Eine Karnevalsrede der liberalen Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sorgt für viel Aufregung. Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) reizt die Rolle der unabhängigen Abgeordneten bis an die Grenzen aus. Vor ihren scharfen Polemiken sind weder Freund noch Feind sicher. Erst recht nicht im Karneval.

Es ist vermutlich keine gute Idee, als Mensch aus anerkannt spaßbefreiten Zonen wie Berlin oder dem Sauerland mit einer Rheinländerin über Humor im Karneval zu streiten. CDU-Generalsekretär Mario Czaja (Berlin) und CDU-Chef Friedrich Merz (Sauerland) tun es trotzdem. Czaja ist stinksauer auf die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Düsseldorf). Er wirft ihr vor, mit einem „bizarren Auftritt ein selbst für ihre Verhältnisse neues Niveautief“ erreicht zu haben. Die Liberale habe „für eine Handvoll Applaus von Rot-Grün alle Grenzen anständigen Umgangs gesprengt“. Das teilte er – sicher nicht ohne Rücksprache mit seinem Chef – auf Twitter mit. „Eine solche Peinlichkeit“ habe mit Karneval nichts zu tun. Er erwarte umgehend „eine Entschuldigung“.

Was war das für ein bizarrer Auftritt? Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte in Aachen von der dortigen Narrenzunft den Orden „wider den tierischen Ernst“ verliehen bekommen. Strack-Zimmermann hatte eine Büttenrede beigesteuert. Sie erschien Mischung aus Vampirin und böser Stiefmutter Schneewittchens, die grauen Haare wild in alle Richtungen abstehend, als hätte sie gerade in eine Steckdose gefasst, ein schillerndes samtblaues Kostüm – Strack-Zimmermann war der Hingucker des Abends. Aber auch das Hinhören sollte sich als lohnend erweisen. Schon ihre einleitende Selbstbeschreibung, von aller falschen Bescheidenheit unangefochten, ließ aufhorchen: „Von Kopf bis Fuß ganz formidabel,/ ohne Zweifel ministrabel./ In jeder Talkshow ein Gewinn, weil ich die Allergeilste bin.“ Das Publikum stimmte den Gassenhauer „Layla“ an.

„Grad die, die christlich selbst sich wähnen, sollten sich für ihn was schämen“

Dann aber ging es erst richtig rund. Strack-Zimmermann präsentierte eine karnevalistische Abrechnung mit der „Zwergen Schar,/ die toxisch Männlichkeit gebar.“ Da bekam so mancher sein Fett weg, einschließlich des Kanzlers und Wladimir Putin. Doch mit keinem rechnete sie so hart ab wie mit Friedrich Merz. Dem als „Flugzwerg“ titulierten Politiker widmete sie folgende Giftigkeiten: „Nach außen bürgerlicher Schein, im Herzen aber voll gemein./ Wer vor Krieg geflohen ist, verhöhnt er als Sozialtourist./ Heißt ein Junge Ali und nicht Sascha, beschimpft er ihn als Grundschulpascha./ Und alle Klimaaktivisten sind für ihn nur Terroristen./ Doch treibt’s ein Naziprinz zu wild, wird der Flugzwerg plötzlich mild.“ Letzteres eine Anspielung auf Merz’ Zurückhaltung bei der Kommentierung der „Reichsbürger“-Razzia. Die Schimpfkanonade endete im Vierzeiler: „Beherzt er auf die Schwachen drischt, weil er gern im Trüben fischt./ Grad die, die christlich selbst sich wähnen, sollten sich für ihn was schämen.“

