Was bringen stationäre Grenzkontrollen? Die FDP fordert, die Kontrollen nach der EM für ein Jahr beizubehalten. Die Gewerkschaft der Polizei ist skeptisch. Und was sagt die Forschung? Eine Einordnung.
Seit Gründung der Bundespolizei waren noch nie so viele ihrer Kräfte im Einsatz wie in diesen Wochen. Teilweise sind es bis zu 22 000 Beamte am Tag. Wegen der Fußball-Europameisterschaft arbeiten sie derzeit besonders viel und bekommen sogar Unterstützung von ausländischen Einsatzkräften – auch an den deutschen Grenzen. Dort hat das Bundesinnenministerium wegen der EM stationäre Kontrollen angeordnet, die noch bis zum 19. Juli gelten sollen.
Kürzlich veröffentlichte die Bundespolizei eine Halbzeitbilanz. Demnach führten die Einsatzkräfte in diesem Zeitraum fast 830 000 Grenzkontrollen durch. Dabei konnten die Polizeikräfte 603 offene Haftbefehle vollstrecken, 150 Schleuser vorübergehend festnehmen und 346 Menschen abweisen, die zuvor schon mal abgeschoben worden waren. Außerdem wurden mehr als 4 600 unerlaubte Einreisen festgestellt, von denen mehr als zwei Drittel verhindert werden konnten.
Lohnen sich die Kontrollen?
Könnte es sich lohnen, die Kontrollen zu verlängern, um irreguläre Migration zu begrenzen? Das forderte kürzlich FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in der „Bild“-Zeitung. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brandenburg hingegen spricht sich gegen die Maßnahme aus. Sie argumentiert, dass mobile Kontrollen effektiver seien.
Unabhängig von der EM gibt es seit Herbst 2023 stationäre Maßnahmen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz. Sie sollen bis kommenden Dezember gelten. Auch an der bayerischen Grenze zu Österreich wird schon länger kontrolliert, seit 2015 wird die Maßnahme dort immer wieder verlängert. Auch Sachsen prüft nun, eine landeseigene Grenzpolizei einzuführen.
Weniger Asylbewerber
Tatsächlich zeigt sich, dass die Zahl der Asylerstanträge in Deutschland gesunken ist, seitdem die Kontrollen im Herbst 2023 eingeführt wurden. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bitten inzwischen deutlich weniger Menschen um Asyl in Deutschland. In der ersten Jahreshälfte war es etwa ein Fünftel weniger als im Vorjahreszeitraum.
Die Migrationsforscherin Anne Koch von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bezweifelt allerdings, wie stark das mit den stationären Grenzkontrollen zusammenhängt. Sie schließt zwar nicht aus, dass die zusätzlichen Kontrollen an den Grenzen dazu beigetragen haben, dass weniger Asylbewerber nach Deutschland kommen. Aber sie sieht in der Maßnahme nur eine von verschiedenen Ursachen.
Nachholeffekt geht zurück
Wie Koch erklärt, kann es viele Gründe haben, wenn weniger Menschen in Deutschland um Asyl bitten. Dass es im Vorjahr besonders viele waren, liegt wohl auch daran, dass ihre Zahl während der Coronapandemie deutlich zurückging. Im vergangenen Jahr gab es offenbar einen Nachholeffekt, der nun wieder nachlässt.
Besonders entscheidend ist allerdings ein anderer Faktor. „Wir wissen aus der Forschung, dass die Situation in den Herkunftsländern den größten Effekt auf Fluchtbewegungen hat“, sagt Koch. Also: „Gibt es gerade irgendwo einen neuen Krieg oder eine andere Krise, die sich verschärft?“ Wie die Lage in den Zielländern sei, ob zum Beispiel Grenzen stärker kontrolliert werden, spiele hingegen eine kleinere Rolle. Dazu passt, dass aktuell nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU weniger Asylbewerber ankommen. Es erreichen derzeit ohnehin weniger Menschen die deutschen Grenzen – unabhängig von den Kontrollen.
Kosten und Nutzen
Migrationsforscherin Koch will jedoch auch nicht ausschließen, dass die Maßnahmen gar keinen Effekt haben. „Wer eine Grenze kontrolliert, der greift natürlich mehr Menschen dort auf“, sagt sie. „Aber man muss sich fragen, ob es so viele sind, dass sich der zusätzliche Aufwand wirklich lohnt.“ Letztlich gehe es darum, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen.
Koch hat außerdem rechtliche Bedenken, wenn es darum geht, die stationären Grenzkontrollen zu verlängern. Diese könne man nur anlassbezogen anordnen, betont sie. „Wenn man sie nun noch weiter verlängert, muss man sich aber fragen, was passieren muss, damit man sie wieder einstellt.“ Koch befürchtet, dass sich die Kontrollen verstetigen könnten. „Das wäre nicht im Sinne des Schengen-Rechts.“