Ärmliche Verhältnisse: syrische Flüchtlinge in der Türkei. Foto: Imago//radekprocyk

Vor der Wahl in der Türkei ist der Konsens zwischen Regierung und Oppositionsparteien groß: Sie wollen die Syrer im Land loswerden und versprechen in ihren Wahlprogrammen die Rückführung der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge.

Regierung und Opposition in der Türkei beziehen im Kampf um Stimmen bei den Wahlen im Mai zu den meisten Themen gegensätzliche Positionen. Nur in einem wichtigen Bereich sind sich beide Lager weitgehend einig: Sie wollen die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückschicken und dafür mit der syrischen Regierung verhandeln. Für Europa dürften Gespräche über das Flüchtlingsthema mit der Türkei nach den Wahlen schwierig bleiben. Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgte nach Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2011 eine Politik der offenen Tür und gewährte syrischen Flüchtlingen ein Aufenthaltsrecht in der Türkei. Im Flüchtlingsabkommen mit der EU 2016 verpflichtete sich seine Regierung, syrische Flüchtlinge an der Weiterreise nach Griechenland zu hindern; im Gegenzug erhielt die Türkei Milliardenhilfen.

„Syrer sollen so schnell wie möglich heimkehren“

In der türkischen Bevölkerung wächst seit Jahren der Unmut über die vielen Syrer, die häufig zu Niedriglöhnen arbeiten, auf dem Wohnungsmarkt mit Türken konkurrieren und in einigen Grenzstädten gegenüber den Türken in der Mehrheit sind. Die linksnationale CHP als größte Oppositionspartei fordert seit Langem, die Türkei solle die Syrer nach Hause schicken und dazu Kontakt zur Regierung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad aufnehmen.

Diese Positionen fanden nun Eingang ins Wahlprogramm einer Allianz der CHP mit fünf anderen Oppositionsparteien, die Erdogan bei den Wahlen am 14. Mai besiegen wollen. Syrer sollten im Rahmen der nationalen und internationalen Gesetze „so schnell wie möglich in ihr Land heimkehren“. Auch will die Opposition gegen illegale Beschäftigung von Flüchtlingen vorgehen, den Grenzschutz verstärken und Rücknahme-Abkommen mit Herkunftsländern von Flüchtlingen schließen. Sollte sie im Mai die Regierung übernehmen können, will die Opposition zudem die türkische Haltung gegenüber der EU in der Flüchtlingsfrage verschärfen: Das Rücknahme-Abkommen mit der EU von 2014 und der Flüchtlingsdeal von 2016 sollen neu verhandelt werden. „Wir werden nicht zulassen, dass die Türkei als ‚Pufferzone‘ behandelt wird“, heißt es im Programm.

Erdogan droht mit dem Einmarsch in Syrien

Spannungen zwischen der Türkei und der EU wegen der Flüchtlingsfrage gab es unter Erdogans Regierung immer wieder. 2020 öffnete Erdogan die türkische Landgrenze zu Griechenland für Flüchtlinge, um die EU unter Druck zu setzen. Innenpolitisch ist das Thema für den Präsidenten schwierig, weil seine Politik der offenen Tür und seine bisherige Weigerung, mit Assad zu reden, von vielen Türken für die Probleme verantwortlich gemacht werden. Erdogan hat deshalb eine 180-Grad-Wende hingelegt: Seine Regierung führt hochrangige Gespräche mit Assads Kabinett, um ein Gipfeltreffen mit dem syrischen Staatschef vorzubereiten.

Zudem wirbt Erdogan mit dem Argument um Wählerstimmen, die türkischen Militärinterventionen in Syrien in den vergangenen Jahren hätten sichere Rückkehrzonen für Syrer geschaffen. Schon jetzt seien 550 000 Syrer aus der Türkei in diese Gebiete gezogen, sagte er kürzlich. Der Präsident droht mit einer neuen Intervention im Nordwesten Syriens, die nach Befürchtung von Oppositionspolitikern noch vor den Wahlen im Mai stattfinden könnte.