An der Gerokstraße hat in einem besonderen Gebäude das Tagesbistro Herr Kächele eröffnet, das gleichzeitig Eventlocation, Konzertbühne und Kochschule ist. Foto: Maks Richter

Vor 70 Jahren hat Fritz Leonhardt die erste freitragende Leichtbetondecke Deutschlands gebaut. An diesem Ort mit Geschichte feiert jetzt die neue Gastronomie Eröffnung.

In Architekturbüchern wird eine statische Meisterleistung gefeiert: 1955 hat Fritz Leonhardt, der Vater des Fernsehturms, an der Gerokstraße 12 im Stuttgarter Osten mit zwei Kollegen die erste freitragende Leichtbetondecke Deutschlands gebaut. Das nunmehr 70 Jahre alte Gebäude kommt ohne Stützen oder Pfosten aus, weil ein Trägernetz mit Seilen die Innenfläche überspannt – damit wird der Raum größer, weil drinnen keine Pfeiler zum Abstützen Platz wegnehmen.

Der erste Supermarkt Stuttgarts wurde von der Firma Gaissmaier betrieben. Foto: Sammlung Harald Frank

Aus einem zweiten Grund hat diese Adresse Stadtgeschichte geschrieben: Der erste Mieter unter der nach innen geschwungenen Dachkonstruktion im Jahr 1955 war ein Supermarkt – es war der erste Selbstbedienungsladen in Stuttgart, in dem die Kunden die gewünschten Lebensmittel aus den Regal holten und an der Kasse bezahlten. Betrieben wurde der Supermarkt von der Firma Gaissmaier, die später mit der Nanz-Gruppe zusammenging, die 1998 schließlich aufgelöst und an Edeka verkauft wurde.

Bio-Restaurant Lässig musste Insolvenz anmelden

Draußen an der Fassade erinnert ein Schild an diese architektonische Sonderklasse – drinnen ist neues gastronomisches Leben erwacht. Auf die Vormieter vom Biorestaurant Lässig, die Insolvenz anmelden mussten, folgt eine Mischung aus Tagesbistro, Eventlocation und Kochschule. Dahinter steckt das vor zehn Jahren gegründete Unternehmen Herr Kächele, mit dem Firmenchef Jens Caspar (bekannt vom Neckarkäpt’n) auf schwäbische Hausmannskost „nach den Rezepten der Oma“ setzt.

Das geschwungene Dach steht unter den Denkmalschutz – später kam ein Anbau hinzu, so dass die statische Meisterleistung von Fritz Leonhardt nicht mehr im Original zu sehen ist.

Weinfässer zum Selbstzapfen

Beim Softopening hat sich laut Caspar gezeigt, wie gut die neue Küche bei den Kindern aus den Schulen der Nachbarschaft ankommt. Für sie gibt es Maultaschen auf die Hand sowie Spätzle mit Soße zu ermäßigten Preisen. „Mittags ist viel los“, berichtet der Chef, der mit zahlreichen Gästen nun offizielle Eröffnung gefeiert hat. Werktags ist das Bistro, das von Andreas Wolf geleitet wird, von 11 bis 16 Uhr geöffnet, abends sowie samstags nur für geschlossene Gesellschaften, Kochkurse, Konzerte und Events aller Art. Eine besondere Attraktion sind Fässer, aus denen die Gäste bei entsprechender Buchung den Wein selbst zapfen.

Der Sonntag ist in diesem Lokal künftig ein besonderer Tag. Dann bereitet Küchenchef Wolf zu den schwäbischen Klassikern einen „Sonntagsbraten“ zu. Unter den Gästen zum Start am Sonntag sind Entertainer Michael Gaedt (am 26. Juli tritt er in dieser Location auf), Freerk Valentien, der Grandsigneur des Stuttgarter Kunsthandels, Patrick Mikolaj vom Unnützen Stuttgartwissen und Christa Merz, die Witwe des legendären Schuldirektors Volker Merz.

Der Wein kommt im neuen Lokal aus Fässern. Foto: stzn

Im Ursprung kann das erste Gebäude in Deutschland mit freitragender Leichtbetondecke nicht mehr besichtigt werden. Etliche Umbauten in den letzten 70 Jahren haben viel von der Originalität genommen. So kam ein Anbau dazu, sodass es doch im Inneren Stützen gibt, zumindest im Eingangsbereich. Dennoch ist die innovative Formgebung zu spüren. Das Dach erinnert mit seiner elegant verlaufenden Form an eine Sprungschanze und basiert auf einer Hängekonstruktion über einem vorgespannten Seilträgernetz.

Der Insolvenzverwalter fand eine rasche Nachfolgelösung

Im vergangenen Herbst hatte das Bio-Restaurant Lässig nach 15 Jahren aufgrund steigender Kosten und rückläufiger Umsätze Insolvenz anmelden müssen, was als Spätfolge der Corona-Pandemie gilt. Bis Ende Januar konnte der Betrieb weitergeführt werden. Danach fand Insolvenzverwalter Markus Schuster von der Kanzlei Schultze & Braun eine rasche Nachfolgelösung. Jens Caspar traut sich zu, mit einem neuen Konzept schwarze Zahlen zu schreiben. Die besondere Architektur sowie die Inneneinrichtung mit langer Theke mache die Location mit 100 Plätzen im Inneren und 30 auf der Terrasse für Firmenveranstaltungen, Events und Festen aller Art attraktiv, findet der neue Betreiber. Auch ein DJ-Pult steht bereit. Die ersten Kochkurse haben in der neuen Location bereits stattgefunden.