Das Juni-Hochwasser hat Familie Kpanaki aus Rudersberg schwer getroffen. Ihr Heim ist zerstört, fast alles ging verloren. Sie leben zu fünft in zwei Zimmern. Langsam fassen sie wieder Fuß. Ihre größte Sehnsucht wird wohl noch lange unerfüllt bleiben.
Michaela Kpanaki erinnert sich noch gut an diesen Sonntag Anfang Juni, als der Dauerregen nachmittags endlich eine Pause einlegte und gefühlt ganz Rudersberg auf den Beinen war – um mal rauszukommen, ein paar Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren und vor allem, um sich wegen des Hochwassers ein Bild von der Wieslauf zu machen. Dass in der folgenden Nacht ihr Zuhause von den Wassermassen nahezu vollständig zerstört werden würde, ahnte die 33-Jährige zu dem Zeitpunkt nicht. „Es herrschte gute Stimmung. Wir waren alle froh, dass es das Rückhaltebecken gibt und hatten vollstes Vertrauen, dass das Becken Schlimmeres für Rudersberg verhindern würde“, sagt Michaela Kpanaki.
In der Nacht änderte sich die Lage dramatisch
Doch in der Nacht änderte sich die Lage dramatisch. Zu dem schon bestehenden Hochwasser kam ein schweres Gewitter, und die Katastrophe brach mit enormer Wucht über den Rems-Murr-Kreis herein – und dabei besonders über Teile Schorndorfs und Rudersberg. In kürzester Zeit waren die Ortschaften überflutet. „Die unfassbaren Wassermassen sorgten dafür, dass alle Häuser in unserer Straße voll liefen. Bei uns stand innerhalb von Minuten der gesamte untere Stock unter Wasser“, sagt Michaela Kpanaki.
Wenn sie jetzt, fast zwei Monate später, über die Ereignisse spricht, klingt Michaela Kpanaki beeindruckend ruhig und gefasst. Dabei gehören sie, ihre Familie sowie die Eltern und alle anderen Bewohner ihrer Straße zu den vielen Menschen, die durch die verheerende Unwetter-Katastrophe nahezu ihr komplettes Hab und Gut verlorenen haben. Spielsachen der Kinder, im Keller Gelagertes, die gesamte Küche, Wohn- und Esszimmereinrichtung, Fotos, Dokumente, Bücher – alles ist entweder weggespült oder von Schlamm und Wasser zerstört worden. „Es ist krass, aber im Grunde genommen sind es ja nur Sachen, die man ersetzen kann. Das Wichtigste ist, dass niemandem was passiert ist. Uns geht es allen gut, darauf kommt es an“, sagt die 33-Jährige, fügt im gleichen Atemzug aber hinzu, dass sie seitdem keinen Tag Ruhe und Alltag gehabt hätten, sondern permanent versuchen würden, alles wieder in den Griff zu kriegen. „Es ist schon sehr viel momentan. Wir leben beengt und kriegen zu wenig Schlaf. Ich hätte nie gedacht, dass uns so etwas passieren würde.“
Ihr Mann und sie sind unendlich dankbar angesichts der Hilfsbereitschaft
Gleichzeitig sind sie und ihr Mann Moses unendlich dankbar angesichts all der Hilfsbereitschaft. Direkt am nächsten Morgen packten Helfer mit an beim Ausräumen des Hauses. Warfen weg, was nicht mehr zu retten war; putzten das, wo noch Hoffnung bestand. Möbel wurden ihnen angeboten, Freunde starteten eine Spendenaktion für die Familie mit ihren drei Jungs im Alter von sieben und fünf Jahren sowie zehn Monaten. „Das alles hilft so sehr. Wir konnten uns ein neues Familienauto anschaffen“, sagt der 38-jährige Fotograf. Bei der verheerenden Hochwasserkatastrophe waren beide Autos weggespült worden – der rote Twingo blieb dabei so spektakulär an einem Zaun hängen, dass er es in die Nachrichten schaffte. „Das war ein Trost, dass er berühmt wurde“, sagt sie. Humor ist dieser Tage wichtig.
