Ist unser Universum einmalig? Oder gibt es vielleicht parallele Welten neben der unsrigen? Auf den ersten Blick klingt das wie Science-Fiction, doch theoretisch sind Parallel-Universen durchaus denkbar. Eine Spurensuche in der unglaublichen Welt der Physik.
Multiversum? Multiversen? Haben Sie schon mal von diesen seltsamen Begriffen gehört? Wenn ja, dann vielleicht im Zusammenhang mit den „Marvel“-Fantasyfilmen. Multiversum ist bei „Marvel“ ein Sammelbegriff für alle existierenden parallelen Dimensionen und Zeitlinien, die alle zur gleichen Zeit existieren. Klingt „strange“ (englisch für befremdlich, merkwürdig, seltsam) – und das ist es auch.
„Marvel“-Multiversum
In „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ (übersetzt so viel wie: Doktor Seltsam im Multiversum der Verrücktheit) aus dem Jahr 2022 spielt das Multiversum eine entscheidende Rolle. Neben dem uns bekannten Universum gibt es nämlich noch unzählige andere Universen, in denen die Dinge unterschiedlich verlaufen. Dort können Freunde Feinde sein oder umgekehrt.
In dem Science-Fiction-Blockbuster reist Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) selbst zwischen den Universen hin und her, um die junge America (Xochitl Gomez-Deines) vor einem Dämon zu beschützen. America, die Doctor Strange im Traum erscheint, hat die Kraft, sich nach Belieben im Multiversum zu bewegen. Tatsächlich ist Doctor Stranges Traum eine Realität aus einem anderen Universum.
Auch in dem „Dunkler-Turm“-Roman-Zyklus von Stephen King wird die Vorstellung eines Multiversums thematisiert, in dem der Hauptakteur – Revolvermann Roland Deschain – erst durch mehrere Zeiten und Parallelwelten schreiten muss, um schließlich zum dunklen Turm zu gelangen.
Wie lassen sich Parallelwelten physikalisch erklären?
Die Physik versucht mit verschiedenen Theorien zu erklären, wieso unsere Welt so ist, wie sie ist. Kontrovers wird diskutiert, ob das Universum einzigartig oder nur ein Teil eines Multiversums ist.
Nach dieser Hypothese ist unser Universum nicht isoliert, sondern es ist ein winziger Teil eines solchen Multi- oder Megaversums, in welchem ständig Universen entstehen oder wieder vergehen. Diese parallelen Welten sollen gemeinsam beim Urknall entstanden sein. Denkt man diese Theorie weiter, könnten in einer anderen Realität also mehrere Doppelgänger von jeden Menschen leben.
Die Theorien darüber, ob Parallelwelten existieren und wie solche Multiversen physikalisch erklärt werden können, gehen allerdings ziemlich weit auseinander:
- Einige Kosmologen sehen ein Multiversum als zwangsläufige Folge der kosmischen Entwicklung seit dem Urknall.
- Andere sehen in parallelen Welten eher einen Auswuchs quantenmechanischer Gesetzmäßigkeiten.
- Auch Schwarze Löcher und die Stringtheorie spielen in einigen Vorstellungen eine Rolle.
Big Bang: Der Moment, in dem alles begann
Der Big-Bang-Theorie zufolge ist unser Universum vor 13,7 Milliarden Jahren aus einem einzigen, extrem heißen und dichten Zustand hervorgegangen – dem Urknall. „Diese Hypothese geht davon aus, dass die gesamte Materie im Kosmos in ferner Vergangenheit in einem einzigen Big Bang entstanden ist“, erklärte der Astronom und Mathematiker Fred Hoyle (1915-2001).
Der Samen des Universums war dabei viel kleiner als ein Atom und enthielt alle Materie und Energie, die sich heute über viele Milliarden Lichtjahre verteilen. Aus diesem Stoff ist alles entstanden: Sonne und Sterne, Materie und Strahlung – und das Leben. Einfach alles.
