Beginnt das eigene Herz schon nach kurzer Anstrengung zu rasen, ist das ein Fall für den Arzt. Foto: Your_Photo_Today/AJP_Sante

Der Deutsche Herzbericht zeigt: Rund vier Millionen Bundesbürger haben eine Insuffizienz – und immer mehr Menschen sterben an dieser Volkskrankheit. Für den Vorstandsvorsitzenden der Herzstiftung ist klar: Die bisherigen Vorsorgemaßnahmen greifen zu kurz.

Schon bei kleinsten Anstrengungen ringen Menschen mit Herzschwäche nach Atem. Bis zu vier Millionen Bundesbürger sind von dieser Erkrankung betroffen – und sterben viel zu oft daran. Das hebt der „Deutsche Herzbericht – Update 2024“ hervor, den die Deutsche Herzstiftung gemeinsam mit mehreren medizinischen Fachgesellschaften vorgestellt hat. Der Vorsitzende der Herzstiftung, Thomas Voigtländer, zeigt Strategien gegen die Volkskrankheit auf.

Herr Voigtländer, bis vor zwei Jahren ist die Zahl der Todesfälle durch Herzschwäche zurückgegangen. Nun sterben wieder mehr Menschen daran. Was sind die Gründe?

Es gibt Anzeichen, dass die Sterblichkeit infolge von Herzerkrankungen wieder steigt – nicht nur bei der Herzschwäche. Es gilt nun zu untersuchen, ob unsere bisherigen Vorsorgemaßnahmen nicht richtig zum Tragen kommen. Auch ist es möglich, dass diese Entwicklung mit der Coronapandemie zusammenhängt: In dieser Zeit sind nachweislich weniger Menschen zum Arzt gegangen und Anzeichen für eine Herzerkrankung wurden weniger wahrgenommen. Bislang ist das aber Spekulation.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Menschen mit Herzschwäche?

Eine schwere Herzschwäche muss ebenso ernstgenommen werden wie eine Tumorerkrankung. Der aktuelle Herzbericht zeigt: Etwa 50 Prozent aller an einer Herzschwäche erkrankten Menschen versterben innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren nach der Diagnose. Die Maßnahmen und Möglichkeiten der modernen Medizin sind vielfältig: Wir können die Symptomatik und auch die Prognose bei Herzschwäche verbessern und auch die Begleiterkrankungen wie die koronare Herzerkrankung oder Bluthochdruck gut behandeln, aber eine Heilung der Herzinsuffizienz gibt es nicht.

Thomas Voigtländer ist Kardiologe und Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung. /DHS / Andreas Malkmus

Wie alt sind die Menschen im Schnitt, wenn sie die Diagnose Herzschwäche erhalten?

Die Herzschwäche ist vor allem eine Erkrankung der Älteren. Wir haben im aktuellen Herzbericht die Krankenhausdaten des Jahres 2022 erfasst. Demnach sind in der Altersgruppe ab 65 rund 13 mal mehr Menschen von einer Herzschwäche betroffen als in der Gesamtbevölkerung. Doch die Erkrankung entwickelt sich viel früher – häufig aus einer koronaren Herzerkrankung heraus oder sie ist die Folge einer Hypertonie. Und davon sind schon Jüngere betroffen. Jeder Zweite im Alter von 50 Jahren hat derzeit Bluthochdruck.

Nehmen die Bundesbürger Herzerkrankungen zu sehr auf die leichte Schulter?

Ich glaube schon. Vor Tumorerkrankungen hat jeder Angst, die Gefahr bei Herz-Kreislauferkrankungen wird dagegen unterschätzt: Viele glauben, es sind Erkrankungen, für die es ausreichend Behandlungsmöglichkeiten gibt. Dabei sterben die allermeisten Menschen in Deutschland an Herz-Kreislauferkrankungen. Die Herzschwäche ist etwa die dritthäufigste Todesursache. Ein Bewusstseinswandel vollzieht sich erst, wenn ein Freund oder Familienmitglied einen Infarkt erleidet. Dann rückt die eigene Herzgesundheit stärker in den Fokus.

Muss sich unsere medizinische Versorgung ändern?

Meiner Meinung nach muss schon viel früher danach geschaut werden, wie groß das Risiko für Herzerkrankungen bei einem Patienten ist. Dabei sind Ärzte und Patienten gleichermaßen gefragt. Wichtig wäre dann ein großer Herz-Check mittels Ultraschalluntersuchung. Auch wäre es gut, zwei, drei Laborwerte einzuholen, die anzeigen, ob jemand infarktgefährdet ist. Wenn man immer nur wartet, bis die ersten Symptome auftauchen, ist die Krankheit oft schon zu weit fortgeschritten, um schwerere Folgeerkrankungen wie etwa die Herzschwäche zu verhindern. Auch erfordert die hohe Last an Begleiterkrankungen bei Herzschwäche ein stärker vernetztes Vorgehen in der Herzmedizin – etwa über moderne Technologien wie die telemedizinische Überwachung.

Das Gesunde-Herz-Gesetz wurde auf den Weg gebracht. Was erhoffen Sie sich davon?

Das Gesetz hat schon jetzt etwas Gutes bewirkt: Nämlich die große Aufmerksamkeit für Herzerkrankungen. Im Fokus der Vorsorgeuntersuchungen, die angeboten werden sollen, stehen die Risikofaktoren wie erhöhte Fettwerte, Cholesterin, Bluthochdruck und nicht erkannter Diabetes. Diese sollen auch schon im Kindesalter erfasst werden. Das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Schritt, ebenso, weil das Gesetz uns nun ermöglicht, Risikopatienten schon früh und adäquat medizinisch zu versorgen.

Wird in Deutschland auch genug in die Forschung investiert?

Es darf natürlich weitaus mehr sein. Es stimmt schon, dass im Vergleich zur Tumorforschung das Budget für die Erforschung von Herz-Kreislauferkrankungen geringer ist. Dabei ist der Bedarf da: Wir als Deutsche Herzstiftung sind der drittgrößte Förderer in diesem Bereich. Gerade erst haben wir die Finanzierung verschiedener Projekte angeschoben – darunter auch eine Studie zum Thema Herzschwäche.

Experten für kranke Herzen

Mediziner
 Thomas Voigtländer arbeitet als leitender Kardiologe und ist Ärztlicher Direktor eines Belegkrankenhauses, des Agaplesion-Bethanien-Krankenhauses, in Frankfurt am Main. Den Vorsitz der Deutschen Herzstiftung hat Voigtländer 2021 übernommen.

Bericht
 Der Deutsche Herzbericht wird von der Herzstiftung zusammen mit den ärztlichen Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK), Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) sowie Kinderkardiologie (DGPK) jährlich herausgegeben. Der Bericht 2024 dokumentiert die Herzerkrankungen aus dem Jahr 2022. Er kann kostenfrei als e-Paper abgerufen werden: www.herzstiftung.de/herzbericht

Risikotest
 Die Herzstiftung bietet unter www.herzstiftung.de/risiko einen kostenfreien Herzinfarkt-Risikotest an. Infos für Patienten und Patientinnen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen bietet die Herzstiftung ebenfalls an: www.herzstiftung.de.