Rüde des 70-Jährigen. Seine Hunde haben immer kaiserliche Namen, erzählt er. Der in Schwarz gekleidete Mann mit der runden Brille setzt sich an den Tresen in seiner Tanzschule. Von dort kann er die beiden Tanzsäle überblicken.

Im Alter von 30 Jahren hat Kaiser mit seiner damaligen Frau eine Tanzschule eröffnet. In der Mettinger Straße sind die beiden damals fündig geworden. „Wir haben nach einer Fläche für das Studio gesucht wie andere Leute nach einer Wohnung suchen“, erinnert sich der gebürtige Waiblinger. Mit dem Auto seien die beiden durch die Straßen gefahren, hätten geschaut, wo keine Gardinen in den Fenstern seien oder wo es Leerstand gebe. Auf 250 Quadratmetern baute sich das Ehepaar von 1950 bis 2005 eine Tanzschule auf, in der vor allem Paartanz unterrichtet wurde. Erst, als die Tanzschule ins Dick an der Kollwitzstraße zog, nahmen auch die K urse für Schüler Fahrt auf, sagt Helmut Kaiser. Jetzt aber sind die Tage der Tanzschule gezählt. Am Samstag, 7. Dezember, findet die letzte Tanzparty statt – fast auf den Tag genau 40 Jahre nach der Eröffnung. „Die Feier heißt ,Der letzte Tango’“, sagt Kaiser. „Da kommen noch einmal viele bekannte Gesichter zusammen.“

Getanzt hat Helmut Kaiser schon immer gerne. „Aber ich bin 1950 geboren, damals lernte man das, was die Eltern wollten“, sagt Kaiser. Einen Tänzer in der Familie habe man damals nicht gewollt. „Ich habe also einen mechanischen Beruf gelernt, war darin aber sehr unglücklich.“ In der Tanzschule in Waiblingen lernte er seine damalige Frau kennen. „Wir haben gemeinsam Wettkampftanz gemacht“, so Kaiser. Nach der Hochzeit fiel dann die Entscheidung, sich selbstständig zu machen. „In Waiblingen wollten wir aber nicht bleiben, wir wollten unserer alten Tanzschule keine Konkurrenz machen.“ Die ersten Jahre seien mitunter sehr hart gewesen. „Man fragt sich immer, warum kommen die Leute nicht zu uns?“, erinnert sich Kaiser. „Meine damalige Frau und ich hatten damals beide eine Sieben-Tage-Woche. Zum Glück hatten wir die Schwiegermutter in der Nähe, die auf die Kinder aufpassen konnte. Nach etwa fünf Jahren haben wir dann auf sechs Tage reduziert.“ Aber die Leidenschaft habe für Kaiser immer an erster Stelle gestanden. „Als Tanzlehrer sollte man schon die Liebe zum Tanz haben“, erklärt Kaiser, was jemand mitbringen soll, der diesen Beruf ergreifen will. „Aber was sich ganz stark entwickelt hat, ist wie sehr mir der Lehrberuf einfach gelegen hat. Mein Lieblingsjob war es immer, dem blutigen Anfänger das Tanzen beizubringen“, sagt er strahlend. „Meine damalige Frau hat uns Tanzlehrer immer gebeten, die Hand auf die Theke zu legen. Wer die schwitzigste Hand hatte, der durfte den Anfängerkurs machen. Das war immer ich.“ Am liebsten hätte er jeden Tag Anfängerkurse gegeben, sagt er. Aber auch die Hochzeitstanzkurse, die 20 Jahre lang an jedem Sonntag stattfanden, habe er sehr genossen. Mit dem Umzug ins Dick sei dann der richtige Durchbruch gekommen, so Kaiser. „Als wir umgezogen sind, ist die Tanzschule explodiert. Wir hatten unendlich Schüler“, erinnert er sich stolz. Und auch wenn es zeitweise einen Überschuss an Mädchen gab: „Bei mir blieb kein Mädchen ohne Tanzpartner“, sagt Kaiser. Er habe immer Gastherren rekrutiert, die mit den Schülerinnen getanzt hätten. Zwölf Tanzlehrer hat die Tanzschule in den vergangenen 39 Jahren ausgebildet. Ein Nachfolger für Helmut Kaiser hat sich dabei aber nicht gefunden. „Ich habe jahrelang gesucht – ohne Erfolg. Jetzt gebe ich alles auf“, sagt Kaiser mit Wehmut. Auf die Frage, wie er sich bei dem Gedanken fühlt, seine Tanzschule zu schließen, stehen ihm die Tränen förmlich in den Augen. „Das trifft mich jetzt schon sehr“, sagt er. Schließlich hänge sein Herz sehr an der Arbeit. Und nicht nur das: „In den letzten zehn Jahren hat sich eine Kooperation mit der víaDanza Salsa-Tanzschule etabliert, die keinen festen Sitz hat“, sagt er. Die Betreiber seien aus allen Wolken gefallen, als er seinen Entschluss bekannt gab.