Irgendwann – den Grund kennen die Physiker nicht – fing dieser winzige, jenseits aller Vorstellungskraft dicht gepackte und unvorstellbar heiße Raum schlagartig an sich zum Universum auszudehnen. Und das tut er bis heute.
Nach dieser gängigen kosmologischen Theorie dehnte sich das junge Universum kurz nach dem Urknall exponentiell aus. Es erreichte in wenigen Sekundenbruchteilen fast seine heutige Größe. Wie jedoch diese sogenannte kosmische Inflation ablief und was sie antrieb, ist bisher unklar. So ist umstritten, wie gleichmäßig diese explosive Expansion vonstattenging und ob möglicherweise sogar parallele Universen erschaffen haben könnte.
Was war vor dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren?
Diese Frage hat der amerikanische Physiker und TV-Moderator Neil deGrasse Tyson seinem berühmten britischen Fachkollegen Stephen Hawking kurz vor dessen Tod im März 2018 in seiner Talkshow „StarTalk“ gestellt.
Hawkings lapidare Antwort: „Nichts . . . Vor dem großen Urknall existierte nichts.“ Außerdem habe die Frage, was vor der Geburt des Universums war, keine Relevanz.
Inflation oder Zyklus des Universums?
Hawkings Verdikt zum Trotz machen sich Physiker in aller Welt seit vielen Jahren Gedanken über das, was vor dem Big Bang war. Vor allem zwei Theorien werden dabei diskutiert:
- Inflationstheorie: Zum einen die Inflationstheorie. Als kosmologische Inflation wird eine Phase extrem rascher Expansion des Universums bezeichnet, von der man annimmt, dass sie unmittelbar nach dem Urknall stattgefunden hat. Diese Phase bewirkt, dass auch winzige Regionen extrem auseinandergezogen werden. Wenn diese Phase zu Ende geht, wird die Energie der Ausdehnung teilweise in Strahlung und Materie umgewandelt. Dies entspricht dem Urknall. Das passiert gleichzeitig über große Gebiete, da dort überall die gleichen Bedingungen herrschen.
- Zyklisches Universum: Die zweite Theorie ist die eines zyklischen Universums. Dieser Theorie zufolge gab es vor dem Urknall eine Phase der Kontraktion. Es stellt sich heraus, dass eine Phase von langsamer Kontraktion ebenfalls bewirken kann, dass das Universum homogen und isotropisch wird. Hier entspricht der Urknall dem Umschwung von der Kontraktionsphase zur Expansionsphase, wobei wiederum Strahlung und Materie erzeugt werden.
- Kosmologisches Prinzip: Unter dem gültigen kosmologischen Prinzip (oder kosmologischen Postulat) sind zwei Grundannahmen der naturwissenschaftlichen Kosmologie zusammengefasst, die deren Modellen vom Weltall zugrundeliegen. Es wurde im Jahr 1933 von dem britischen Astrophysiker Edward A. Milne entwickelt:
- Prinzip der Homogenität: Das Weltall ist homogen – das heißt: Es stellt sich einem Beobachter unabhängig von seinem Standpunkt im Raum immer gleich dar.
- Prinzip der Isotropie: Das Weltall ist isotrop – das heißt: Es stellt sich dem Beobachter unabhängig von der Beobachtungsrichtung im Raum immer gleich dar.
String-Theorie und viele parallelen Welten
Nach der viel diskutierten String-Theorie kann es sowohl inflationäre als auch zyklische Universen geben. Daneben erlaubt die String-Theorie auch noch unzählige andere Universen, von denen manche unserem Universum ganz ähnlich sind, die meisten jedoch grundverschieden. Darüber hinaus sind diese verschiedenen Universen kontinuierlich miteinander verbunden.
- Zur Info: Laut Max-Planck-Institut für Physik sind im grundlegenden Ansatz der Stringtheorie die fundamentalen Objekte der Physik keine Punktteilchen mehr, sondern eindimensionale Objekte – so genannte Strings (englisch für Saiten). Diese Strings bewegen sich durch eine zehndimensionale Raum-Zeit und sind supersymmetrisch.
