Es sollte eine Routineuntersuchung werden: Ein Zuckertest mit Glukoselösung. Stattdessen bekommt die Patientin Methadon, in einer gefährlichen Überdosis. Bis heute leidet sie unter den Folgen.
Ihr Körper brenne. So beschreibt die Klägerin ihren Zustand. Seit zwei Jahren hat die Frau diverse gesundheitliche Probleme. Diese führt sie auf eine Verwechslung zweier extrem unterschiedlicher Substanzen bei einem Arzttermin zurück. Sie sollte eigentlich für einen Zuckertest eine Glukoselösung trinken. Stattdessen wurden ihr 250 Milliliter einer Methadonlösung gegeben. „Ich hab noch gesagt, es kratzt im Hals, da sagte die Helferin, ich soll weitertrinken.“ Danach kollabierte sie, wurde als Notfall ins Krankenhaus gebracht, lag dort zwei Wochen auf der Intensivstation. „Ihr Leben hing am seidenen Faden“, sagt ihr Anwalt Oliver Wicher.
Die Patientin will nun Schmerzensgeld für die Folgen der fatalen Verwechslung. Da außergerichtlich keine Einigung mit der Apotheke und der Arztpraxis möglich war, hat sie nun geklagt. Am Donnerstag war der erste Verhandlungstag in dem Zivilverfahren am Stuttgarter Landgericht.
Der Frau kommen die Tränen, wenn sie von dem Arzttermin am 2. März 2023 berichtet. Die Arzthelferin habe eine Flüssigkeit eingegossen, die sie dann aus dem Plastikbecher getrunken habe. Es ging darum abzuklären, ob sie eine Diabeteserkrankung habe. Der Facharzt sollte anhand der Reaktion des Körpers auf die Glukoselösung dazu Erkenntnisse gewinnen.
Ein Bild der Flasche wirft der Vorsitzende Richter an die Wand im Gerichtssaal. Es ist ein typisches Medikamentenfläschchen aus braunem Glas mit rotem Deckel und einem von Hand aufgeklebten Etikett der Apotheke, die die Lösung angemischt und verkauft hat. Sie habe die Flasche nicht weiter angeschaut, warum auch, sagt sie. 25 Jahre alt war sie bei dem Untersuchungstermin. Sie brach zusammen, hatte Atemprobleme und eine Reihe weiterer Beschwerden. Die Sauerstoffsättigung im Blut sei auf 39 Prozent gesunken. „Nach zehn Minuten wäre sie tot gewesen“, so ihr Anwalt. Auch der Kammer ist die Dramatik bewusst. „Es ist ein Glück, dass das in einer Arztpraxis passiert ist und Sie gleich ins Krankenhaus kamen“ , konstatiert der Vorsitzende Richter.
Beim Beschreiben der Folgen des Zwischenfalls kommen der Klägerin wiederholt die Tränen. Erst nach zwei Wochen sei kein Methadon mehr in ihrem Urin nachweisbar gewesen. In der Nacht habe man sie „mit Drogen in Verbindung gebracht“ und damit ihre Familie geschockt. „Die Polizei klingelte bei ihnen in Köln. Ich bin hier alleine, ich kam für zweieinhalb Jahre für einen Job als Spezialistin für Qualitätsmanagement in der Medizintechnik nach Stuttgart.“ Ihre Familie erhielt die Botschaft: „Sie liegt mit einer Überdosis im Krankenhaus.“ Im Krankenhaus erlitt sie einen Darmverschluss und eine Lungenentzündung. Seit jener Zeit habe sie psychische und physische Folgeschäden, die sich auch in der Arbeit auswirken würden – wo jedoch ein Vertrauensverhältnis herrscht, die Chefin begleitete die Klägerin bei dem Prozess. Migräne plage sie, Herzrasen, Übelkeit und Schlafstörungen. Täglich nehme sie Tabletten, darunter auch Betablocker und Schmerzmittel. Auf lange Sicht sei ein Leberschaden deswegen nicht auszuschließen. Vier Monate nach dem Methadonzwischenfall begann sie eine Therapie, es sei eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt worden. Nachts sieht sie mitunter plötzlich Bilder aus der Zeit im Krankenhaus. „Ich bete um Hilfe. Ich möchte doch eigentlich nur weiterleben“, sagt die junge Frau und bricht in Tränen aus.
Der Anwalt der Apotheke will Belege für die Gesundheitsprobleme
Die Gegenseite, das sind die Anwälte der Arztpraxis und der Apotheke, signalisierten bei der Verhandlung die Bereitschaft, sich auf ein Schmerzensgeld zu einigen. Damit es aber in der von der Klägerin geforderten und auch vom Gericht vorgeschlagenen Höhe von 28 000 Euro fließen könne, brauche man mehr Informationen, so der Anwalt der Apotheke. Er soll nun Unterlagen zu den Behandlungen und Befunden der Patientin bekommen. Vor allem an der Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung äußerte er Zweifel. Diese werde „inflationär festgestellt“, er wolle da „schon was Handfestes“, so der Anwalt.
Der Vorsitzende Richter sagte nach einer Beratungspause, man sehe nicht, wie die Apotheke nicht haften solle. Eindeutig müsse der Fehler dort geschehen sein. Der Mitarbeiterin der Arztpraxis, gegen die das Strafverfahren inzwischen eingestellt worden sei, könne man kaum Vorwürfe machen. Es sei „so fernab der Vorstellung, dass in der Flasche etwas anderes drin ist“, dass man da keine Kontrollpflicht konstruieren könne. Dennoch solle die Praxis 5000, die Apotheke 23 000 Euro zahlen – respektive deren Haftpflichtversicherungen. Bis Anfang Mai haben die Parteien nun Zeit, sich zu einigen.