Quelle: Unbekannt

Große Aufregung in Ostfildern: Mehr als 400 Eltern haben von der Stadtverwaltung mitgeteilt bekommen, dass sie in den nächsten acht Monaten nicht mit einem Kita-Platz rechnen können.

Ostfildern Selten hat sich eine Bürgerfragestunde im Ostfilderner Gemeinderat so lange hingezogen wie am Mittwochabend. Selten ist sie so voll mit Zündstoff gewesen. Es hagelte nur so von Kritik gegen die Stadt: Mehr als 400 Eltern war in den vergangenen Tagen mitgeteilt worden, dass sie in den nächsten acht Monaten nicht mit dem von ihnen beantragten Platz in einer städtischen Kindertagesstätte rechnen können. Ihre Wut entlud sich im übervollen Sitzungssaal des Stadthauses. Ebenso auf die Barrikaden gingen vieler Mütter und Väter, die nicht hinnehmen wollen, dass ihre Kinder über Jahre mit Raumproblemen an der Gemeinschaftsschule zu kämpfen haben. Etwa 150 Demonstranten formierten sich deshalb schon vor der Sitzung vor dem Stadthaus, um gegen die aus ihrer Sicht untragbaren Zustände zu protestieren. „Wir wollen was zum Lernen, nicht erst 2025“ skandierten sie. Ihr Protest richtete sich gegen das Vorhaben der Stadt, einen Großteil der Kinder in den nächsten sechs Jahren in Containern unterrichten zu lassen. Denn erst dann ist mit einem Schulneubau an der Stelle der heutigen Sporthalle 1 zu rechnen. Für die Eltern ist eine so lange Übergangszeit undenkbar. „Wir brauchen eine Lösung, die den Bedürfnissen einer Gemeinschaftsschule wenigstens einigermaßen gerecht wird“, sagte Jan Maurer, einer der Elternsprecher. Schon heute reichten die Räume bei Weitem nicht aus. Und die Zahl der Schüler wachse weiter.

OB Christof Bolay warb um Verständnis: „Wir werden in den nächsten Jahren nicht den Idealzustand erreichen und müssen deshalb mit Provisorien leben.“ Das verlange allen Beteiligten Einiges ab, so der Rathauschef. Er lobte die Arbeit der Gemeinschaftsschule, die über die Grenzen der Stadt hinaus einen guten Ruf genieße. Ein zentrales Problem sei, dass im Nellinger Schulzentrum mit ihren zahlreichen Parallel-Baustellen vieles ineinander greife. Die Planungen für solche Großprojekte hätten eine lange Vorlaufzeit. Bolay: „Bestimmte Prozesse brauchen einfach ihre Zeit.“ Außerdem betonte der OB, dass auch die Verwaltung oft an ihre Grenzen stoße. „Bestimmte Dinge können wir einfach nicht leisten.“

Das sei doch kein Problem, das plötzlich vom Himmel gefallen sei, kritisierte ein Vater. Das Thema der fehlenden Kita-Plätze und der fehlenden Räume zieht sich nach seinen Beobachtungen seit zehn Jahren wie ein roter Faden durch die Stadtpolitik in Ostfildern. Das sei nichts Außergewöhnliches entgegnete OB Bolay. „Eine Stadt ist nie fertig.“ Man habe in den vergangenen Jahren viel getan, um die Strukturen zu verbessern. „Aber wir wissen, dass wir noch manche Hausaufgaben zu erledigen haben.“ Warum nicht für die marode Sporthalle 1 ein Provisorium gesucht werde, wollte eine Mutter wissen. Das sei nicht möglich, so der OB. Die Halle werden den ganzen Tag über von den Schulen gebraucht. Eine Interimslösung sei in der ganzen Stadt nicht zu finden.

Auch zwei Schülerinnen meldeten sich zu Wort. Selbst auf dem Flur sei oft kein Platz zum Lernen, sagte eine von ihnen: „Unser Lernbüro haben wir jetzt unter der Treppe. Das ist ein bisschen schade.“

Entspannung bei der aktuellen Raumnot verspricht sich Bolay von einem jüngst geführten Gespräch mit den Chefs der benachbarten Gymnasien. Vielleicht könne die Gemeinschaftsschule ab dem Schuljahr 2020/2021 Räume der Gymnasien mitnutzen.

