Die DFB-Elf soll bei der Heim-EM 2024 wieder um den Titel mitspielen. Doch wie soll das gehen – und was ist nach dem WM-Aus auf den verschiedenen Ebenen zu tun?
Das Ziel könnte größer nicht sein. Nachdem die DFB-Elf 2018 und 2022 zweimal in der WM-Vorrunde scheiterte und 2021 bei der EM nur ins Achtelfinale kam, soll nun bei der Heim-EM 2024 der Titel her. Nur: Wie soll das funktionieren? Und: Was sind die Baustellen auf dem schwierigen Weg dahin? Eine kommentierende Analyse in fünf Punkten.
Die Stabilität Hansi Flick darf weitermachen – die größte sportliche Baustelle des Bundestrainers ist die wackelige Defensive. Stabilität war nicht Trumpf bei der WM – im Gegenteil. Christian Streich, Trainer des SC Freiburg, hat das auch so erkannt, er legte nun den Finger in die Wunde.
„Die deutsche Mannschaft hat es nicht geschafft, miteinander so hart zu arbeiten und zu sagen: ‚Wir tun alles, damit der Gegner keine Torchance kriegt oder weniger Torchancen kriegt‘“, sagte der Coach im Rahmen einer Talkrunde des SWR in seiner Geburtsstadt Weil am Rhein. Deshalb, erklärt Streich weiter, „haben wir so einfache Tore bekommen. Deshalb ist die Mannschaft ausgeschieden.“
Besser hätte man die Sache wohl nicht auf den Punkt bringen können. Denn Flick ließ bei der WM seinen gewohnten, risikoreichen Offensivfußball spielen – und vernachlässigte zusammen mit seinem Team die Stabilität. So wechselte der Bundestrainer die ohnehin taumelnde Abwehr munter durch und richtete ein noch größeres Chaos an – ebenso im zentralen Mittelfeld, wo der Coach keine Achse fand oder finden wollte.
Flick muss nun mit Blick auf die Europameisterschaft im eigenen Land mit einer Stammelf, mindestens aber mit einer Achse ins Turnier gehen. Ansonsten droht wieder Chaos auf dem Platz.
Die Konsequenz Flick darf keine Rücksicht mehr nehmen auf große Namen. Er muss seine bei der WM gelebte Treue zu verdienten Stars wie Manuel Neuer oder Thomas Müller und zum Block des FC Bayern mindestens hinterfragen. Hoch veranlagte jüngere Profis, die Hoffnung machen mit Blick auf die EM, gibt es genug, ob sie nun bei den Bayern spielen oder nicht: Zuvorderst Jamal Musiala und Florian Wirtz, aber auch Kai Havertz, Leroy Sané, Serge Gnabry, Nico Schlotterbeck oder Youssoufa Moukoko gehören dazu.
Die Stimmung Eine Grüppchenbildung war bei der DFB-Elf in Katar zu beobachten. Die Bayern-Profis standen auf der einen, andere Kräfte wie Antonio Rüdiger oder Ilkay Gündogan auf der andere Seite. Offenkundig wurde der Konflikt bei der sogenannten Bindenfrage. Als es vor dem ersten Gruppenspiel gegen Japan in der Sitzung des Mannschaftsrats darum ging, welches Zeichen man nach dem Verbot der One-Love-Kapitänsbinde seitens des Weltverbands Fifa nun setzen wolle, hat es dem Vernehmen nach gekracht.
Der Bayern-Ratsblock mit Kapitän Manuel Neuer, Leon Goretzka, Joshua Kimmich und Thomas Müller soll, wie zu hören ist, für ein stärkeres Zeichen gewesen sein als das, was am Ende vor der Partie gegen Japan herauskam (Mund-Zuhalten). Antonio Rüdiger und Ilkay Gündogan sollen sich angeblich gegen den Vorschlag aus dem Bayern-Kreis gewehrt haben, wie Goretzka bei der EM 2021 gegen Ungarn nun im Kollektiv ein Herzzeichen mit den Händen zu formen. Der Streit zeigt symbolisch: Beim Teamgeist ist reichlich Luft nach oben.
Das Leistungsklima Das Wohlfühlklima im Teamhotel bei der WM löst beim Blick zurück sogar bei so manchem DFB-Mitarbeiter Kopfschütteln aus. Die Spielerfrauen und die Kinder der DFB-Stars durften noch in den Stunden nach dem 1:2 gegen Japan und dem 1:1 gegen Spanien jeweils ins Hotel kommen, übernachten, den nächsten Tag über bleiben und am Pool planschen – mit ihren Männern. So kann man sieglose Partien auch aufarbeiten. Was so abgedroschen klingt, ist im speziellen Fall Flicks in Richtung der EM der einzig gangbare Weg: Der Bundestrainer muss die Zügel anziehen.
Die DFB-Führung Kurzfristig gedacht suchen der Präsident Bernd Neuendorf und sein mächtiger „Vize“ Hans-Joachim Watzke einen Nachfolger für den Geschäftsführer Oliver Bierhoff als neuen starken Mann rund um die DFB-Elf. Übergeordnet wird es künftig um eine stärkere Führung der Verbandsspitze gehen. So gab Neuendorf im Bindenstreit mit der Fifa – in Teilen gemeinsam mit Bierhoff – eine schwache Figur ab. So fühlten sich Flick und das Team von der DFB-Führung bei der Diskussion über das Tragen der „One Love“-Binde allein gelassen, was dann in der Streitrunde des Mannschaftsrats kurz vor dem Japan-Spiel gipfelte – als die Spieler entscheiden mussten, was zu tun ist. Oder anders: Das Team sah die Entscheidung, ob Kapitän Neuer eine Gelbe Karte und weitere Sanktionen riskieren solle, wenn er die Binde gegen Japan doch trägt, vom DFB-Präsidenten auf sie abgewälzt.
Künftig also braucht es klarere Strukturen und Richtlinienkompetenzen. Und: klügere Entscheidungen. Auf allen Ebenen.