Als ihr Mann versuchte, auf dreckigen und überspülten Straßen zu seiner Familie zu kommen, war ihm aber nicht nach Lachen zumute. Autos lagen auf den Dächern und waren schwerst beschädigt. Es war eine Schlammwüste. „Es sah aus wie in einem Kriegsgebiet. Und alle Gesichter waren wie auf einer Beerdigung“, sagt Moses Kpanaki, der wegen einer Geschäftsreise in der besagten Nacht nicht da war. Gegen 20 Uhr abends hatte er seiner Frau geschrieben, dass er nach der langen Fahrt müde sei und früh schlafen gehe. Für Michaela Kpanaki hingegen, die mit den Kindern alleine war, sollte es eine lange Nacht werden. In der Doppelhaushälfte nebenan beobachteten ihre Eltern – ebenfalls hellwach und sorgenvoll – das Wetter. „Ich habe immer wieder Nachrichten und Bilder an Freunde geschickt“, sagt die Industriekauffrau in Elternzeit.
Auch die Fotos, die sie bereits Stunden vorher von ihren Eltern zugesendet bekommen hatte, deuteten die Katastrophe bereits an. Zu sehen waren die Kellerräume der beiden Doppelhaushälften, in die Wasser gelaufen war. Aber das schockte Michaela Kpanaki nicht. Schon öfters war bei starkem Regen der Keller vollgelaufen. Auch in der Nacht, als sich die Lage immer mehr zuspitze, blieb Michaela Kpanaki deshalb lange ruhig.
Statt zu schlafen, wandert sie durchs dunkle Haus
Doch statt zu schlafen, wanderte sie durchs Haus. Die Stunden verschwammen zu einer dunklen Einheit. Michaela Kpanaki wusste bald nicht mehr, wie viel Uhr es ist. Der Strom war weg. Trotzdem konnte weder das Wasser, das sich im Garten sammelte, noch das lauter werdende Plätschern im Keller, sie beunruhigen. „Ich war mir die ganze Zeit total sicher, dass nur der Keller betroffen sein würde.“ Doch dann stand plötzlich ihr Vater vor der Haustüre und schrie „Alarm“. Das Wasser strömte ins Haus, alles wurde mitgerissen. Michaela Kpanaki nahm das Baby in die Bauchtrage und beobachte fassungslos, wie die Autos mitgerissen wurden und der Eingang, das Wohn- und Esszimmer, die Küche und der Waschraum vollliefen. Jetzt war auch sie in Panik. „Sie rief mich weinend an und berichtete mir, dass sie Angst habe, ob das Haus stehen bleibt“, erzählt ihr Mann.
Die 33-Jährige rettete nur die Windeltasche und den Schulranzen. Als das Wasser in den Morgenstunden etwas zurückging und die Schlammwelle dreckigen, stinkenden Matsch und Verwüstung zurückließ, legte sie sich ein wenig hin. „Am nächsten Morgen beobachteten meine Söhne und ich erst mal vom Fenster aus, wie unten die Aufräumarbeiten starteten.“ Sie konnten auch gar nicht runter. Im unteren Stock gab es quasi nichts mehr und das Schlimmste: Sie hatten keine Schuhe. „Ich entdeckte dann einige aussortierte Paare auf dem Dachboden.“
Das Paar weiß nicht, ob es in das Haus zurückehren möchte
Das Paar weiß nicht, ob es je wieder in das Haus zurück möchte, aus Angst, so etwas könnte sich wiederholen. Aus der Ferienwohnung ziehen sie jedoch bald aus, in eine Vierzimmerwohnung, die gerade renoviert wird. „Wir haben nur Baustellen. Ich bin froh, wenn wir endlich zur Ruhe kommen.“
Wer der Familie helfen möchte, kann unter https://www.gofundme.com/f/nothilfe-fur-junge-familie-nach-uberschwemmung spenden.