Unendliche viele Multiversen
Ein neues Universum kann laut Stringtheorie innerhalb eines schon existierenden Universums entstehen. Dieses neue Universum ist in der Regel verschieden von dem älteren. Auf diese Weise entstehen dann unendlich viele Universen und so werden alle theoretisch möglichen Universen auch real.
Falls dieses Multiversum oder diese Multiversen der Realität entsprechen, müssten sie auch mathematisch zu beschreiben können. Dies ist allerdings eine extrem schwierige Herausforderung, hauptsächlich wegen den Unendlichkeiten, die im Multiversum vorhanden sind. Zum einen gibt es eine unendliche Anzahl von Universen, zum anderen sind auch noch viele dieser Universen selbst unendlich groß.
Seit wann gibt es den Begriff Multiversum?
Bereits seit der Antike wird die Annahme von Parallelwelten (sogenannte Mehrweltentheorie) in der Philosophie erörtert. Auch in der physikalischen Kosmologie wird die Möglichkeit der realen Existenz von Parallelwelten thematisiert. Einer breiteren Öffentlichkeit ist die Vorstellung vor allem aus der Science-Fiction-Literatur und -Filmen bekannt.
Ein Multiversum findet sich, mit unterschiedlichen Wortbedeutungen, etwa in den Schriften der Philosophen William James (1842-1910), Heinrich Rickert (1863-1936) und Ernst Bloch (1885-1977), allerdings ohne physikalisch-kosmologischen Bezug.
Was verstehen Physiker darunter?
- Wichtig wurde der Begriff zunächst in der Quantenphysik, in der Debatte um die Many-Worlds-Interpretation (Viele-Welten-Interpretation). Sie postuliert die Existenz vieler sich überlagernder Quantenwelten.
- Die Idee einer Existenz vieler Welten ist eine Folge der alternativen Interpretation des quantenmechanischen Messprozesses und stammt von dem US-Physiker Hugh Everett aus dem Jahr 1957. Sie besagt, dass mit jeder Messung einer quantenmechanischen Messgröße eine Aufspaltung in alle möglichen Realisierungen der Messgröße, also in viele Welten bzw. Paralleluniversen, stattfindet.
- Andy Nimmo, der damals stellvertretender Geschäftsführer der „British Interplanetary Society, Scottish Branch“ war,prägte im Jahr 1960 den Begriff Multiversum. Er verstand darunter einen „Zweig” der Wellenfunktion des als einzigartig betrachteten Universums – also eine einzelne Welt unter vielen Welten.
Sammelname für alle Welten
Quantenphysiker verwenden den Begriff Multiversum indes im genau umgekehrten Sinn – als Sammelnamen für alle Welten. In den 1980er- und 1990er-Jahren übernahmen auch Kosmologen allmählich den Terminus. Sie begannen mehr und mehr über andere Universen nachzudenken. In den 2000er-Jahren etablierte sich der Begriff vollends in der wissenschaftlichen Fachliteratur.
Das Universum als sich ausdehnende Bälle?
Einer der Vorreiter der Theorie der Parallelwelten ist der russische Kosmologe Andrei Linde. Als er in den 1980er Jahren seine Studie über die kosmische Inflation veröffentlichte, steckte darin auch die Parallelwelten-Idee. Lindes Modell einer chaotischen Inflation zufolge gab es nicht nur einen Urknall, sondern ungeheuer viele. Und als direkte Folge davon nicht nur ein Universum, sondern ein Multiversum.
„Anstelle nur eines sich ausdehnenden Feuerballs ist das Universum ein gewaltiges, wachsendes Fraktal“, erklärt Linde. Also Objekte, bei denen das Ganze seinen Bestandteilen ähnelt. „Dieses besteht aus unzähligen sich ausdehnenden Bällen, die ihrerseits neue Bälle erzeugen und das geht wie eine Kettenreaktion immer so weiter.“
Geflecht zahlreicher Blasen
Die Hypothese vom inflationären Universum, entstanden in den 1980er Jahren, ist unter Kosmologen sehr beliebt. Mit ihr lassen sich viele Besonderheiten des Weltalls erklären. Doch warum, so fragte sich mancher Wissenschaftler, sollte nur in unserem Weltall etwas expandieren?
