BVB-Trainer Edin Terzic weint nach der verlorenen Meisterschaft, doch das Stadion feiert ihn. Foto: dpa/Bernd Thissen

Verzweifelte Profis, ein weinender Trainer und schweigende Fans: Der BVB muss sich nach dem Titeltrauma erst einmal wieder aufrichten. Die Last ist schwer.

Momente der Trauer sind ein fester Bestandteil des Fußballsports, Mannschaften verlieren große Schlachten, wichtige Finals, jeder Spieler kennt den Schmerz der grausamen Niederlage. Aber das Stillleben, das sich in den Minuten nach dem 2:2 (0:2) gegen den FSV Mainz 05, nach der verspielten Meisterschaft von Borussia Dortmund also, bot, war selbst für die erfahrensten Stadiongänger unter den mehr als 80 000 Menschen neu und unbekannt.

Das ganze Stadion schwieg

Der Schriftsteller Eduardo Galeano beschrieb die Geräuschkulisse, die die 200 000 Menschen im Maracanã von Rio de Janeiro nach Brasiliens 1:2-Niederlage im WM-Finale von 1950 gegen Uruguay erzeugten, einmal als das „tosendste Schweigen“ der Fußballgeschichte; ähnlich eingefroren im Zustand der Fassungslosigkeit waren am späten Samstagnachmittag die Menschen in Dortmund. Das ganze Stadion schwieg, fast niemand von den 25 000 Zuschauern auf der Südtribüne verließ den Ort des Schreckens, die Zeit schien still zu stehen.

Minutenlang lagen die Spieler in Schwarz-Gelb regungslos auf dem Rasen, verzweifelt, untröstlich. „In dem Moment habe ich einfach gedacht: Ich wache gleich auf. Ist das jetzt wirklich passiert?“, berichtete Sebastian Kehl nach dem größten Drama der vergangenen 20 Bundesligajahre, und selbst der Mainzer Trainer Bo Svensson sagte: „Ich habe Mitleid. Das muss brutal sein.“

Die Angst davor, die Chance zu verpassen

Es war ein epischer Fußballmoment, vergleichbar mit den großen Wendungen, die das Spiel um die Jahrtausendwende hervorgezaubert hatte. Die zwei Treffer von Manchester United gegen den FC Bayern in der Nachspielzeit des Champions-League-Finales von 1999, mit denen die Engländer einen Rückstand in einen Sieg verwandelten. „Fußball! Verdammte Hölle!“, sagte damals Manchesters Trainer Alex Ferguson. Oder die berühmte Vier-Minuten-Meisterschaft des FC Schalke 2001, in deren Folge der Manager Rudi Assauer erklärte: „Ich glaube nicht mehr an den Fußballgott. Weil er nicht gerecht ist.“

Die Dortmunder waren zu perplex, um nach ihrem denkwürdigen Versagen die Sammlung unvergesslicher Fußballsprüche mit einem neuen Bonmot zu bereichern, aber das ist das Letzte, was ihnen vorgeworfen werden kann. Vielmehr müssen sie sich fragen, warum sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle bekommen haben.

„Heute fällt es sehr schwer, das Ganze einzuordnen“, sagte Mats Hummels, der wie all die anderen formstarken Dortmunder der vergangenen Wochen seltsam gelähmt gewirkt hatte: Karim Adeyemi, Sebastien Haller, Julian Brandt, Emre Can, Raphael Guerreiro, Donyell Malen, sie alle spielten spätestens nach dem frühen 0:1-Rückstand und dem verschossenen Elfmeter von Sebastien Haller konfus. Sie wirkten überwältigt von der Angst, diese Chance zu verpassen.

Quälende Konjunktive

Der Zufall, der die Sache noch hätte retten können, war nicht auf der Seite des BVB. Das 1:2 durch Guerreiro (69.) fiel zwar zeitgerecht, aber der Ausgleich durch Niklas Süle in der fünften Minute der Nachspielzeit kam zu spät für das Wunder. Fünf Minuten mehr Spielzeit hätten womöglich gereicht, und wenn der Kölner Ellyes Skhiri sich dem für die Meisterschaft entscheidenden Schuss von Jamal Musiala 100 Kilometer weiter südlich entschlossener entgegengestellt hätte, hätte es wohl trotz der Dortmunder Verunsicherung geklappt mit dem Titel. Es gibt eine ganze Reihe dieser quälenden Konjunktive, die den BVB nun durch den Sommer begleiten werden: „Wenn wir das 2:2 zehn Minuten früher schießen, dann sind wir noch mal richtig im Spiel“, überlegte Kehl, und Hummels sagte zu Hallers verschossenem Elfmeter: „Wenn wir das eins zu eins machen, dann glaube ich, sieht es anders aus.“

Hätte, wenn und aber. Am Ende bleibt nicht viel Positives außer vielleicht dem Gefühl, Teil eines noch lange nachwirkenden Dramas gewesen zu sein. Allerdings in der unschönen Rolle des tragischen Verlierers. „Wir wissen, dass der Weg zum Erfolg extrem steinig ist, aber das heute hätten wir nicht gebraucht“, sagte Trainer Edin Terzic, der, als die Menschen langsam aus ihrem Zustand der Schockstarre erwachten, vom Publikum gefeiert wurde. Er weinte und hatte dennoch die Kraft, einen Blick in die Zukunft zu werfen: „Wir werden das verarbeiten, wir werden aufstehen, wir werden ab Juli alles investieren, um es besser zu machen. Dann geht es darum, die nächsten 34 Spieltage wieder zu nutzen, um es endlich zu schaffen.“