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Petra Afonin spielt Ortrud Beginnens „Mein Freund Rudi – Ein Wohltätigkeitsabend für alternde 68er“ im WLB-Studio am Esslinger Blarerplatz.

EsslingenAmi go home!“, „Fuck Nixon!”, „Ho-ho-ho-chi-minh!“ skandiert das Publikum im Studio am Blarerplatz. Die Diseuse Petra Afonin und der Pianist Oliver Krämer feuern aber nicht nur an zu solchen Schlachtrufen der 1968er-Demos, sondern auch zu gymnastischen Sporteinheiten, bei denen sich alle recken und strecken bis zur Pflasterstein-Wurfhaltung. Auch einen Sehtest gibt es an diesem Abend an der Esslinger Landesbühne: mit RAF-Fahndungsfotos, auf denen man auf die Ferne das Geschlecht der vorwiegend Langhaarigen erkennen soll.

Wir befinden uns bei einem „Wohltätigkeitsabend für alternde 68er“, so der Untertitel des Solo-Theaterabends „Mein Freund Rudi“, den die große Schauspielerin und Kabarettistin Ortrud Beginnen 1989 geschrieben hat. Sie wäre dieses Jahr 80 geworden. Und weil 1968 genau 50 Jahre her ist, fügt sich alles zu einem doppelten Jubiläum, das die WLB in Kooperation mit dem Zimmertheater Tübingen feiert: mit einem sehr unterhaltsamen Abend, der gemessen an seinem Gegenstand freilich recht harmlos daherkommt. Schließlich richtet er sich ja an jene Alt-68er, die es sich schon früh im bürgerlichen Leben gemütlich gemacht haben, und nicht an jene, die im Untergrund zu RAF-Terroristen mutierten. Die Pointen geben sich die Hand, und der musikalische Kosmos, den die Musikkabarettistin Afonin und ihr Pianist darbieten, ist groß: Hits von damals, Kunst- und Protestlieder, Neukomponiertes – von Schumanns Eichendorff-Vertonung „Es zogen zwei rüst’ge Gesellen“ über Dessaus und Brechts „Lied von der Kapitulation“ bis hin zu „Yesterday“ von den Beatles. Gespielt wird eine aktualisierte Bearbeitung des Beginnen-Originals.

„Viva la revolución“: Hinten auf drei Stellwänden prangt ein Foto einer Protestdemo, angeführt von Rudi Dutschke – und ergänzt durch die Fahne schwenkende Marianne aus Delacroix’ Revolutionsgemälde „Die Freiheit führt das Volk“. Ansonsten spielt Rudi, der Wortführer der Studentenbewegung, aber keine große Rolle an diesem Abend, den James Lyons in Szene gesetzt hat. Stattdessen wird fröhlich mit den Klischees gespielt und die Tatsache aufs Korn genommen, dass die Revolution von jeher ihre Kinder frisst, dass viele der 68er-Revoluzzer schon bald im Staatsdienst landeten oder in anderer Weise Teil des einst so verhassten Establishments wurden und dass sich gerade vergangene Revolutionen prima vermarkten lassen.

„Willkommen in der Rudi-Dutschke-Wellness-Oase“ begrüßt also Afonin die „Veteraninnen und Veteranen unserer großen, glorreichen 68er-Revolution!“, und spielt die Animateurin in einer gut gelaunten Nostalgie-Gala, die zur Spendensammlung für den Bau einer artgerechten Aufbewahrungsanstalt für APO-Omas und -Opas – eines „Stamm-Heims“ – aufruft, wo man dann vor dem Essen nicht „Guten Appetit“ sage, sondern „Rentner runter vom Balkon, unterstützt den Vietcong!“. Die Animateurin in lila-rotem Happyhippie-Kleid und mit doppeltem Peace-Emblem um den Hals preist 68er-Devotionalien in Werbeblöcken an: ein Brettspiel „Zieht dem Schah die Feder aus dem Hintern“ (basierend auf den Ereignissen des 2. Juni 1967); ein „Bullenblaulicht“ für den Nachttisch – geeignet für erotisch-politische Verfolgungsjagden; eine Kuckucksuhr mit Karl-Marx-Kopf: „Da schaut er jede Stunde heraus und fragt: ‚Wie spät ist es?’“ Nicht zu vergessen der selbstgebastelte mobile Revolutionsaltar aus BHs, einst von ihren Trägerinnen als „Zwangstextilien“ entsorgt. Eingebettet in Wolf Biermanns „Commandante Che Guevara“-Song preist Afonin dann einen Obstteller mit dem berühmten Konterfei des kubanischen Guerillakämpfers zum Verkauf an: „nur 49,80!“ Auch mit Sponti-Sprüchen wird nicht gespart: „Unterm Pflaster liegt der Strand“, „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, „Wer sich auf den Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Stelle“.

Afonins skurrile Performance des Mao-Tse-tung-Gedichts „Beim Besuch des Ching-Kang Berges“ unterlegt Pianist Oliver Krämer mit einer Art Stummfilmbegleitung, „99 Luftballons“ und den Walkürenritt zitierend. Mit seinen musikalischen Arrangements sorgt er stets für die richtige Atmosphäre; seine Vertonung von Mörikes „Feuerreiter“, das den Brüsseler Kaufhausbrand vom 2. April 1968 kommentiert, gehört zu den Highlights des Abends.

Richtig nachdenklich wird es im Prévert-Song „Chasse à l’enfant “, den Afonin zur Klage einer trauernden Mutter eines Terroristen umgetextet hat. Ansonsten wird das Thema Gewalt nur angedeutet: Ein Witzle gibt’s zur Peter-Lorenz-Entführung, tödlich ausgehende Menschenraube werden ausgeklammert. Damit hatte man nichts zu tun, belehrt die APO-Omi ihre kritisch nachfragende Enkelin: „Wir waren Haschrebellen und Spaßguerilla. Wir wollten nur spielen! Unsere Bomben waren nur aus Pudding, Mehl, Joghurt. Was war das gegen die Napalmbomben der Amis!“

Die nächsten Vorstellungen: 30. April, 5. und 11. Mai, 7. und 29. Juni.