Musiker Max Herre traf sich am Dienstagabend virtuell mit Rapperkollegen aus Kalifornien (Archivbild). Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Vor mehr als 25 Jahren reisten amerikanische Hip-Hop-Künstler nach Stuttgart, Stuttgarter nach Kalifornien. Am Dienstagabend sehen sie sich wieder: Max Herre plaudert, auf Einladung des Deutsch-Amerikanischen Zentrums, mit alten Bekannten von der Westküste – Erinnerungen kommen auf, Pläne werden geschmiedet.

Stuttgart - „You can not define what you are by your hood-experience“, sagt Adisa Banjoko, der dabei war. „If you get out of the hood, out of the country, your mind will open up.“ – „Du weißt nicht, wer du bist, solange du nicht aus deiner Nachbarschaft herausgekommen bist. Geh hinaus in die Welt, und dein Geist wird sich öffnen.“

Genau dies geschah 1993 im Rahmen der Internationalen Gartenbauausstellung Stuttgart. Thomas Koch, damals tätig für das Amerikahaus Stuttgart, organisierte gemeinsam mit Sibylle Rau-Pfeiffer vom Cumulus Kulturbüro im Jugendhaus Mitte eine Reise junger Rapper aus der San Francisco Bay Area nach Stuttgart; Nancy Levidow, eine amerikanische Künstlerin, die Koch während seines Studiums kennengelernt hatte, unterstützte das Projekt von dort aus gemeinsam mit Leonard Pitt, einem US-Autor, der die jungen Rapper ermutigt hatte, sich kritisch mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld auseinanderzusetzen. Ein Jahr später folgte der Gegenbesuch – Max Herre, ein noch unbekannter deutscher Rapper, reiste gemeinsam mit neun anderen Stuttgarter Hip-Hop-Künstlern nach San Francisco.

Ländle meets California

Nun blicken sie gemeinsam zurück, beim Online-Event des Deutsch-Amerikanischen Zentrums, als Auftaktveranstaltung der Reihe „Eureka – Ländle meets California“ zur Partnerschaft der beiden Länder. Fünf Gesichter leuchten auf dem Bildschirm – sie gehören Max Herre, Adisa Banjoko, AK Black, der bürgerlich Jim Wilson heißt, Rico Pabón, einem Rapper aus der Bay Area, und Thomas Koch. DJ Friction alias Martin Welzer, der ebenfalls dabei war und vom Verbleib einer vergessenen Aufnahme weiß, meldet sich später zu Wort. Rund 70 Zuhörerinnen und Zuhörer verfolgen das virtuelle Treffen, in Deutschland, in den USA; auch Leonard Pitt und Nancy Levidow haben sich zugeschaltet.

Nicht nur Max Herre hat eine lange Strecke zurückgelegt, seit jenem ersten Treffen. Adisa Banjoko schreibt heute erfolgreich als Journalist über die Hip-Hop-Kultur, Jim Wilson betreibt ein Fitnessstudio, Rico Pabón ist als Musiker in San Francisco aktiv. Die Erinnerung wandelt sich im Gespräch der Reisenden zur Beschreibung einer Erfahrung, die viel weiter reicht, in die Gegenwart hinein, zu einer Befragung und Bestimmung der Hip-Hop-Kultur unter neuen Gesichtspunkten, als einer Kultur, die nicht nur Kontinente, sondern Generationen verbinden kann. Die Ideen fliegen hin und her, über den Atlantik, neue Erfahrungen fließen ein.

Endlich Frauen im Hip-Hop

Hip-Hop war in den frühen 1990er Jahren ein noch stark männlich ausgerichtetes Genre, merkt Max Herre an. Vieles hat sich geändert in dieser Hinsicht, auch in den USA haben sich längst die Frauen zu Wort gemeldet, rappen, spielen ihre Beats. Niemals gab es eine bessere Zeit für Frauen im Hip-Hop, sagt Adisa Banjoko. Hip-Hop erscheint mehr denn je als ideales Medium, um Zeitströmungen aufzugreifen, Fragen zur Gesellschaft, Umwelt, Politik zu stellen, Veränderung auszulösen.

Kein Wort von Corona an diesem Abend. Allzu gerne würden sich die Musiker auch auf der Bühne wiedersehen, gar keine Frage. Die Begeisterung ist augenblicklich da. Mehr als das: „Jeder von uns könnte einen jungen Künstler, der noch nicht im Ausland war, mit nach Deutschland bringen“, schlägt Adisa Banjoko vor. „Max und seine Crew könnten dasselbe tun.“ Der Austausch soll weitergehen. „Yeah“, raunt eine Hip-Hop-Stimme aus den USA herüber. „That could be cool!“