Kerzen erleuchten zum Ende des Gebetes das Friedenssymbol auf dem Ludwigsburger Marktplatz. Foto: Simon Granville

Ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine: In Ludwigsburg beten am Freitagabend viele zusammen. Emotional ist es auch bei der Mahnwache in Steinheim.

Das Glockengeläut erfüllt den Ludwigsburger Marktplatz. Ein kalter Wind weht, Nieselregen liegt in der Luft. Trotzdem strömen mehr und mehr Menschen herbei. Genau ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat das Friedensgebet der Kirchen großen Zuspruch erfahren.

In einem Halbkreis sind die Menschen zusammengerückt. Seite an Seite stehen, darum geht es. Seit einem Jahr beten die Gläubigen in Ludwigsburg zusammen für Frieden in der Ukraine, erst wöchentlich, seit Sommer 2022 an jedem vierten Donnerstag im Monat. Am Freitagabend sind es besonders viele. Hunderte Menschen verfolgen das Gebet. Etliche sind eigens dafür zum Marktplatz gekommen, andere halten auf ihren Wegen inne.

43-Jährige bangt um ihren ältesten Sohn und ihren Mann

Auch Dutzende Geflüchtete sind dabei. Einige von ihnen haben Flaggen ihres Heimatlandes mitgebracht. Sie stehen in kleinen Gruppen beinander. Darunter ist Alla Karnauch, die aus einer Vorstadt von Kiew im März 2022 geflohen ist und seither in Ludwigsburg lebt. Die 43-Jährige bangt um ihren ältesten Sohn und ihren Mann, die zu Hause ihr Land verteidigen.

Eine Landsmännin tritt ans Mikrofon und berichtet von ihren Erfahrungen. Iryna Verbivska hat den Kriegsausbruch im Februar 2022 in der Ukraine erlebt. Sie schildert das Sirenengeheul und die Panik während der ersten Angriffe. „Keiner wusste, was passieren wird. Wir waren auf einen Krieg nicht vorbereitet“, sagt sie. Mittlerweile hätten sich die Ukrainer an die Angriffe gewöhnt. Iryna Verbivska hat alles verloren. Sie floh im April des vergangenen Jahres. Nach acht Monaten kehrte sie zurück ins Kriegsgebiet, um die Verbrechen der russischen Soldaten zu dokumentieren. Nun ist sie zurück und arbeitet im Ludwigsburger Rathaus. Der Krieg habe den Zusammenhalt in der Ukraine gestärkt. „Wir werden gewinnen“, ruft sie ihren Landsleuten auf dem Marktplatz zu und erhält dafür viel Applaus.

Am Ende beleuchten alle mit Kerzen ein Friedenssymbol auf dem Boden

Hoffnung auf baldigen Frieden bringen der evangelische Dekan Michael Werner, Michael Friedmann von der katholischen Kirche und Thomas Schmückle von der evangelisch-methodistischen Kirche zum Ausdruck. Hindus und Muslime schließen sich dem Gebet an. Alle sind dazu aufgerufen, mit Kerzen ein auf dem Boden gezeichnetes Friedenssymbol zu beleuchten.

In Steinheim drücken viele ihr Ansinnen nach Frieden bei einer Mahnwache aus

Zu einer Mahnwache auf dem Steinheimer Marktplatz hatte das Bündnis „Bottwartal zeigt Gesicht“ am Freitagabend aufgerufen – und rund 60 Personen sind gekommen. Teils mit Kerzen, teils mit Flaggen drücken sie ihre Solidarität und ihr Ansinnen nach Frieden ein Jahr nach Kriegsbeginn aus. Ein Frieden, den sich Taras Chepura mehr als alles andere wünschen würde. Der 32-Jährige, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt und Kieferorthopäde in Marbach ist, nimmt die Teilnehmer als Redner mit in seine Gedankenwelt. Eine Welt, die sich genau vor einem Jahr komplett verändert hat. Denn da bekam der Ukrainer, der in Kiew geboren und aufgewachsen ist und dessen Familie noch im Westen der Ukraine lebt, morgens einen Anruf von seinem Schulfreund Maksym. „Er sagte mir, dass Kiew unter Beschuss steht. Die Verbindung brach immer wieder ab. Im Hintergrund waren heulende Sirenen“, erzählt er. Am meisten hätten ihn aber die Schlussworte erschüttert – sein Freund wisse nicht, wann oder ob man sich wieder hören würde. Beim Erinnern wird er emotional.

Der 24. Februar werde ab sofort immer ein besonderer Tag bleiben

Seitdem sei viel passiert. Gräueltaten, Massenbestattungen, Bombardierungen. „Aber wir haben durchgehalten. Und wir kämpfen weiter für unsere Freiheit“, sagt er und ruft im Namen seiner Landsleute Russland zum sofortigen Verlassen des ukrainischen Territoriums und zur Beendigung des blutigen Krieges auf. Der 24.  Februar – er werde für ihn ab sofort stets an Verlust und Schmerz erinnern. Aber auch an Stärke, Mut, Zusammenhalt und den Preis der Freiheit. Applaus brandet auf.

Neben Chepura spricht auch Thomas Reusch-Frey, Pfarrer und ehemaliger Landtags-Abgeordneter, für den der 24. Februar 2023 ein Jahrestag ist, „den wir uns nie und nimmer gewünscht hätten“. Das Protestlied „We shall overcome“, live dargeboten von der ehemaligen Purple-Sun-Sängerin Margit Maier rundet die Mahnwache ab.

Zeichen der Solidarität

Fahnen
Zum ersten Jahrestag des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat die Stadt Ludwigsburg vor dem Rathaus die Flagge des internationalen Städtebündnisses „Bürgermeister für den Frieden“ (Mayors for Peace) gehisst. Der Verbund setzt sich für den Frieden und vor allem für eine atomare Abrüstung ein. Die Flagge dient unter anderem dem Gedenken an die Opfer. Aus Solidarität weht seit Kriegsbeginn außerdem die ukrainische Fahne vor dem Rathaus. Auch die Stadt Kornwestheim hat sich am Freitag für die Beflaggung entschieden.

Geflüchtete
Im Landkreis Ludwigsburg sind 7331 Menschen registriert, die nach Kriegsbeginn aus der Ukraine geflüchtet sind. Die Männer, Frauen und Kinder wurden privat, kommunal oder vorläufig durch das Landratsamt untergebracht.