Wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine verlassen Mütter mit Kindern und auch Senioren ihre Heimat. Foto: imago/IlluPics

Die Migration ist eines der wichtigsten Themen im Bundestagswahlkampf. Wie aber sieht die Situation vor Ort aus? Ein Blick nach Leinfelden-Echterdingen.

Dass immer mehr Geflüchtete nach Deutschland kommen, erhitzt schon lange die Gemüter. Die politische Debatte über das Thema Migration aber hat sich in Zeiten des Bundestagswahlkampf deutlich verschärft. Sie wird befeuert durch Anschläge, wie jetzt in München, wo ein junger Afghane mit seinem Auto in eine Menschenmenge gefahren ist. Wie aber sieht die Situation in den Kommunen aus? Aus welchen Ländern kommen die Menschen, die beispielsweise in Leinfelden-Echterdingen eine neue Bleibe suchen. Wie groß ist ihr Wille, hier zu arbeiten und damit integriert zu werden? Anhaltspunkte dafür liefern Zahlen, die in der Filderkommune im Sozialausschuss präsentiert wurden.

Anzahl Exakt 1173 Geflüchtete leben derzeit in Leinfelden-Echterdingen in kommunalen Sammelunterkünften, wie es sie beispielsweise auf dem Renault-Gelände gibt, in Wohnungen, welche die Stadt für die Geflüchteten als eine Art Zwischenmieter anmietet oder auch in privaten Wohnungen. Weitere 120 Menschen sind im Nödinger Hof, einem ehemaligen Hotel in Stetten untergebracht, das der Landkreis Esslingen schon vor Jahren in eine vorläufige Geflüchtetenunterkunft umgebaut hat.

Herkunft Die Geflüchteten kommen überwiegend aus der Ukraine, aus Syrien, aus Afghanistan, aus dem Irak, der Türkei, aus Eritrea und aus dem Iran, informieren Sozialbürgermeister Carl-Gustav Kalbfell sowie Mitarbeiter des Amtes für soziale Dienste. „Wie deren Bleibeperspektive sei, lässt sich aufgrund der volatilen Lage in den Herkunftsländern nicht sagen“, betont der Bürgermeister.

Zu den Menschen, die in Leinfelden-Echterdingen, zumindest eine Bleibe auf Zeit suchen, gehören auch immer mehr Kinder. Im vergangenen Jahr hat die Stadt insgesamt 65 Minderjährige aufgenommen. Auch die Zahl der Geflüchteten im Rentenalter nimmt zu. Beides liegt am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Aus diesem Kriegsgebiet „kommen Mütter mit Kindern und Senioren. Die wehrtüchtigen Männer befinden sich im Kriegsdienst“, informiert die Stadt. Und teilt mit: „Je mehr Kinder unter den Geflüchteten sind, desto mehr wird die entsprechende Infrastruktur der Stadt belastet.“

Gemeint sind damit Kinderärzte, Kitaplätze, Schulplätze, und Sprachförderklassen. Und: „Aus den anderen Staaten kommen zwar auch Familien im Rahmen des Familiennachzugs – vor allem aber allein reisende Männer.“

Auch der Anteil der Sinti- und Roma-Familien an den Geflüchteten in der Stadt nimmt zu. Diese Familien benötigten zunächst meist einen Alphabetisierungskurs. „Soweit sich dies nachverfolgen lässt, haben die Familien tatsächlich in der Ukraine gelebt und sind von dort geflohen“, teilt das Sozialamt auf Nachfrage mit. Es gebe jedoch unter ihnen auch solche, die eine andere Staatsangehörigkeit besitzen und demzufolge in ihrem „Heimatland“ Schutz suchen müssten.

Containerdörfer Um den vielen Menschen ein Dach über dem Kopf bieten zu können, werden in Leinfelden-Echterdingen neue Unterkünfte gebaut. Im März beziehungsweise April sollen die Bauten, die gerade im Leinfelder Neubaugebiet entstehen, in Betrieb gehen. Die Container werden Platz für 300 Menschen bieten. Sie werden dringend gebraucht: Über das Jahr 2025 müssten 122 Geflüchtete nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz aufgenommen werden, die Zuteilungsquote für ukrainische Geflüchtete stehe noch nicht fest. Die bisherige Unterkunft an der Bunsenstraße in Musberg musste geschlossen werden, deren Bewohnerinnen und Bewohner sind in andere Unterkünfte verlegt worden. In der Anschlussunterbringung, für welche die Stadt zuständig ist, gibt es aber auch „eine hohe Fluktuation“, wie der Bürgermeister betont. Will heißen: Menschen, die eine Arbeit und eine eigene Wohnung gefunden haben, machen Platz für Menschen ohne Sprachkenntnisse und Job. Und die Arbeit der Kommune beginne von vorn.

Erwerbstätigkeit Je nach Herkunft gehen fast die Hälfte oder sogar mehr als die Hälfte der Geflüchteten, die in Leinfelden-Echterdingen leben, einer Arbeit nach beziehungsweise suchen einen Job oder eine Ausbildungsstelle. Die meisten anderen haben gute Gründe, warum sie nicht arbeiten gehen können: Sie haben Kinder, aber keine Betreuung; sie sind gesundheitlich eingeschränkt, sie haben noch keine Arbeitserlaubnis oder sie nehmen gerade an einem Sprach- und Integrationskurs teil. Gerade einmal elf Menschen mangelt es an einer „Mitwirkungsbereitschaft“, wie es die Stadt ausdrückt. „Dort sind wir im engen Austausch mit dem Jobcenter. In Ausnahmefällen können wir auf die Personen auch dadurch einwirken, indem wir attraktiveren Wohnraum – beispielsweise eine LE-mietet-Wohnung oder weniger attraktiven Wohnraum in den Containern am Renaultgelände zuweisen“, heißt es dazu seitens der Stadtverwaltung.

Abschiebung Von der neuen Bundesregierung würden sich der Sozialbürgermeister Carl-Gustav Kalbfell und sein Team wünschen, dass Menschen ohne eine Bleibeperspektive in Deutschland konsequent in ihre Heimat zurückgeführt werden. So könnte die Zahl der Menschen, denen die Stadt ein Dach über den Kopf bieten muss, um mehr als zehn Prozent reduziert werden. Die finanziellen und personellen Ressourcen des Integrationsmanagements sowie der Sprach- und Integrationsförderung könnten dann auf die bleibeberechtigen Geflüchteten fokussiert werden.