Damit war die Idee vom Multiversum geboren, wie Hermann Nicolai, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam-Golm erklärt. „Diese Theorie sagt: Da war diese extrem rasche Expansion, und sie legt nahe, dass auch nebenan etwas ist, das expandiert und wieder vergeht.“
Gern wird von einem Geflecht zahlreicher Blasen gesprochen, aus denen, während sie wachsen, unablässig weitere Blasen sprießen, so der deutsche Physiker. Und natürlich gehen auch aus diesen wieder Blasen-Universen hervor.
Blasen im Nichts: Hawkings Theorie des Multiversums
Auch der 2018 verstorbene britische Physiker Stephen Hawking entwickelte eine Theorie des Multiversums. In seinem Konzept postuliert Hawking, dass unser Universum nur eines von vielen in einer unendlichen Anzahl von Universen ist, die alle unterschiedliche physikalische Gesetze haben könnten.
„Die gängige Theorie der sogenannten ewigen Inflation sagt voraus, dass unser Universum wie ein unendliches Fraktal (natürliche oder künstliche Gebilde oder geometrische Muster, d. Red.) ist: Es besteht aus einem Mosaik verschiedener Taschen-Universen, die durch einen sich noch immer exponentiell ausdehnenden ‚Ozean‘ getrennt sind.“ So erklärte Stephen Hawking das Phänomen Multiversum Ende 2017 auf einer Tagung. Und weiter führte er aus: „Weil sich die lokalen Gesetze der Physik und Chemie von einem Taschen-Universum zum anderen unterschieden, bilden sie gemeinsam eine Art Multiversum.“
Diesem Szenario nach wäre unser bekanntes Universum demnach nur eine von vielen kosmischen Blasen, in denen die Inflation zufällig schon früh endete. In anderen, für uns nicht erfassbaren Bereichen hält die Inflation dagegen noch immer an. Diese Vorstellung wird daher auch als Theorie der ewigen Inflation bezeichnet.
Info: Theorie der Quantengravitation
Quantengravitation
Die beiden großen physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts, die Quantenphysik und die Allgemeine Relativitätstheorie, erklären jede auf ihre Weise die Kräfte, die das Weltall zusammenhalten. Quantengravitation heißt das Zauberwort der modernen Physik – eine Symbiose aus beiden Theorien. Beide Theorien lassen viele Fragen offen, die nur mithilfe einer Theorie der Quantengravitation geklärt werden können. Die Quantengravitation ist eine in der Entwicklung befindliche Theorie, welche die Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie – die beiden großen physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts – vereinigen soll.
Relativitäts- und Quantentheorie
Während Albert Einsteins (1879-1955) Allgemeine Relativitätstheorie sich mit der Gravitation, einer der vier Elementarkräfte des Universums, befasst, beschreibt die Quantentheorie die übrigen drei kosmischen Elementarkräfte: elektromagnetische Wechselwirkung, schwache Wechselwirkung und starke Wechselwirkung. Sie geht vor allem auf die deutschen Physiker Max Planck (1858-1947) und Werner Heisenberg (1901-1976) zurück. Man könnte es auch so ausdrücken: Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt den Aufbau des Weltalls im Großen und erklärt die Vorgänge bei großen Massen wie Planeten und Beschleunigungen. Die Quantentheorie wiederum will die Wechselwirkung zwischen den kleinsten Teilchen erklären. Die Probleme bei der Zusammenführung beider Theorien sind so kompliziert und die Lösungen so undenkbar, dass selbst ein Genie wie Einstein vor den geistigen Herausforderungen kapitulieren musste.