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Im Schauspielhaus der Esslinger Landesbühne gibt es einige stark inszenierte und gespielte Szenen, die aus Friedrich Dürrenmatts „Frank der Fünfte“ am Ende einen gelungenen Theaterabend machen.

StuttgartMensch, sind die grausam, sind die böse: „Es ist Nacht, dunkle Nacht“, raunt der Bankchef Frank, in Priesterkluft, ins Mikro, während seine Gattin Ottilie die Spritze mit Gift füllt, als handele es sich um eine heilige Zeremonie. Sie prüft ihr Mordwerkzeug, drückt dramatisch eine blaue Fontäne in die Luft, während der alte Prokurist Böckmann, angeblich Franks bester Freund, in Inkontinenzwindeln auf dem Sterbebett nach einem echten Priester schreit. Er will endlich seine Sünden, also die blutigen Bankgeheimnisse, beichten. Aber da kennt Ottilie keine Gnade: Sie haut Böckmann die Spritze in den Arm, er stirbt. Und Frank raunt weiter: „Ohne Sinn und Gewinn war dein Lauf “, kontrapunktiert vom Schubidu eines soften Sax-Solos, das die vierköpfige Combo beisteuert, die von Oliver Krämer am Piano geleitet wird, der raffinierterweise auch darstellerisch (und mit nerdigem Zipfelpony im Gesicht) zum Einsatz kommt: als Kellner Guillaume, der die verbrecherische Banker-Mischpoke aus dem Effeff kennt.

Im Schauspielhaus der Esslinger Landesbühne gibt es einige solcher stark inszenierten und gespielten Szenen, die aus Friedrich Dürrenmatts „Frank der Fünfte“ am Ende einen gelungenen Theaterabend machen. Das Stück, das der Autor die „Komödie einer Privatbank“ nannte, findet man so gut wie nie auf den Spielplänen der Theater. Man sagt, dies habe seine Berechtigung, weil es ein schwaches Stück sei. Der gesellschaftskritische Ansatz versande schnell im Klamauk. Weil es ein Schauspiel mit Musik ist und den Raubtierkapitalismus und die mafiosen Strukturen des Bankwesens thematisiert, wird es gerne mit der „Dreigroschenoper“ verglichen. Das ist natürlich gemein. Das Brecht-Weill’sche Meisterwerk, das aggressiver, eindeutiger, formal brillanter ist und darüber hinaus über eine unmittelbar zündende Musik verfügt, gehört zu den erfolgreichsten Theaterstücken aller Zeiten.

Die Musik zu „Frank der Fünfte“, die der Schweizer Operettenkomponist Paul Burkhard für die Uraufführung 1959 schrieb, ist dagegen zwar eine ohne Ohrwurmpotenzial, doch immerhin sorgt sie für groovende Abwechslung, und immer wieder kann sich der eine oder die andere auf der Bühne auch gesanglich profilieren (wobei das Singen jetzt nicht unbedingt zu den ganz großen Stärken des WLB-Ensembles gehört). Aber darstellerisch ist es ein grandioser Abend, getragen von der sehr präzisen und detailfreudigen, vor allem auf schnelles Tempo setzenden Inszenierung von Markus Bartl – eine rabenschwarze Komödie ist das, die sich sehen lassen kann.

Die Handlung ist schnell umrissen. Die Privatbank, die Frank als Nummer fünf einer verdorbenen Bankerdynastie leitet, soll liquidiert werden. Die Geschäfte werfen nicht mehr genügend Gewinn ab. Da helfen auch Versicherungsbetrüge, Hurereien und Immobilienschwindel nicht mehr. Die Bank soll einem Bankrott in großem Stil anheimfallen – natürlich erst, nachdem man seine Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Da ist sich jeder der nächste. Und wer dabei stört, wird einfach abgemurkst. Doch der Bankier und seine Gattin, stets bemüht um die großbürgerliche Anstandsfassade, haben die Rechnung nicht mit dem eigenen Nachwuchs gemacht, den sie in sittlich geordneten Verhältnissen fernab aller kriminellen Machenschaften wähnten. Töchterchen und Söhnchen riechen Lunte und übernehmen am Ende das verbrecherische Erbe.

Das Stück wird in einer gestrafften, etwas gekürzten und gelegentlich textlich variierten Bearbeitung gespielt. Das tut ihm gut. Das zeitlos gestaltete Bühnenbild von Philip Kiefer ist minimalistisch. Hinten ein schwerer blutroter Vorhang, vorne ein großes schwarz glänzendes Podest in Form eines überdimensionierten Sarges: Auftrittsfläche, Grabstelle, Tresor-Raum, Konferenztisch zugleich. Vorne an der Rampe links und rechts Tischchen mit Stühlen für die Café-Szenen. Ein bisschen erinnert die mafiose Bank-Bande bei ihrem ersten Auftritt an die Addams Family: ziemlich deformiert, mit zombieartigen Bewegungen und merkwürdige Laute ausstoßend. Aber die Übertreibung pendelt sich ein auf ein ideales Maß: Dem Ensemble gelingt virtuos, die schwierige Gratwanderung zwischen Karikatur und Persönlichkeit auszubalancieren.

Allen voran Gesine Hannemann als Ottilie, mit starker Bühnenpräsenz, mit karottenroten, sorgsam ondulierten Haaren und Fuchs um den Hals. Sie gibt sich einerseits mal elegant und bürgerlich, dann als sexy Hollywooddiva. Offenbar aber spart ihre Ottilie bei der Zahnbehandlung und quält sich lieber mit einem schlecht sitzenden Gebiss herum. Immer knautscht sie es mit den Lippen zurecht oder hilft mit den Fingern nach, und auch die S-Laute werden schnell zum SCH. Überhaupt arbeitet Hannemann vorbildlich mit Stimmmodulationen. Allein schon, wie sie das Wort „quält“ artikuliert oder Wortwiederholungen („Ja, Gottfried?“) variiert. Wunderbar! Reinhold Ohngemach gibt den schwächlichen Bankchef Frank skrupellos, aber auch sehr müde, während Ralph Hönicke als Personalchef Egli permanent unter Strom steht, immer im wahrsten Sinne des Wortes kurz vor dem Herzinfarkt. Elif Veyisoglu ist gleich in mehreren Rollen zu sehen. Sie spielt Frieda Fürst mit Carmen-Charme, sie donnert ihre Kollegen allerdings gerne auch mal mit der Nase gegen die Wand, dann wieder gibt sie sich nonchalant, dann lasziv und in Dauererregung. Sehr lustig ihre Szene mit ihrem Geliebten Egli im Café: Da wird jeder Schluck Tee, jedes Stück Zucker, das in die Tasse fällt, zum erotischen Akt. Später darf sie munter schwäbeln als Hotelbesitzerin Streuli. Das Rollenswitching funktioniert durchweg hervorragend. Achim Hall darf gleich in drei Rollen auftrumpfen, neben dem magenkranken Böckmann auch als galanter Franzose und Herr Schlumpf im Pelzmantel. Felix Jeiter und Nathalie Imboden geben unter anderem sehr lustig die Horror-Kinder Herbert und Franziska, und Antonio Lallo zeigt sein komisches Talent als Staatspräsident. Ein Abend eben, der durchweg ganz hervorragend unterhält.

Nächste Vorstellungen: Mittwoch, 11.12., Freitag, 20.12., Donnerstag 9.1., Sonntag 12.1., Freitag 17.1.