Bei der Messe suchen junge Menschen Orientierung. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Im Ausbildungsdschungel verlieren viele Abiturienten zunehmend den Überblick – eine Messe in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle versucht Abhilfe zu schaffen.

Abi in der Tasche – und dann? Gute Frage. Manchmal ist es für junge Menschen gar nicht so einfach zu wissen, was man gut kann und für was man sich wirklich interessiert. Hinzu kommt: Die Möglichkeiten, die der Arbeits- und Ausbildungsmarkt bietet, sind inzwischen nahezu unbegrenzt. Die Folge ist nicht selten: Orientierungslosigkeit.

Die Messe „horizon“ (zu Deutsch: Horizont), die am Freitag und Samstag in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle stattfand, hat den Bedarf erkannt und nennt sich selbst folgerichtig „Orientierungsmesse“: Das Angebot gibt Hilfestellung bei der zunehmend komplexer werdenden Berufs- und Studienwahl. Über 80 Aussteller aus Wirtschaft und Bildung informierten auf der Messe zwei Tage lang über Themen wie Studium und Ausbildung, aber auch über die vielfältigen Möglichkeiten, nach der Schule erst einmal eine sinnvolle Auszeit zu nehmen. Zielgruppe der Messe sind Abiturienten kurz vor oder nach Abschluss der Schullaufbahn.

Viele sind nach der Schule unschlüssig

Dass genau die häufig zu jung sind, um sich im extrem weit verzweigten Berufs- und Ausbildungsdschungel für Abiturienten zurechtzufinden, gibt Elisabeth Schloss zu bedenken. Die Calwerin besucht am Samstag mit ihren beiden Söhnen und einer Tochter die Messe. Durch G8 fehle manchen Jugendlichen ein Entwicklungsjahr, sagt sie. „Es gibt bei den jungen Leuten die Angst, im Studium verlorenzugehen“, so die Mutter von drei Kindern. „Eigentlich müssen die Jugendlichen nach der Schule erst einmal einen Fuß auf den Boden bekommen.“ Ein Plädoyer für die betriebliche Ausbildung vor dem Studium? Ja, warum nicht, sagt Schloss.

Dass viele nach der Schule tatsächlich noch unschlüssig sind, merkt man auch beim Landesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Baden-Württemberg, wo die Nachfrage ungebrochen ist. Die hohe Motivation zum FSJ sei zum Teil darin begründet, dass manche Schüler nach der Schule nicht wüssten, wie es weitergehen soll, sagt Elisabeth Hoffmann, Bildungsreferentin des Freiwilligendienstes der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Viele“, betont sie, „brauchen eine Auszeit, in der sie sich orientieren können.“

Firmen suchen händeringend nach Personal

Die Erfahrung, dass Bewerber angesichts der gegebenen beruflichen Vielfalt den Durchblick verlieren, macht auch Tobias Leopold von Netze BW. „Dass viele Firmen unter Fachkräftemangel leiden, führt dazu, dass die Bewerber enorm viele Zusagen bekommen“, so der Ausbilder für die dualen Studenten in den technischen Studiengängen bei Netze BW. Die Folge sei, dass die jungen Leute am Ende nicht mehr wüssten, für was sie sich entscheiden sollen.

Diese Entwicklung hat sich, nach Ansicht Leopolds, durch die Pandemie noch verstärkt: „In den Jahren 2020 bis 2022 hat zu wenig Berufsorientierung an den Schulen stattgefunden“, sagt er. Alles zusammen führt dazu, dass die Abiturienten nicht nur das Bedürfnis haben, sich nach dem Schulabschluss Freiräume zu schaffen. Aufgrund der komfortablen Arbeitsmarktsituation können sie es auch.

Work and Travel hoch im Kurs

Die Pläne der 19-jährigen Antonia König aus Stuttgart passen da ins Bild: Die junge Frau macht gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr. Dabei weiß sie eigentlich schon, dass es bei ihr in Richtung Filmproduktion gehen soll. „Ich versuche hier jetzt herauszufinden, welches Studium oder welche Ausbildung ich machen kann“, erklärt sie. Aber eben auch: dass gegen eine Zeitlang „Work and Travel“ nichts einzuwenden wäre.

Ganz andere Fragen stellen sich Antonia Königs Freundinnen Gulhahor Qodirova und Shahnoza Saidjanova. Die beiden kommen ursprünglich aus Tadschikistan. „Für uns“, sagen sie, „ist es wegen der Sprache, aber vor allem wegen der Anerkennung der Zeugnisse generell schwierig, ein Studien- oder Ausbildungsplatz zu finden.“