Mal hier, mal dort – der Marienplatz ist oftmals nur ein Ort von vielen, an den die Feierwilligen an den Wochenendnächten ziehen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Trotz Nieselregen haben am Samstagabend hunderte junge Menschen auf den Plätzen der Stuttgarter Innenstadt gefeiert. Das Platz-Hopping gehört zum Programm. Die Stimmung bleibt friedlich.

Stuttgart - U6 Richtung Hauptbahnhof. Kurz vor 22 Uhr. Zwei Freundinnen planen den weiteren Abend. Eine von ihnen hat eine Wodkaflasche dabei, deren Füllstand schon recht niedrig ist. Fraglich, ob die beiden den Alkohol an diesem Samstag genossen haben. Sie wirken nüchtern und klar im Kopf. Wo es hingehen soll, ist allerdings noch unklar. „Bisschen chillen, dies, das“, erfolgt die schwammige Auskunft. Nein, zum Feuersee wolle man eher nicht. Auch wegen des Wetters.

Scheinbar sehen das an diesem Abend viele junge Leute ähnlich. Am See bei der Johanneskirche im Stuttgarter Westen ist es ruhig. Einzelne Flaschen nahe der Sitzbänke zeugen davon, dass jemand hier war. Jetzt herrscht gähnende Leere. Unweit der „Roten Kapelle“ kontrolliert die Polizei eine Gruppe von sechs Jugendlichen. Anwohner haben sich wegen Ruhestörung beschwert. „Wir waren das bestimmt nicht“, insistiert einer der Heranwachsenden. Ja, man habe Musik laufen lassen. Aber in verträglicher Lautstärke. Als jemand von der Security vorbeigekommen sei und gebeten habe, man solle leiser machen, habe man das getan. „Vielleicht sind die, die so laut waren, inzwischen gegangen“, vermutet ein Beamter. Kontrolliert werden die wetterfesten Nachtschwärmer trotzdem. Die Mitarbeiter von MKS Security stehen unterdessen an ihrem Wagen und unterhalten sich. Ja, es seien zunächst mehr Jugendliche da gewesen, heißt es. Der Platzregen aber habe ganze Arbeit geleistet. Auch hinter der Johanneskirche sind die Bänke verlassen. Am Toilettenhäuschen nutzt eine Handvoll junger Leute das Vordach als Schutz gegen den Nieselregen. Heimgehen ist keine Option. Anwohner dürften sich von der Clique kaum gestört fühlen.

Mit sattem Bass auf dem Kleinen Schlossplatz

Lebhafter geht es an der Theodor-Heuss-Straße zu. Die Außenbereiche der Bars, besonders die überdachten, sind dicht besetzt. Für Alexander wäre das nichts. „Ich bin mit meinen Freunden lieber so in der Stadt unterwegs“, erklärt der 17-Jährige, der neben einer Box mit sattem Bass auf dem Kleinen Schlossplatz steht. „Wir waren heute schon am Eugensplatz oben. Dann an der Staatsgalerie. Jetzt sind wir hier.“ Wohin es als nächstes geht, ist offen. „Letzten Samstag haben wir auf dem Marienplatz gefeiert“, berichtet der junge Mann. Er wisse nicht, ob man da heute noch hinfahre. „Wir genießen es, immer, an verschiedenen Orten zu sein und dort neue Leute zu treffen und kennenzulernen“, erklärt er. „Das ist nicht wie bei den Erwachsenen, die sich am liebsten in ihrem Stammlokal treffen.“ Seine Einstellung zu den Aufenthaltsverboten ist klar: „Wenn es zu viele Leute übertreiben, ist doch klar, dass etwas passieren muss. Dann macht man halt um zwölf die Musik etwas leiser und geht woanders hin.“

Die passende Beschallung spielt auf den Plätzen eine zentrale Rolle. Beats wehen vom Pavillon auf dem Schlossplatz herüber. Der Pulk, der sich ein Stück weiter an der Jubiläumssäule im Takt anderer Tracks bewegt, schrumpft sofort, als die tonangebende, rollende Box abrückt. Etliche Feiernde folgen dem Besitzer in Richtung Bolzstraße. „Es ist cool, dass wir nicht in einen Club gehen müssen, um guten Sound zu hören und zu tanzen“, erklärt Dario (18). „Wir haben den Club dabei.“ Das gilt auch für entsprechende Getränke. Das Alkoholverbotszonen-Schild hängt zwar für den Fall der Fälle noch ganz in der Nähe, es ist aber durch einen Plastiküberzug unkenntlich gemacht und außer Kraft. So kann nach Herzenslust gebechert werden. Ob es am reichlichen Einsatz von Trinkbehältnissen liegt, dass hier wenig Flaschen zu Bruch gehen? Scherben sind auf dem Schlossplatz und rund um die Freitreppe jedenfalls kaum zu verzeichnen.

Scherbenmeer am Marienplatz

Der Marienplatz hingegen ist einmal mehr von zerbrochenem Glas übersät. Weniger extrem als am Samstag der Vorwoche, aber immer noch in erheblichem Ausmaß. Schon um 23.40 Uhr hat sich die Menge auf dem Terrain stark ausgedünnt. Einzelne Grüppchen stehen zusammen. Ein paar Jungs messen sich darin, wer am meisten Liegestütze schafft. Die große Party ist vorbei. Rund 480 Leute seien es zwischendurch gewesen, schätzt ein Mitarbeiter der Security. Dass die meisten bereits das Feld geräumt haben, schreibt er zum einen der Witterung zu, zum anderen aber auch einer einsetzenden Routine: „Die wissen, dass der Platz um 0.00 Uhr geräumt wird“, vermutet er. „Also gehen sie schon vorher von selbst.“ Die Stimmung sei friedlich gewesen. „Viele, die herkommen, sind ja fast noch Kinder“, urteilt der Sicherheitsmann. „Die sind wirklich harmlos“. Die nun Verbliebenen müsse man vielleicht zwei, dreimal ansprechen, dann seien auch die fort. An diesem Samstag rollt zusätzlich ein Polizeiwagen über den Platz. Gezielt lenkt der Beamte den PKW zu einzelnen Grüppchen und weist sie via Lautsprecher auf die bestehenden Regelungen hin. Zwanzig Minuten später hat sich die letzte Ansammlung oben am Zugang zur Stadtbahnhaltestelle aufgelöst.

Beamte zeigen sich verständnisvoll

„Natürlich sind wir die Spaßverderber“, zeigt der Polizeibeamte, der inzwischen sein Dienstfahrzeug verlassen hat, Verständnis für das eine oder andere Maulen. „Diejenigen, die hier friedlich feiern, können sich da bei denen Bedanken, die sich in der Vergangenheit so danebenbenommen haben.“ Die Nerven der Anlieger lägen blank. Ruhestörung, Urin und Exkremente vor der Haustür – das sei einfach zu viel gewesen. Hinzu kommt das Müllproblem. Und das besteht weiterhin. Cheyenne (18), die mit Freunden am Charlottenplatz auf die Bahn wartet, hat keine Erklärung dafür. „Die Mülleimer in der Stadt sind ja auch sonst immer voll“, überlegt sie. Irgendwie sehe man die Rückstände immer erst hinterher, wenn alle gegangen seien.