Beim Großen Preis von Frankreich stehen zum ersten Mal in dieser Saison beide Mercedes-Piloten auf dem Podium – das Auto gibt allerdings weiter Rätsel auf.
Toto Wolff ist nach Großen Preisen der Formel 1 ein viel gefragter Interviewpartner, der Mercedes-Teamchef steht Fernsehteams wie Printreportern stets Rede und Antwort – in dieser Saison musste der Österreicher dafür kaum Vergnügungssteuer bezahlen, ziemlich regelmäßig musste er erklären, dass er nicht erklären könne, warum der Silberpfeil so schwer zu beherrschen sei und weshalb seine Fahrer für Rennsiege nicht infrage kämen.
Frankreich war für Mercedes ein Wechselbad der Emotionen
Nach dem Grand Prix von Frankreich gab es für Toto Wolff ein Kontrastprogramm vor den Kameras und Diktiergeräten. Der 50-Jährige durfte kommentieren, dass Lewis Hamilton Zweiter und George Russell Dritter geworden waren – und es war unschwer zu erkennen, dass Wolff dafür wohl bereit gewesen wäre, Vergnügungssteuer zu entrichten. An wen auch immer. „Insgesamt haben die Fahrer einen wirklich guten Job gemacht, die Teamleistung war großartig. Wir holen derzeit das Maximum heraus, was am Renntag möglich ist“, sagte der Rennstallboss und lächelte zwischen den Sätzen: „George war clever und schnell, während Lewis gekämpft hat wie ein Löwe.“ Beide Fahrer mit Stern auf dem Rennoverall auf dem Podium, das hatte es in dieser bislang recht enttäuschenden Saison für Mercedes noch nie gegeben. Bestenfalls reichte es für einen auf Platz drei.
Frankreich war für die gesamte Motorsporttruppe aus Brackley ein Wechselbad der Emotionen. Ursprünglich war das Team zuversichtlich nach Le Castellet gereist, die Ingenieure hatten einige Verbesserungen ans Auto gebracht, Mercedes hatte sich ausgemalt, mit Ferrari und Red Bull ein Wörtchen mitreden zu können in der Diskussion um Platz eins – doch nach dem Qualifying herrschte Ernüchterung, als habe Wolff seine Schlüsselkarte vom Hotelzimmer verlegt: „Wir dachten, wir fahren hier um den Sieg – nun sind wir weiter hinten als davor.“ Eine Sekunde fehlte auf die Spitze.
Der Silberpfeil liegt noch rund sechs bis sieben Zehntelsekunden hinter Ferrari und Red Bull
Am Rennsonntag wandelte sich der Silberpfeil wie einst Mister Hyde in Doktor Jekyll, plötzlich war (fast) alles vorhanden, was für einen Erfolg nötig war. Hamilton cruiste sicher hinter Sieger Max Verstappen ins Ziel, Russell wehrte gar die penetranten Versuche von Red-Bull-Fahrer Sergio Perez ab, der unbedingt aufs Podium wollte. Dabei muss erwähnt werden, dass Mercedes mit vom verpatzten Auftritt der Scuderia Ferrari profitierte. Charles Leclerc hatte sein Auto mit einem Fahrfehler in die Reifenstapel bugsiert, Carlos Sainz kassierte eine Strafe vor dem Rennen sowie eine währenddessen und wurde Fünfter.
Die zwei Gesichter des Silberpfeils. In der Qualifikation auf einer schnellen Runde nur gehobenes Mittelmaß, im Rennen über 300 Kilometer ein Kandidat für weiter vorn. Nach der ersten Datenanalyse wagte Wolff eine Erklärung für die Launenhaftigkeit der Diva mit dem Namen W13. „Im Qualifying haben wir Mühe, die Reifen ins optimale Fenster zu bringen, und es gelingt uns nicht, das Maximum aus der ersten fliegenden Runde rauszuholen“, erklärte der gebürtige Wiener, „im Rennen verlieren wir in der Anfangsphase drei Sekunden – aber wenn wir uns stabilisiert haben, sind wir eigentlich gar nicht so schlecht.“ Aber ein „eigentlich“ dürfte niemanden so richtig zufriedenstellen, Mercedes will nicht um den Titel „Best of the Rest“ fahren, sondern um den WM-Titel – der Silberpfeil liegt aber noch rund sechs bis sieben Zehntelsekunden hinter Ferrari und Red Bull. „Wir müssen deshalb bescheiden bleiben, unser Auto ist einfach nicht gut genug, um mit den Teams an der Spitze zu kämpfen“, betonte Wolff.
Hamilton hat gefühlt „drei Kilogramm“ Körpergewicht im Rennen verloren
Dennoch sind Wolff, Hamilton, Russell und die gesamte Mannschaft mit einem guten Gefühl aus Frankreich abgereist. Der Trend zeigt klar nach oben, die eingeleiteten Maßnahmen greifen zusehends, der Teamspirit ist vollkommen intakt, die Motivation steigt mit jedem guten Resultat. „Im Vergleich zu dem, wo wir noch vor ein paar Monaten in Monaco und Baku waren“, sagte Chefingenieur Andrew Shovlin, „ist es wirklich befriedigend zu sehen, dass das Team und die Fahrer wieder etwas Spaß haben.“
So war es für Hamilton ein erfreuliches Jubiläum im 300. Grand Prix – obwohl das Trinksystem streikte und der 37-Jährige gefühlt „drei Kilogramm“ Körpergewicht im Rennen verloren hatte. „Für meine Wegbegleiter und die ganze Mannschaft wollte ich ein gutes Ergebnis“, sagte Hamilton, „es ist schön, dass das gelungen ist. Mit viel positiver Energie reise ich nach Ungarn.“ Nicht nur der Star des Mercedes-Teams dürfte von einem guten Gefühl erfüllt sein.