Mit Rädern hoch droben auf dem Seil: die Guerreros aus Kolumbien beim Weltweihnachtscircus. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Auf dem Cannstatter Wasen werden wieder weit mehr als 100 000 Besucher erwartet. Dort bietet der Weltweihnachtscircus rund 100 Artisten auf. Wildtiere werden diesmal wieder nicht dabei sein.

Stuttgart - Ganz still ist es im Zelt. Unterm Chapiteau spannt sich das Seil, darunter zwei dicke Matten. Langsam und hoch konzentriert bringen die Artisten sich und ihre Fahrräder in Position, sie klatschen ab, der erste sitzt im Sattel, der zweite . . . Ein paar kurze Befehle, die Musik setzt ein, und schließlich rollt ganz vorsichtig eine Pyramide los, bestehend aus sechs Fahrrädern und sieben Artisten. „Das hat vor uns auf der Welt noch niemand gemacht“, sagt hinterher noch ganz atemlos Werner Guerrero, der Chef der Truppe. Somit gab es am Donnerstagmittag eine echte Premiere und einen neuen Weltrekord auf dem Cannstatter Wasen – noch bevor der Weltweihnachtscircus seine Pforten geöffnet hat.

Fünf Monate hat Guerrero mit seinen Artisten allein für diese Nummer geprobt. Viele gehören zur Familie, andere hat der 60-Jährige nach einem weltweiten Casting geholt – gefunden hat er sie schließlich in seinem Heimatland Kolumbien. „Das waren Rohdiamanten, die wir geschliffen haben.“ Ganz zufrieden war er mit der ersten Show unter echten Zirkusbedingungen nicht: „Wir waren zu schnell.“ Aber einige seiner Leute litten noch unter dem Jetlag.

Mit Jetlag zu den Proben in die Manege

Müde, aber pünktlich sind jetzt die letzten Artisten auf dem Cannstatter Wasen eingetroffen. Die Proben im Zelt laufen auf Hochtouren. Am 5. Dezember ist die Premiere, wie jedes Jahr geht der Erlös an die Olgäle-Stiftung. Bis zum 6. Januar wird es dann insgesamt fast 60 Vorstellungen geben, nachmittags und abends sowie an sieben Vormittagen. „Es gibt noch Karten für alle Vorstellungen, aber nicht unbedingt in allen Kategorien“, sagt der örtliche Veranstalter Hans-Peter Haag. Die Preise seien im wesentlichen gleich geblieben, der Vorverkauf laufe ähnlich gut wie in den Vorjahren. Haag erwartet erneut „weit mehr als 100 000 Besucher.“ Wer die Gebühren sparen wolle, dem empfiehlt er den direkten Gang zur Zirkuskasse auf dem Wasen.

Und was erwartet die Zuschauer? Nach der aufwendigen Show vom Vorjahr mit den prachtvollen Kostümen und den glamourösen Nummern des russischen Zirkus-Erneuerers Gia Eradze (dafür gab es im Januar Gold in Monte Carlo) fällt das aktuelle Programm eher klassisch aus. Eradze führt zwar die Regie, aber die einzelnen Auftritte sind sehr eigenständig, und ein Zirkusballett wie 2019 gibt es nicht. Dafür, wie üblich, zahlreiche Rekorde, die der Produzent Henk van der Meijden am Donnerstag vorgestellt hat. So werden die Guerreros ihre Pyramide nicht nur um ein siebtes Fahrrad erweitern, sondern mit dem Sprung über fünf Männer auf dem Seil einen zweiten Weltrekord präsentieren. Der erst 18-jährige Kevin Richter will mit seiner ungarischen Post insgesamt 23 Pferde durch die Manege rasen lassen – auch das ist einmalig. Ein weiterer Höhepunkt wird die Darbietung der Martinez-Familie sein: Die beiden jungen Männer haben für ihre Ikarischen Spiele – so heißt die Fuß-auf-Fuß-Nummer – in diesem Jahr gleich bei drei wichtigen Festivals jeweils Gold gewonnen und sind im Januar nach Monte Carlo eingeladen.

Auch ein klassischer Clown darf hier nicht fehlen

„Wir sind nicht nur ein Zirkus, wir sind die olympischen Spiele der Gold-Gewinner“, schwärmt van der Meijden. Er beschäftigt in den nächsten Wochen rund 100 Artisten und weitere 50 Menschen hinter den Kulissen. Mit einem solchen Programm könne man nicht mehr reisen, deshalb werde es nur in Stuttgart gezeigt – wo es gelte, die hohen Erwartungen des Publikums noch zu übertreffen. Für viele ein alter Bekannter ist der Clown Bello Knock, der das dritte Mal beim Weltweihnachtscircus auftritt. Er sei froh, Knock präsentieren zu können, so van der Meijden. Denn: „Die klassischen Clowns sterben leider aus.“ Stattdessen gebe es immer mehr Comedians.

Wie im Vorjahr wird man wieder ohne Wildtiere gastieren. „Ich bedaure das sehr. Aber die Stadt will das so“, erklärt der Produzent. Aber er sagt auch: „Der große Feind des Zirkus ist der Zirkus selbst gewesen.“ Damit meint er die kleinen Betriebe, die aus Geldmangel eine traurige Nummer mit einem einsamen Elefanten zeigten. „Das will ich auch nicht sehen.“