Merz selbst saß im Publikum und sah offenkundig keinerlei Anlass, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er sah den ganzen Abend über sehr sauerländisch aus. Sitznachbar Hendrik Wüst, Parteifreund und NRW-Ministerpräsident, schien sich dagegen köstlich zu amüsieren. Allerdings überwiegt in der Partei eindeutig der blanke Ärger über die Düsseldorferin. Ärger auszulösen ist für Strack-Zimmermann sicher kein völlig unbekanntes Lebensgefühl. Die Verteidigungspolitikern hat sich mit ihrer messerscharfen Kritik an der Ukraine-Politik des Kanzlers, die sie für viel zu zögerlich hält, zu einer Art Oppositionsführerin innerhalb der Regierungskoalition emporgemeckert. Ein Beispiel: Nachdem die Bundesregierung beim Treffen mit den westlichen Partnern auf der US-Basis in Ramstein immer noch keine Aussagen zu möglichen Panzerlieferungen an die Ukraine machte, platzte ihr der Kragen. „Deutschland hat leider gerade versagt“, kommentierte sie. „Das ist einfach nur beschämend. Heute Abend kann sich Wladimir Putin auf die Schenkel klopfen.“

Lust an der Zuspitzung

Diese oft mit großer Lust an der rhetorischen Zuspitzung geäußerte Ruhestörung, dieses beharrliche Mahnen und Treiben, diese bewussten Verstöße gegen die Koalitionsdisziplin haben selbst den Kanzler aus der Reserve gelockt, was bekanntlich nicht so einfach ist. Eindeutig mit Blick auf die FDP-Frau ließ er sich zur Bemerkung hinreißen: „Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich.“ Schöner Satz. Nur stimmt er nicht. Tatsächlich hat Scholz in der Regel das geliefert, was Strack-Zimmermann und andere zunächst lautstark gefordert hatten: erst Panzerhaubitzen, dann den Flugabwehrpanzer Gepard, dann den Schützenpanzer Marder, nun den Leopard.

Strack-Zimmermann war bei den Koalitionsgesprächen der Ampel lange als mögliche Verteidigungsministerin gehandelt worden. Dass sie nicht ins Kabinett einzog, mag auch damit zu tun haben, dass sie auch in ihrer Partei nicht gerade das Image einer Versöhnerin hat. Allerdings ist es durchaus glaubhaft, wenn sie sagt, dass sie das Ministeramt nicht angestrebt hat. Sie reizt die Rolle der unabhängigen, nur ihrem Gewissen verpflichteten Abgeordneten bis an die Grenzen aus. Manchmal überschreitet sie diese auch. Etwa Ende Januar. Auf Twitter charakterisierte sie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der ihr ob seines beharrlichen Anmahnens diplomatischer Initiativen im Ukraine-Krieg suspekt ist, mit folgenden Worten: „Rolf Mützenich ist das Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik. Seine Ansichten von gestern führen in die Probleme von morgen. Er ist nicht mehr in der Lage, sein Weltbild der Realität anzupassen.“ Die Wut der SPD ist immer noch frisch. Parteichef Lars Klingbeil hat dem FDP-Vorsitzenden Lindner klargemacht, dass er die rheinische „Schwertgosch“ mäßigen müsse.

Merz ist nicht das einzige Opfer

In der SPD wird Strack-Zimmermann hinter vorgehaltener Hand gerne eine zu große Nähe zur Rüstungsindustrie nachgesagt. „Lobbycontrol“ hält ihr vor, ehrenamtliche Funktionen in Vereinen, an denen die Rüstungsindustrie zentral beteiligt ist, seien schlecht vereinbar mit ihrer Tätigkeit als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Strack-Zimmermann ist unter anderem Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik sowie beim Förderkreis Deutsches Heer. Allerdings ließe sich auch argumentieren, dass gerade in dieser Funktion solche Gesprächskreise wichtig sind. Es mag sein, dass die Liberale durchaus erkennt, dass ihr Spielraum enger werden könnte. So gesehen wären die Attacken auf Merz ein Versuch, sich als wackere Verfechterin der Ampel zu präsentieren. Friedrich Merz mag sich derweil trösten. Immerhin ist er nicht das einzige Opfer der Ruhestörerin aus Düsseldorf.