Die CDU-Fraktion des Gemeinderats hatte sich im Vorfeld der Sitzung erneut eine Aufstockung des Schulgebäudes mit einer Leichtbau- oder Holzkonstruktion stark gemacht. Mit dieser Variante könne man sich unbefriedigende Übergangslösungen sparen. Dass dies funktionieren kann, zeige das Beispiel einer Schule in Darmstadt. Auch die Elternvertreter zeigten Gefallen an einer solchen Lösung. Genau darüber soll dem Vernehmen nach am Mittwochabend in der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderats gesprochen worden sein. Baufachleute der Stadtverwaltung sollen sich jedoch äußerst skeptisch gezeigt haben. Ihr Plädoyer: Mit so einer Aufstockung komme man nicht weiter. Im Gegenteil, man schaffe nur ein weiteres Provisorium. Ein Großteil des Gemeinderats, so ist zu hören, schloss sich diesen Bedenken an. Damit bleiben nur noch zwei Varianten übrig: entweder eine Modernisierung des bestehenden Schulgebäudes samt Anbau oder ein kompletter Neubau. Wann die Verwaltung dazu ausgearbeitete Vorschläge auf den Tisch legen wird, ist noch nicht bekannt.

Größere Anstrengungen als bisher will die Stadt unternehmen, um Fachpersonal für die Kitas zu bekommen. Man sei dabei, die bisherigen Suchverfahren „noch mal zu überdenken“, erklärte OB Bolay. Dazu gehörten alternative Veröffentlichungswege, aber auch die Vorzüge der Stadt als attraktiver Wohn- und Arbeitsort müssten besser vermittelt werden. Der Rathauschef betonte allerdings nochmals: Von den Qualitätsansprüchen bei der Kinderbetreuung wolle man nicht abrücken.

Wie brenzlich die Situation für viele Familien ist, verdeutlichten einige Eltern. „Es brennt“, sagte eine Mutter. „Wir brauchen akut Unterstützung von der Stadt. Es muss jetzt ganz schnell etwas passieren.“

Es kommentiert: Harald Flößer

Pulverfass

Nur ein Haufen aufgeregter Eltern, die sich über die üblichen Shitstorm-Kanäle zusammengefunden haben und einfach mal auf die Straße gehen, um für ihre Eigeninteressen Druck zu machen? Ein Konflikt, der viel zu hoch gekocht wird? Mitnichten. Hinter den Protesten vor und in der Sitzung des Ostfilderner Gemeinderats offenbaren sich eklatante Versäumnisse der Stadt, die sich nicht einfach so abbügeln lassen. Es ist nicht nur der Fachkräftemangel, der, wie OB Bolay zu beschwichtigen versucht, zu so großen Defiziten bei der Kinderbetreuung geführt hat. Wohl gemerkt: Es geht nicht nur um kleine Löcher, sondern um mehr als 400 Plätze, die derzeit in den Kitas fehlen.

Die Stadt hat in den vergangenen Jahren viele Millionen investiert, um ihre Einrichtungen wenigstens einigermaßen den Bedürfnissen junger Familien anzupassen. Und die vom Land prognostizierten Quoten für den Betreuungsbedarf reichen vorne und hinten nicht. Alles richtig, was die Verwaltung als Erklärungsversuche vorbringt. Aber an der Stelle muss sie sich, genauso wie der Gemeinderat, fragen lassen: Wie kann man bei der Planung so daneben liegen? Wie konnte sich die Situation so hochschaukeln?

Die Stadt weidet sich gerne in Erfolgen von gestern, als Ostfildern mit dem Scharnhauser Park einen modernen Stadtteil aus dem Boden stampfte, der zumindest landesweit seinesgleichen suchte. Jetzt zeigt sich mehr und mehr, dass die Infrastruktur der massiv gewachsenen Stadt bei weitem nicht ausreicht, um vor allem jungen Familien gerecht zu werden. Auch die Verwaltung ist mit ihrem aktuellen Zuschnitt nicht mehr in der Lage, ihre Aufgaben befriedigend zu lösen, weder personell noch organisatorisch. Das gilt auch für die Art und Weise, wie gerade das Chaos um die Zukunft der Gemeinschaftsschule gemanagt wird.

Die Stadt muss sich nun schleunigst und ernsthaft der Sache annehmen. Denn so ein Pulverfass kann und darf sie sich nicht leisten.