Harald Vogel Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Seit 25 Jahren bringt die Esslinger Lyrik-Bühne vielen Literaturfreunden die Poesie und deren Schöpfer näher. Zum Start in die Jubiläumssaison würdigen Harald Vogel und Johannes Weigle am 16. Februar ab 11 Uhr im Kabarett der Galgenstricke die Lyrikerin Nelly Sachs.

EsslingenDie Poesie hat in einer schnelllebigen und oftmals oberflächlichen Welt keinen leichten Stand. Dabei ist der Esslinger Literatur-Professor Harald Vogel überzeugt, dass die Literatur im Allgemeinen und die Lyrik im Besonderen wichtiger denn je sind: „Gedichte eröffnen uns poetische Räume, in denen besonders exponierte Ereignisse und Empfinden verarbeitet werden. Damit ermöglicht uns die Lyrik eine Konfrontation mit der Innenwelt anderer und ein Gespräch mit uns selbst. Das schafft Nachdenklichkeiten, die wir brauchen, um uns die Welt anzueignen und all das, was wir sehen, auch zu hinterfragen. Es geht nicht nur darum, fertige Antworten zu liefern. Wichtiger ist, dass wir die richtigen Fragen stellen.“ Mit seiner Lyrik-Bühne, die er vor 25 Jahren aus der Taufe gehoben hat, öffnet Vogel Türen in die Welt der Literatur. Und was einst als interessanter Versuch mit ungewissem Ausgang begonnen hatte, ist zum festen Bestandteil des Esslinger Kulturlebens geworden. Nun feiert die Lyrik-Bühne ihr 25-jähriges Bestehen – zum Start in die Jubiläumssaison würdigen Vogel und sein musikalischer Kompagnon Johannes Weigle zusammen mit ihrem Gast, der Cellistin Cecilia Castillo, am Sonntag, 16. Februar, ab 11 Uhr im Kabarett der Galgenstricke die Autorin Nelly Sachs, deren Todestag sich 2020 zum 50. Male jährt.

In den Matineen der Lyrik-Bühne stellen Harald Vogel und Johannes Weigle, die je nach Anlass gerne auch mal interessante Gäste einladen, Poeten unterschiedlicher Nationalität, Generation, Stilrichtung und Bekanntheit vor. Mehr als 60 Autorenporträts umfasst das Repertoire der Lyrik-Bühne mittlerweile, und es wird von Jahr zu Jahr länger. Die Liste reicht von Heinrich Heine und Mascha Kaléko über Andreas Gryphius und Sarah Kirsch bis hin zu Rose Ausländer, Erich Fried und Eduard Mörike. Und natürlich dürfen Harald Vogels ganz persönliche Favoriten Kurt Tucholsky und Erich Kästner nicht fehlen. Bewusst konzentriert sich Vogel auf Autorinnen und Autoren mit abgeschlossenem Lebenskreislauf, die der Literatur-Professor in kurzen, prägnanten Moderationen vorstellt und durch ihre eigenen Texte sprechen lässt. So nimmt er die Zuhörer behutsam bei der Hand und führt sie durch ein Stück Lebens- und Literaturgeschichte. So hat Vogel in den vergangenen 25 Jahren schon weit mehr als 800 Lyrik-Bühnen-Auftritte absolviert – meist an der Seite des Musikers Johannes Weigle. Ihm verdankt dieses literarisch-musikalische Format, das vor 25 Jahren als ungewöhnlich innovativ galt und dessen Beispiel inzwischen auch andere inspiriert hat, seinen besonderen Reiz: „Johannes Weigle und ich verstehen und ergänzen uns perfekt“, sagt Harald Vogel. „Er versteht es vorzüglich, für jeden Autor den angemessenen Ton zu finden.“

Die Lyrik-Bühne-Matinee am Sonntag im Kabarett der Galgenstricke ist der Autorin Nelly Sachs gewidmet, die als Kind einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin aufgewachsen war und die 1940 nur mit knapper Not der bereits angeordneten Deportation durch die Nazis entkommen und nach Schweden geflüchtet war, wo sie 1966 zusammen mit Samuel Joseph Agnon den Literatur-Nobelpreis „für ihre hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren“ ausgezeichnet wurde. Zu ihren berührendsten Gedanken zählt jener, den Nelly Sachs in ihrem Buch „Leben unter Bedrohung“ formuliert hatte und der seither in der Erinnerung an den Holocaust oft zitiert wird. Darin nannte sie es als ihren höchsten Wunsch auf Erden: „Sterben ohne gemordet zu werden.“