Wenn kleine Kinder Harnwegsinfekte, schwere Hautinfektionen und Mittelohrentzündungen haben, erhalten sie häufig ein Antibiotikum. Foto: Adobe Stock/Joanna Zielinska

Die Gabe des Medikaments kann die Wirkung von Impfungen abschwächen. Was das für die Gesundheit von Kindern bedeutet.

Hauptsache, gesund werden – dafür ist vielen zwar nicht jedes Mittel recht, aber eines immer noch: Antibiotikum. Doch gerade bei Kleinkindern sollte man bei der Gabe vorsichtig sein. Eine US-Studie zeigt, dass die Einnahme von Antibiotika bei Kleinkindern die Schutzwirkung von Impfungen – etwa gegen Hepatitis, Mumps oder Masern – verringern kann. Warum das so ist und was es bei der Verordnung zu beachten gilt, erklären wir in dieser Übersicht.

Wie hat sich der geringe Schutz gezeigt?

In der Studie wurden 560 Kinder ab ihrem sechsten Lebensmonat bis hin zu ihrem zweiten Geburtstag regelmäßig untersucht, und es wurden Blutproben entnommen. Trat bei den Kindern eine Mittelohrentzündung auf, wurden auch dabei Blutproben analysiert. Von den insgesamt 560 untersuchten Kindern erhielten 342 Kinder Antibiotika innerhalb der ersten 24 Lebensmonate – 218 Kinder erhielten keine. Dabei zeigte sich, dass die Antikörperlevel bei Kindern, die mit Antibiotika behandelt wurden, im Schnitt geringer waren als bei Kindern ohne Antibiotika-Behandlung. Besonders häufig lag die Menge der Antikörper unter dem Grenzwert, der einen guten Schutz gegen die Krankheiten garantiert, wenn die Kinder im Alter von neun bis zwölf Lebensmonaten Antibiotika erhielten. Wurde mehrmals Antibiotika verabreicht, wirkte sich dies verstärkt negativ auf die Antikörperwerte aus.

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Wie kommt dieser Effekt zustande?

„Antibiotika, die in der frühen Kindheit oft gegen eine Mittelohrentzündung verschrieben werden, greifen nicht nur die gefährlichen Bakterien im Ohr an, sondern auch die nützlichen Bakterien des Darmmikrobioms“, sagt Cornelia Gottschick vom Profilzentrum Gesundheitswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Die Balance der Bakterien mit unserem Immunsystem wird dadurch gestört, und es ist denkbar, dass Impfungen dadurch nicht mehr ihre volle Wirkung zeigen.“ Allerdings ist dies nur eine Theorie, so die Expertin, da in der Studie das Darmmikrobiom nicht untersucht worden ist.

Erkranken Kinder, die Antibiotika verabreicht bekommen, also trotz Impfung an Masern, Mumps und Co.?

Wird ein Mindestniveau an Antikörper für eine Impfung nicht erreicht, besteht die Befürchtung, dass nur ein verminderter Schutz vermittelt wurde, sagt Claudius Meyer vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mainz. Allerdings zeigt die Studie nicht, dass die Impfantwort komplett ausgeblieben ist. Über einen gewissen Schutz vor Masern, Mumps und Co. können die betroffenen Kinder durchaus verfügen, zumal Antikörper nur ein Teil der immunologischen Antwort auf einen Impfstoff seien.

Müssen Kinder nachgeimpft werden?

Ob die Kinder nochmals geimpft werden sollten, kann nicht auf Grundlage dieser Studie gesagt werden, sagt der Kindermediziner Meyer. „Möglicherweise wäre eine Nachkontrolle zum dritten oder fünften Lebensjahr hilfreich, um den Bedarf nach einem Booster zu erkennen.“ In einigen Ländern werden einige der betrachteten Impfstoffe ohnehin im Laufe der Kindheit aufgefrischt.

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Sind die Kinder auf Dauer durch die Gabe von Antibiotika geschädigt?

Ab der Geburt verläuft die Entwicklung der Darmflora individuell sehr unterschiedlich – das heißt, auch die Effekte von Antibiotika können sehr unterschiedlich ausfallen, so Claudius Meyer. Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass erst im Alter zwischen drei und fünf Jahren bei Kindern die Entwicklung der Darmflora abgeschlossen ist. „Eine Erholung findet mutmaßlich statt, jedoch ist aktuell noch unklar, ob die Erholung jeweils vollständig verläuft.“ Möglicherweise kann eine Einnahme von Probiotika, welche das Darmmikrobiom während einer Antibiotika-Einnahme schützen sollen, den in der Studie beobachteten Effekt reduzieren, ergänzt seine Kollegin Cornelia Gottschick von der Uni Halle-Wittenberg.

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Was sollte grundsätzlich bei der Gabe von Antibiotika künftig beachtet werden?

Die Zahl der Antibiotika-Verordnungen im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin ist in den letzten Jahren deutlich gesunken, sagt Friedrich Reichert, Ärztlicher Leiter der Kindernotaufnahme und der Kinderinfektiologie im Klinikum Stuttgart. „Wir wissen mittlerweile, dass eine Mittelohrentzündung nur selten mit Antibiotika behandelt werden muss, dass der größte Teil aller Luftwegsinfekte im Kleinkindalter durch Antibiotika nicht schneller ausheilt und dass eine Antibiotika-Behandlung, wenn sie begonnen wird, auch viel kürzer sein darf, als früher angenommen.“ Die Studie bestätige laut Reichert, dass festgefahrene Verordnungsgewohnheiten ständig hinterfragt und dem aktuellen Wissenstand angepasst werden müssen. „Wichtig ist, dass bei der Antibiotika-Gabe – sofern sie nötig sein sollte – ein möglichst gezieltes Antibiotikum genutzt werden, und die Dauer der Therapie so kurz wie möglich sein sollte.“ Aber: „Antibiotika sind sichere und wichtige Medikamente, und richtig eingesetzt lindern sie das Leid und retten unzählige Leben.“

Welche Kinderkrankheiten mit Antibiotika behandelt werden

Krankheiten
Die wichtigsten Gründe für Antibiotika bei Kleinkindern sind schwere Harnwegsinfekte wie Nierenbeckenentzündungen, schwere Hautinfektionen und kompliziertere Mittelohrentzündungen, seltener auch Infektionen der unteren Atemwege wie Lungenentzündungen. Aber auch bei denen weiß man, dass viele ohne Antibiotika problemlos ausheilen, erklärt Friedrich Reichert vom Klinikum Stuttgart.

Resistenzen
Wenn nach Beginn der Therapie eine sehr rasche Besserung eintritt, kann man mit dem behandelnden Arzt besprechen, ob die Therapie auch früher beendet werden kann – das frühere Dogma „man muss immer die Packung fertig nehmen, sonst bilden sich Resistenzen“ sei eindeutig widerlegt, erklärt der Kindermediziner Friedrich Reichert vom Klinikum Stuttgart. „Resistenzdruck für die Keime entsteht immer durch die Gabe eines Antibiotikums, niemals durch die Nicht-Gabe.“