Die Mückenplage ist 2024 extrem, sagt der Experte Dirk Reichle Foto: imago//Arnulf Hettrich

Dirk Reichle bekämpft seit 35 Jahren professionell Mücken am Oberrhein. Die Mückenplage 2024 toppt für ihn alles bisher Gesehene. Was er betroffenen Gemeinden rät – und was er für die Zukunft erwartet.

Dirk Reichle leitet die Stechmückenbekämpfung bei der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS) am Oberrhein. Im Interview ordnet er die aktuelle Mückenplage ein – er bezeichnet sie als die heftigste seit Jahrzehnten.

Herr Reichle, erleben wir ein Rekord-Mückenjahr?

Ich bin seit mehr als 35 Jahren in der Stechmückenbekämpfung tätig. So ein Jahr habe ich noch nie erlebt. Dabei haben wir im Frühjahr schon bei mehreren Hochwasserspitzen jeweils gut 90 Prozent der Larven getötet, auch wenn das viele angesichts der aktuellen Belastung nicht glauben. Hinzu kommt, dass bei dem aktuell feuchten Wetter die Mücken außerdem extrem stechfreudig sind. Wegen des vielen Regens sind dieses Jahr riesige Flächen betroffen – auch solche, die lange trocken waren. Viele der Mückeneier im Boden waren noch intakt.

Wie muss man sich die Bekämpfung vorstellen?

Wir haben festangestellte Mitarbeiter mit zugewiesenen Gebieten. Dort haben sie in den letzten Wochen tausende von Schöpfproben genommen: Wo sind die Larven, wo müssen wir bekämpfen? Daraus entwickeln wir eine Strategie, wo wir das Biozid Bti ausbringen. Es wirkt nur gegen Larven. Teilweise geschieht das zu Fuß, aber wegen der vielen Überflutungen sind wir seit Mitte Mai quasi ununterbrochen vor allem mit zwei Helikoptern unterwegs.

Warum fühlen sich Stechmücken 2024 so wohl?

Durch das feuchte Winterhalbjahr konnten die Böden schon früh kaum mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Schon bei den ersten Hochwasserspitzen im April gab es viel mehr Wasserflächen als in früheren Jahren. Dazu kamen der viele Regen und die großen Hochwässer im Mai und Anfang Juni. Wir haben seither quasi permanent Hochwasser. In die überdies sehr großen überfluteten Flächen kommen wir für die Bekämpfung kaum hinein, das heißt die Rheinaue ist voll durchströmt.

Auch am Bodensee ist die Mückenbelastung derzeit extrem. Wäre dort eine Schnakenbekämpfung mit Bti ebenfalls ratsam?

Es gab dazu immer einmal vereinzelte Anfragen. Der Bodensee ist aktuell vollkommen unbehandeltes Gebiet. Aber es gibt dort etliche Massenbrutplätze von Mücken – und hochrangige Naturschutzgebiete. Deshalb bräuchte es umfangreiche Genehmigungsverfahren, ehe dort die Mücken bekämpft werden könnten. Prinzipiell ist das aber überall möglich, so z.B. neben dem Oberrhein etwa an Teilen der Donau, am Chiemsee oder in den Nidderauen. Die Kommunen müssen sich aktiv dafür entscheiden, dies ist nicht die Entscheidung der KABS.

Macht der Klimawandel so extreme Mückenplagen wie 2024 wahrscheinlicher?

Ich erinnere mich, dass es früher klar definierte Bekämpfungsphasen gab, typischerweise um Ostern nach der Schneeschmelze in den Mittelgebirgen und um Pfingsten nach der Schneeschmelz in den Alpen, jeweils in Kombination mit stärkeren Niederschlägen. Das ist schon länger nicht mehr so, der Schnee ist meist bis Mitte März weggeschmolzen. Vor allem gibt es mehr und heftigeren Starkregen. Auf solche unwetterartigen Regenfälle und die Folgen muss man sich einstellen. Es gab zuletzt auch einige sehr trockene Jahre. Doch die Jahre mit Hochwasserspitzen häufen sich: 2016, 2021 und jetzt 2024. Also ja: Mit guten Entwicklungsbedingungen für Stechmücken ist künftig zu rechnen, aber nicht jedes Jahr ist dann so extrem wie 2024.