„Es gibt eine Zukunft, wenn es Wahrheit gibt“: Francisco de Roux mit dem Bericht der Wahrheitskommission über die Verbrechen in Kolumbien. Foto: Imago/Zuma Wire/Mario Toro Quintero

Erst gestand die Guerilla Farc ihre Gräueltaten gegenüber der Sonderjustiz, dann stellte eine Wahrheitskommission dem Staat und der Armee ein vernichtendes Zeugnis aus: eine Woche, die Kolumbien für immer verändern wird.

Am Ende eines emotionalen Tages suchte Francisco de Roux (78) den Vergleich mit der deutschen Geschichte. Die Deutschen, sagte der Jesuitenpater und Vorsitzende der Wahrheitskommission in Kolumbien, hätten eine Generation gebraucht, um sich dem zu stellen, was sie während des Krieges getan hätten. Aber als sie sich dann als Gesellschaft ihrer Verantwortung gegenüber den sechs Millionen ermordeten Juden gestellt hätten, da habe sich Deutschland gewandelt und seine Würde und seinen Stolz zurückerlangt, sagte de Roux in der Hauptnachrichtensendung des kolumbianischen Senders „Caracol“.

Der Vergleich mit Nazideutschland offenbart, für wie schwerwiegend de Roux die Verbrechen des bewaffneten Konflikts in Kolumbien hält, die er und seine Wahrheitskommission auf insgesamt mehreren Hundert Seiten zusammengefasst nun in Bogotá der Öffentlichkeit offenbart haben. „Wir bitten darum, die Wahrheiten der Tragödie zu akzeptieren“, sagte de Roux. Allein die nackten Zahlen sind entsetzlich: Über 450 000 Tote, über 100 000 bis heute Verschwundene, über acht Millionen mit Gewalt aus ihrer Heimat Vertriebene, über 50 000 Geiselnahmen und fast 17 000 rekrutierte Kindersoldaten zwischen 1986 und 2016.

Reguläre Armee deckte Taten der Paramilitärs oft

Für den kolumbianischen Staat und seine Armee ist der Bericht ein Desaster: Den Erkenntnissen der Kommission zufolge gehen 45 Prozent der Toten auf das Konto der rechtsextremen Paramilitärs, deren Taten oft von der regulären Armee (zwölf Prozent) gedeckt wurden. Besonders verheerend ist für das Militär der Passus über die außergerichtlichen Hinrichtungen, die aus einer „systematischen Praxis“ resultierten, um „den Gegner um jeden Preis zu eliminieren“, wie es im Bericht heißt. Die Armee ermordete dabei Tausende unschuldige Zivilisten und gab sie anschließend fälschlicherweise als Guerilleros aus, um Prämien zu kassieren. Demgegenüber ist die linksgerichtete ehemalige Farc-Guerilla für 21 Prozent und die immer noch aktive marxistische ELN-Guerilla für vier Prozent der Morde verantwortlich.

Als Ergebnis der Untersuchungen empfiehlt die Kommission dem künftigen linksgerichteten Präsidenten Gustavo Petro und Vizepräsidentin Francia Marquez eine Strukturreform der Sicherheitskräfte. Dazu zählt, die Polizei aus dem Verteidigungsministerium herauszuziehen und dem Innenministerium zu unterstellen, um eine zivile Kontrolle zu gewährleisten. Zudem solle die Wehrpflicht schrittweise abgeschafft werden. Politische Sprengkraft hat die Empfehlung der Kommission, Venezuela bei möglichen Friedensgesprächen mit der ELN-Guerilla um Hilfe zu bitten. Der venezolanische Präsident Nicolas Maduro wird nach seinem umstrittenen Wahlsieg 2018 und wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen von zahlreichen Staaten(-gemeinschaften), wie den USA und der EU, nicht anerkannt.

Kommandanten entführten, missbrauchten und richteten hin

Ein paar Tage zuvor hatten bereits die Geständnisse der Kommandanten der ehemaligen Farc-Guerilla die Öffentlichkeit erschüttert. Sie räumten die Verantwortung für 21 000 Entführungen ein und gaben im Rahmen einer Anhörung der Sonderjustiz zu, ihre Geiseln teils sexuell missbraucht, gefoltert und hingerichtet zu haben.

Der künftige Präsident Gustavo Petro sandte wie bereits nach seinem Wahlsieg am 19. Juni ein Signal der Versöhnung an das rechte Lager, das nun innerhalb einer Woche nicht nur die Wahlen, sondern auch ein gutes Stück Reputation verlor: „Wir müssen die Kreisläufe der Rache durchbrechen, die uns immer wieder zur Gewalt führen.“ Petro hat nun die Möglichkeit, den Krieg mit der ELN-Guerilla zu beenden und die tief gespaltene Gesellschaft in einen Versöhnungsprozess zu führen. Ein Treffen mit dem ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe, der als graue Eminenz des rechten Lagers gilt, ist anvisiert.