Marlene Streeruwitz legt Gewalt in der Sprache meisterhaft offen. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

An die Grenzen ihrer Existenz führt Marlene Streeruwitz ihre Protagonistin Adele in ihrem Roman „Flammenwand“. Dabei reflektiert die bekennende Feministin auch die österreichische Politik.

EsslingerIn der eisigen Kälte der schwedischen Hauptstadt Stockholm ist Adele aus dem Paradies der Liebe geworfen worden. Was es bedeutet, an die Grenzen der eigenen Existenz geschleudert zu werden, erzählt Marlene Streeruwitz in ihrem Roman „Flammenwand“ (S. Fischer Verlag, Frankfurt, 22 Euro). Dabei ließ sich die österreichische Autorin von Dantes „Die göttliche Komödie“ inspirieren. Auch da wartet an der Grenze zum Paradies eine Flammenwand.

Streeruwitz, die in Wien, London und New York lebt, hat eine Heldin erschaffen, die sich mühsam aus Rollenklischees befreit. Als Feministin stellt sie die Muster in Frage, die die Gesellschaft Mädchen und Frauen zuweist. Ihr Erzählstil ist von aktuellen Bezügen durchsetzt. Die Liebesgeschichte verortet die Autorin in der aktuellen österreichischen Politik, in der Denkweise der bis vor kurzem amtierenden ÖVP-FPÖ-Regierung.

Erzwungene Sprachlosigkeit

Dass Adele von den Lügen ihres geliebten Gustav, der ihr seine anderen Liebschaften verschweigt, in die Sprachlosigkeit gezwungen wird, prangert Streeruwitz klug und reflektiert, mit einer gewissen Kälte, an: „Der Mann bewegte seinen Kopf. Schüttelte ihren Laut weg. Aber das war das Verbrechen. Sie in einem Glauben zu belassen. Sie glauben zu lassen, sie wüsste alles. Gustav hatte sie ins 14. Jahrhundert zurückgeschickt.“ So legt Streeruwitz Gewalt in der Sprache offen.

Diese Rückständigkeit kreidet die kritische Autorin auch den Politikern an, die aus ihrer Sicht Österreich in die Krise stürzen. Aktuelle politische Bezüge sind im Anhang zusammengefasst. Verwundert reibt man sich die Augen, wenn die Autorin da die Selfies dokumentiert, die ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz von sich und Muskelidol Arnold Schwarzenegger ins Netz stellt. Auch die Aussage der FPÖ-Sozialministerin, man könne von 150 Euro im Monat leben, listet Streeruwitz auf. Nackte Fakten, nur mit Datumsangabe: Montag, 20. August 2018. Wie dieses Menschenbild die Europäerin Adele prägt, offenbart die Sprachvirtuosin zwischen den Zeilen.

Verrat an der Liebe

Streeruwitz’ Sätze sind abgehackt, klar, bestehen oft nur aus einem, zwei oder drei Worten. Wie Wortgewitter lässt die Autorin ihre Sprache einschlagen. So strukturiert sie den Roman, der ein grandioses Leseerlebnis bietet. Der Verrat an der Liebe stürzt Adele in eine tiefe Existenzkrise.

Die tragische Fallhöhe der Protagonistin in einem Europa, dessen so unterschiedliche Staaten dem plumpen Nationalwahn verfallen, meißelt die Erzählerin heraus. Durch blitzartige Perspektivenwechsel macht Streeruwitz auch ihren eigenen Schreibprozess zum Thema. Formal peitscht sie sich da immer wieder an Grenzen.

Marlene Streeruwitz, in Baden bei Wien geboren, studierte Slawistik und Kunstgeschichte. Sie begann als Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen, ist eine Grenzgängerin zwischen den literarischen Gattungen. Ihr Roman „Die Schmerzmacherin“ stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Mit ihrem Roman „Flammenwand“, der es 2019 auf die Longlist schaffte, setzt die streitbare Autorin ihre erfolgreiche Serie fort.