Der Landesvater und der Landkreistagspräsident auf der Fellbacher Bühne: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links), daneben der Tübinger Landrat Joachim Walter Foto: Gottfried Stoppel

Bei der 41. Landkreisversammlung in Fellbach hat der „Landesvater“ einige launige Sprüche parat. Kurz danach darf auch sein Stellvertreter Thomas Strobl bei einer Podiumsdiskussion über die Zukunft der digitalen Verwaltung ran.

Außergewöhnlich hohe Anzug- und Krawattendichte in der für diesen Anlass bestens geeigneten Schwabenlandhalle: Die Landkreischefs in Baden-Württemberg sind nicht nur großteils männlich, sondern bevorzugen auch weiterhin das konservative Outfit mit dunklem Zwirn und schickem Binder. Am Dienstagvormittag hatten sich mehr als 300 Abgesandte aus den entlegensten Gegenden des Südweststaats nach Fellbach zur 41. Landkreisversammlung aufgemacht. Neben angemeldeten 26 Landräten (darunter Rems-Murr-Chef Richard Sigel) und drei Landrätinnen waren Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Landwirtschaft vor Ort, aus Hochschulen und von der Gewerkschaft, Bundestags- und Landesparlamentarier (aus dem Rems-Murr-Kreis Stephan Seiter, Christina Stumpp, Siegfried Lorek und Julia Goll), Regionalpräsident und -direktor sowie als „Hausherrin“ mit der kürzesten Anreise natürlich auch Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull.

Einen kurzen Weg in den westlichsten Vorposten des Rems-Murr-Kreises hatte auch der Ehrengast, Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Bevor der 74-Jährige mit gewohnt öfter mal heiserer Stimme loslegen konnte, berichtete der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter, von den gewaltigen Sorgen und Nöten, die derzeit die Kreisverwaltungen umtreiben. Walter sprach von einer „Überforderungsfalle“, in die die untere, kommunale Verwaltungsebene in Baden-Württemberg „immer mehr verstrickt wird“.

Landkreise sind „stark und verlässlich“

Bund und Land bürdeten Städten, Gemeinden und Kreisen immer neue Aufgaben, Rechtsansprüche und Standards auf, ohne für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen und ohne auf den leergefegten Arbeitsmarkt Rücksicht zu nehmen. Als Beispiele nannte er den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen sowie die faktische Ausfallbürgschaft der Landkreise bei der hochdefizitären Krankenhausfinanzierung und bei der unzureichenden Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Handicaps.

Dabei seien die insgesamt 35 Landratsämter in Baden und Württemberg eigentlich gut aufgestellt – seien also „stark und verlässlich“, so auch das Motto des Treffens im Fellbacher Hölderlinsaal. Doch gleichzeitig müssten die Kreise mit strukturellen Fehlentwicklungen kämpfen. Dabei wollten die Landkreise keinesfalls nur Krisenmanager sein, „wir verstehen uns als Zukunftsmacher“, so Walter.

Der Sumpf und die Frösche

Der Landkreispräsident forderte eine ehrliche Debatte und insbesondere schnelle Entscheidungen „über politische Prioritäten und Posterioritäten“. Denn, so der Tübinger Landrat: „Nicht alles, was wünschenswert ist, kann auch geleistet werden.“ Kretschmann solle bald auf höchster Ebene über Entbürokratisierung und den Abbau von Standards sprechen und entscheiden. Jedoch dürften die Ministerien hier im ersten Schritt nicht mitmachen, weil diese solche Vorschläge nur zerreden würden. „Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen.“ Walter schlug eine Arbeitsgruppe aus Staats-, Finanz- und Innenministerium mit den Kommunen vor.

In seiner Rede zitierte Walter übrigens ausgerechnet einen Spruch von Che Guevara: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.“ Das amüsierte den neben Walter platzierten Ministerpräsidenten – der Landrat hielt wegen einer kürzlichen Knie-OP seine Rede im Sitzen – zwar durchaus, wobei er sogleich eine gewisse Distanz zum marxistischen Revolutionär Guevara erkennen ließ. Ansonsten: Bürokratieabbau – einem solchen Ziel will sich natürlich auch ein „Landesvater“ nicht verweigern. Kretschmann zeigte sich grundsätzlich bereit für eine solche Debatte, warnte aber davor, schnelle Erfolge zu erwarten. „Wenn Sie einsteigen wollen in eine Absenkung der Standards, müssen Sie sagen wo.“ Und dann müssten auch die Ministerien sofort beteiligt werden. „Die erste Adresse solcher Ansagen sind natürlich die Fachressorts.“ Das Problem sei, dass bei vielen Fragen der Bund oder sogar die europäische Ebene beteiligt seien. Er versprach, sich nach dem Höhepunkt der Krise dem Bürokratieabbau zentral zu widmen. Kretschmann sagte aber auch, es sei ja nicht so, „dass die Landratsämter frei von Amtsschimmeln wären“.

Talkgäste auf dem Sofa

Als Kretschmann dann mit kräftigem, soliden, aber nicht übermäßig langem Beifall verabschiedet wurde, durfte auch dessen Vize ran: Innenminister Thomas Strobl (CDU) war einer der Talkgäste auf dem Sofa zum Thema „Agilität und Resilienz“ und zeigte sich mit dem Glasfaserausbau in Baden-Württemberg sehr zufrieden: „Wir sind gut vorangekommen, es ist gewaltig gebaggert und gebuddelt worden.“