Einer der avantgardistischsten Autoren der Gegenwart: Leif Randt Foto: Veranstalter

Der junge Autor Leif Randt ist bisher vor allem als Spezialist für gepufferte Glücksvisionen hervorgetreten. Nun wird er selbst zum Gegenstand einer solchen.

Stuttgart - Der Mörike-Preis, den die Stadt Fellbach alle drei Jahre vergibt, hat sich zu einer Art Probelauf für die höchsten literarischen Weihen entwickelt. Denn schon viermal war für die in Fellbach Geehrten der Büchner-Preis die nächste Station: 1991 für Wolf Biermann, 2005 für Brigitte Kronauer, 2014 für Jan Wagner. 2020 für die Lyrikerin Elke Erb. Doch dieses Mal wäre es schon eine faustdicke Überraschung, wenn man dem Preisträger so bald in Darmstadt bei der ehrwürdigen Akademie für Sprache und Dichtung begegnen würde. Es ist Leif Randt, ein Autor, der bisher vor allem als Spezialist für gepufferte Glücksvisionen in Erscheinung getreten ist, und mit 37 Jahren wohl entschieden zu jung für das Büchner-Fach wäre.

Zur Eigenart des Mörike-Preises zählt, dass die Jury nicht direkt entscheidet, sondern einen Vertrauensmann beruft, das ist in diesem Jahr der Literaturkritiker der „Zeit“, Ijoma Mangold. In einer hymnischen Kritik von Leif Randt jüngstem Roman „Allegro Pastell“ hatte er im Frühjahr geschrieben, kein Millennial werde künftig einen Roman schreiben können, ohne sich dazu zu verhalten.

Emblematisch für unserer Zeit

In der Begründung seiner Entscheidung nennt Mangold den 1983 in Frankfurt Geborenen einen der avantgardistischsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Er werde nicht nur von vielen gelesen, sondern sei geradezu schulbildend. „Wir bekommen immer etwas zu spüren, von dem wir denken: das ist emblematisch für unsere Zeit“, sagt der Literaturkritiker bei dem digitalen Pressegespräch.

Doch wie passt das zu Mörike? Mangold erinnert an eine Neigung zu Eskapismus und Weltflucht. Und in der Tat waren Leif Randts Romane bisher nicht ganz von dieser Welt. Sie spielten in anderen Galaxien oder in fernen Zeiten, in denen die drängendsten gesellschaftlichen Fragen zur allseitigen Zufriedenheit gelöst worden sind. In dem Roman „Planet Magnon“ hat ein algorithmisches Computersystem die Herrschaft übernommen. Auf der Basis statistischer Daten regelt es die Rahmenbedingungen des interplanetarischen Zusammenlebens besser, als es die demokratischen Systeme je vermocht hatten. Gewalt, Privateigentum, Kriege gehören einer überwundenen alten Zeit an.

Mentalitätsgeschichte der Gegenwart

Auch bei der Lektüre von Leif Randts „Allegro Pastell“ hat man den Eindruck, hier habe jemand den Algorithmus seiner Generation entschlüsselt. Der Web-Designer Jerome Daimler und die Autorin Tanja Arnheim sind funkelnde Prototypen aus dem Menschenpark jener Gesellschaft der Singularitäten, die der Soziologe Andreas Reckwitz beschrieben hat: selbstbewusste, hochreflektierte Kuratoren ihrer eigenen Biografie, die mit den Codes der Social-Media-basierten Selbst- und Weltwahrnehmung so frei umgehen können wie mit den unverwechselbaren Gütern und Events, Sexpartys, Communitys und Städten.

Man kann diesen Roman einfach nur lesen wie eine Lovestory aus Tagen, die man noch nicht einmal jüngst vergangen nennen darf, weil sie noch andauern. Man kann ihn aber auch nutzen als ein Nachschlagewerk, wenn man etwas über den Habitus, die Gewohnheiten und Eigenarten der eigenen Zeit erfahren möchte. „Allegro Pastell“ ist eine Mentalitätsgeschichte der Gegenwart, seine Figuren sind hochindividualisierte Dummys im Crashtest unserer Sozialisierungsmodelle – Dummys wie Du und Ich.

Der mit 15000 Euro dotierte Preis soll im April in Fellbach verliehen werden. Den Förderpreis erhält die junge Autorin Olivia Wenzel für ihren Roman „1000 Serpentinen Angst“.