„Aber irgendwann müssen Sie ein Ende machen und sagen: das war’s“, sagt Kaiser. Für ihn kam diese Erkenntnis vor drei Jahren während einer schweren Krankheit. Nach drei Wochen im Krankenhaus und anschließender Genesungsphase zu Hause war dieser Punkt für Helmut Kaiser erreicht. „Da gingen für mich viele Lichter an und der Vorhang auf“, sagt Kaiser. Er habe realisiert, wie schlimm es für seine Kinder gewesen sein müsse, ins Krankenhaus zu kommen und nicht zu wissen, wie es dem Vater geht. In der kommenden Zeit wolle sich der Tanzlehrer mal so richtig Zeit für seine Familie nehmen. „Das hatte ich früher ja nie. Und jetzt haben die Kinder selbst Kinder“, sagt er. Aber ganz hört ein Tanzlehrer hört nie mit dem Tanzen auf, sagt er. Darum wolle er quasi seinen Beruf zum Hobby machen. Er habe an die 80 Paare, mit denen er weiterhin tanzen wolle. „Das wird aber eine ganz schöne Umstellung, nur dreimal die Woche arbeiten zu gehen“, sagt der 70-Jährige.

Stimmen aus dem Netz

Die Ankündigung, dass die traditionsreiche Tanzschule Kaiser in Esslingen zum Ende der Jahres schließt, hat bei den EZ-Lesern auf Facebook Wellen geschlagen. Durchweg zeigten sich die Benutzer erschüttert über die Nachricht. Viele von ihnen hatten in der Jugend bei Kaiser Tanzen gelernt.

„Oh, schade“, schreibt ein Nutzer. „1980 [habe ich] den ersten Tanzkurs mit meinen zwei Kumpels dort gemacht. Es folgten etliche Gastherren-Kurse und Abschlussbälle. Formationstanzen war dann die Krönung. Erst Wiener Walzer, dann Western und Latein. Und DJ samstagabends, mit Hotze und Heinz, Korea an der Bar, Skiausfahrten und Schlittenfahren. Und abends dann zum Kiris, oder nach dem Abschlussball in voller Montur ins Studio M. Das waren sechs tolle Jahre, bei den Kaisers mit Boxerhündin Bonny.“

Ein anderer Leser schreibt: „Wie viele Stunden, Freitage, Samstage und Sonntage haben wir dort verbracht. Wir gehörten schon fast zum Inventar und standen in der ersten Reihe bei sämtlichen Freestyles. Mit unseren Musikwünschen konnte man einige Abende füllen.“ Die Tanzschule sei für viele eine Anlaufstelle gewesen. Die Jugendlichen hätten ihre sozialen Kompetenzen erweitert, und nicht „an irgendwelchen Bushaltestellen oder abseits gelegenen Treppen“ ihre Zeit verbracht, wie derselbe User sich erinnert.

Freunde fürs Leben: Sie sei traurig, dass dieser Teil ihres Lebens nun für immer Geschichte sei, schreibt eine Facebook-Nutzerin. Über das reine Tanzen hinaus seien in der Tanzschule Freundschaften entstanden, die schon Jahre überdauerten. Einige Tanzkreise träfen sich bereits seit 30 Jahren alle 14 Tage. „Unser Freundeskreis hat sich über die Tanzschule Kaiser gefunden. Ohne Herrn Kaiser, ohne Peter (Tanzlehrer), ohne das Kaiser hätten wir uns in der Konstellation sehr wahrscheinlich nie getroffen und kennenlernen dürfen. Angefangen vom A-Kurs als Schüler über diverse Goldstar-Kurse haben wir das Tanzen nicht mehr aus unserer DNA, unserem Leben bekommen. Meine Freunde und ich haben bei über 30 Abschlussbällen mitgeholfen.

Prägend: Die Tanzschule hat uns sehr bewegt und geprägt“, schreibt ein Leser. „Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ich ohne die Tanzschule heute nicht der Mensch wäre, der ich bin. Ebenfalls hätte ich sehr wahrscheinlich niemals meine Freundin kennenlernen dürfen, mit der ich seit über fünf Jahren zusammen bin.“