Immer mehr Menschen versuchen, mit dem Boot über das Mittelmeer zu flüchten. Foto: dpa/Hermine Poschmann

Seit Jahren sucht die EU nach einer einheitlichen Migrations- und Asylpolitik. Lösungen werden aber immer wieder blockiert, die Unterschiede zwischen den Staaten sind zu groß.

Die Warnungen nehmen kein Ende, doch verhallten sie meist ungehört. Zuletzt hat Nina Gregori eine bessere Vorbereitung auf künftige Flüchtlingskrisen in Europa angemahnt. Die Leiterin der EU-Asylagentur EUAA erklärte jüngst, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und die russische Invasion in der Ukraine hätten gezeigt, wie schnell sich Migrations- und Asylmuster ändern könnten. Sie fordert, dass sich die Staaten der EU endlich auf eine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik einigen. Doch davon sind Europas Staaten weit entfernt.

Selbst kleine Erfolge werden gefeiert

Selbst kleine Einigungen werden in dieser Situation als Erfolge präsentiert. So sprach Italiens Innenministerin Luciana Lamorgese von einem „historischen Schritt“, als nun in Bari eine EU-Delegation eintraf, um den Transfer einer ersten Gruppe von Migranten in Richtung Frankreich vorzubereiten. Sie erklärte, dass erstmals das von Italien seit Jahren eingeforderte Solidaritätsprinzip der EU von einer „sehr großen Zahl von Mitgliedstaaten“ mitgetragen werde.

Das ist jedoch eine sehr optimistische Darstellung des sogenannten freiwilligen Solidaritätsmechanismus, auf den sich 21 EU-Staaten im Juni geeinigt haben. Der Vertrag soll vor allem die südlichen Länder Italien, Spanien, Malta, Griechenland und Zypern entlasten, wo sehr viele Flüchtlinge ankommen. Allerdings haben sich nur 13 der 21 Länder bereit erklärt, Migranten auch tatsächlich aufzunehmen. Sie haben Zusagen für insgesamt gut 8000 Menschen gemacht, Deutschland übernimmt davon 3500. Die anderen Staaten werden den Solidaritätsmechanismus lediglich mit Geld und Personal unterstützen. Es gibt aber auch weiter Länder wie Ungarn oder Österreich, sich strikt gegen eine Umverteilung der Flüchtlinge wehren.

Die Zahl der Flüchtlinge steigt

Aber auch Menschenrechtsorganisationen sind von der Idee nicht überzeugt. Allein in Italien sind nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR in diesem Jahr bereits mehr als 35.000 Menschen angekommen. Auf der zentralen Mittelmeerroute registrierte die Grenzschutzagentur Frontex 44 Prozent mehr Grenzübertritte als in den ersten sieben Monaten des letzten Jahres. Die Vereinten Nationen zählten in diesem Jahr bereits fast 1000 Tote oder Vermisste im zentralen Mittelmeer. „Dieser Solidaritätsmechanismus ist daher ein kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein“, sagt Torsten Moritz, Generalsekretär der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa.

Kritisiert wird allerdings auch ein zweiter, zentraler Punkt des Solidaritätsmechanismus: die Screening-Verordnung. Die sieht vor, dass alle Personen, die die Voraussetzungen für die Einreise nicht erfüllen, an den Außengrenzen Identifizierungs- und Sicherheitskontrollen durchlaufen sowie Gesundheitskontrollen und Prüfungen der Schutzbedürftigkeit. Hilfsorganisationen beschreiben die Zustände an den Außengrenzen schon jetzt als erbärmlich und fürchten nun, dass sich mit der Screening-Verordnung die Lage noch verschärfen wird. Aus diesem Grund sei auch dieser Solidaritätsmechanismus eine Augenwischerei, kritisieren Menschenrechtler, in Wirklichkeit sei er ein weiterer Schritt in Richtung Abschottung der EU.

Europa schottet sich immer weiter ab

In dieses Bild der „Festung Europa“ passen nach Ansicht von Menschenrechtlern auch die Skandale, in die offensichtlich die Grenzschutzagentur Frontex verwickelt ist. Dort musste der langjährige Chef Fabrice Leggeri im Frühjahr zurücktreten. Als Hintergrund gelten insbesondere Ermittlungen zur illegalen Zurückweisung von Migranten im Mittelmeer. Ihnen zufolge sollen Führungskräfte der in Warschau ansässigen Agentur absichtlich vertuscht haben, dass griechische Grenzschützer Flüchtlinge zurück aufs offene Mittelmeer brachten. Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Außengrenzen - sogenannte Pushbacks - sind nach internationalem Recht illegal.

Wesentlichen Einfluss auf die aktuelle Entwicklung in Sachen Europas Migrationspolitik wird der Ausgang der Wahlen in Italien im September haben. Dort scheint ein Sieg von drei Parteien der Mitte-Rechts-Allianz sehr wahrscheinlich. Im bereits seit Wochen tobenden Wahlkampf ist die Lage im Mittelmeer ein wichtiger Punkt. Der Willen der Wahlfavoritin Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d’Italia: eine Seeblockade schon vor den Küsten Nordafrikas, Camps für die Geflüchteten, frühzeitiges Aussortieren der Nicht-Asylberechtigten. In ihren Plänen spielen auch die libyschen Sicherheitskräfte eine wichtige Rolle, die beim „Schutz der europäischen Grenzen mithelfen“ könnten.

Das Bangen vor der Wahl in Italien

Sie scheint es auch nicht zu stören, dass Libyen bei den Flüchtlingsbewegungen seit Jahren eine mehr als zwielichtige Rolle spielt. Immer wieder werden Aussagen von schweren Misshandlungen der Migranten durch Sicherheitskräfte veröffentlicht. Nun machen Berichte die Runde, dass Flüchtlinge gezielt eingesetzt werden, um die Grenzen zu destabilisieren – ähnlich der Vorgänge im Winter an der polnisch-belarussischen Grenze. Damals wurde das Leid der Menschen vom Regime in Minsk, offensichtlich unterstützt vom Kreml in Moskau, als eine Art „Waffe“ instrumentalisiert.

Die italienische Zeitung „La Repubblica“ berichtete, dass nach Einschätzung der Geheimdienste die Söldner der russischen Wagner-Gruppe und die verbündeten Milizen von General Haftar in Libyen sehr viele Migranten zu den Überfahrten drängen. Damit soll Italien unter Druck gesetzt werden, was als Wahlhilfe für die postfaschistische Giorgia Meloni dienen würde.

Dieser Analyse widersprich aber EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. „Nein, wir haben keine wirklichen Anzeichen dafür, dass er (Putin) eine hybride Drohung gegen die EU einsetzen wird“, sagte die Schwedin kürzlich. Zugleich traue sie Putin jedoch keine Sekunde. Er wolle nicht nur die Ukraine zerstören, sondern auch die EU destabilisieren. Europa müsse aus diesem Grund „äußerst wachsam“ bleiben.