Polizisten dringen im Oktober in das besetzte Haus Liebigstraße 34 Foto: AFP/ODD ANDERSEN

Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg ermittelt gegen weitere Linksextremisten im Umfeld der festgenommenen Drohbriefeschreiber. Das Paar aus Bad Cannstatt soll einen Brandsatz an der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg deponiert haben.

Stuttgart - Am Freitag, dem 21. Februar, ging es auf dem Polizeirevier Bad Cannstatt hoch her: Robin Hood, ein Pirat und Sträflinge waren bei den Ordnungshütern eingefallen, um Fastnacht zu feiern. Die feucht-fröhliche Feier hat Tradition; seit Jahren sind die Cannstatter Kommunalpolitiker zum Karneval Gast bei der Polizei. In diesem Jahr auch Martin Eickhoff, stellvertretendes Mitglied für die Piratenpartei im Bezirksbeirat. Er „fühlt sich optimistisch“ schrieb der 38-jährige über die fünf Fotos, mit denen er via Facebook die Welt an der guten Stimmung bei der Polizei teilnehmen lässt.

Keiner der Feiernden ahnte, dass Eickhoff seit dem 21. Dezember 2019 bis zu diesem Tag mindestens acht Drohbriefe an Politiker und Firmen verschickt hatte. Beigefügt waren den Briefen Schreckschusspatronen – um „deutlich zu machen, dass mit der jetzigen kapitalistischen Polizeistaatspolitik endlich ein radikaler Schlussstrich gezogen wird“. Abgestempelt waren die Briefe allesamt im Briefzentrum 70 Waiblingen worden, unterzeichnet hatten sie die „Revolutionären Aktionszellen (RAZ)“ und die „MIlitantE ZElle (MIEZE)“. Dahinter verbergen sich, sind Kriminale der Ermittlungsgruppe „Feles“, dem lateinischen Wort für Katze, überzeugt, Eickhoff und seine Freundin Nicole Grahlow, 2. stellvertretende Landesvorsitzende der Minipartei ÖDP.

Bis heute ist das Duo in Cannstatt gemeldet, tauchte dann aber offenbar in Berlin unter. Hier wurden sie am vergangenen Freitag festgenommen. Das Ende einer offenbar rasend schnellen Radikalisierung: Von der Räumung des besetzten Hauses Berlin, Liebigstraße 34, berichtete Grahlow als Augenzeugin am 17. Oktober in einem Aufsatz: „Ich habe erstmal den Beweis, dass die Linksextremisten nicht einfach so ‚gewaltbereit‘ sind, sondern sie es maximal notwendigerweise sind, wenn sie es als sinnvoll erachten.“ Am 29. Oktober – einen Tag vor ihrer Festnahme, leitet sie bei Twitter den Eintrag weiter: „Ob Cops (Polizisten, die Red.) noch Menschen sind? Eines ist sicher: Menschlichkeit ist ihnen fremd.“

„Veränderte Kampfformen konsequent einsetzen“

Eickhoff schreibt nach den Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt am 20./21. Juni: „Nachdem sich die Situation in Deutschland und weltweit immer mehr zuspitzt ist es klar, dass wir in Hinblick auf diese endzeitlichen gesellschaftlichen Bedingungen auch veränderte Aktions- und Kampfformen benötigen und diese konsequent einsetzen müssen. Wichtig bleibt immer situativ handeln ohne irgendwelche Formen pauschal auszuschließen, abzulehnen oder in blindwütigen Distanzierungswahn verfallen.“

Dabei ist kaum ein Kommunalpolitiker in Stuttgart ist so medienpräsent wie Eickhoff, der eigentlich gar kein Mandat für den Bezirksbeirat Cannstatt hat, sondern nur dann einspringt, wenn die ordentlich gewählten Ratsmitglieder der „Fraktion“, einem Zusammenschluss von „Die Linke“, der Piratenpartei und „Stuttgart Ökologisch Sozial“ (SÖS), verhindert sind. Hausbesetzungen in Stuttgart, die Krawallnacht, die umstrittene Namensgebung der Hanns-Martin-Schleyer-Halle – Eickhoff mischt mit, meldet sich zu Wort, findet Gehör in Zeitungen und Rundfunk.

Acht Tage vor der Fastnachtsfeier im Cannstatter Polizeirevier, am erschien auf der Internet-Plattform de.indymedia.com ein MIEZE-Kommentar: Die Drohbriefe seien als symbolische Aktion zu verstehen, man distanziere sich von Gewalt gegen Leib und Leben.

Anschlag auf das Gebäude der Bundesagentur für Arbeit

Nicht aber gegen Sachen: Nach zwei weiteren Drohbriefwellen an zahlreiche Politiker aller Parteien, die Präsidenten von Bundesverfassungs-, Bundesarbeitsgericht und des Bundesamtes für Verfassungsschutz schritt das Duo offenbar am 2. August zur Tat. Um 00.55 Uhr – so zeigen es Videoaufnahmen – verließen zwei Personen einen Zug, gingen zunächst in eine Kneipe des Nürnberger Hauptbahnhofs. Die männliche und die weibliche Person verließen dann um zwei Uhr den Bahnhof.

Um 4.15 Uhr meldete ein Sicherheitsdienst der Polizei, dass an einem Seitenausgang der Bundesagentur für Arbeit ein Brandsatz abgestellt worden sei: vier mit einem Benzin-Dieselgemisch befüllte Plastikflaschen, mit Klebeband zusammengebunden. Dazwischen ein Grillanzünder. Der zündete den leicht entzündlichen Mix nur deshalb nicht, weil der brennende Esbitwürfel das Klebeband verschmorte und zu Boden fiel, als das Gebinde brach. Videoaufnahmen belegen, dass die Frau den Brandsatz legte, während der Mann sie unterstützte.

Um 5.45 Uhr kaufte das Pärchen, wieder zurück im Nürnberger Bahnhof, sich vier Bier. Um 8.30 Uhr bestiegen auf Gleis 18 den Regionalexpress 90 nach Stuttgart, der um 8.37 Uhr losfährt. Ermittler sind sich sicher: Bei dem Paar handelt es sich um Grahlow und Eickhoff – die Bilder seien von „sehr guter Qualität“, vermerken sie.

Ermittlungen in Stuttgart

Am 27. August fand eine Streifenwagenbesatzung morgens um 4.56 Uhr im Kreis Gütersloh (Nordrhein-Westfalen) 200 Meter entfernt von der Villa des Fleischfabrikanten Clemens Tönnies zwei Flaschen mit einer klaren, gelblichen Flüssigkeit, zwei Tafeln Grillanzünder und ein Stabfeuerzeug. Ordentlich abgelegt, wie vergessen auf dem Zufahrtsweg abgestellt. Unklar ist, ob es sich hier um einen versuchten Anschlag handelt, bei dem die Täter gestört wurden, oder um eine zur Schau gestellte Drohung. Ermittler bringen Eickhoff und Grahlow mit der Tat in Verbindung: Einen Tag nach dem später ging in Tönnies Firma ein Bekennerschreiben der RAZ und der WALF, der Westfälischen Animal Liberation Front, ein. Das Schreiben nimmt auch Bezug auf den misslungenen Brandanschlag auf die Nürnberger Arbeitsagentur.

Anfang Oktober verschickten die RAZ weitere Drohbriefe – unter anderem auch an unsere Zeitung, nachdem diese kürzlich über den Anstieg linksradikaler Gewalttaten in Baden-Württemberg berichtet hatte. In diesem Schreiben drohen sie mit Anschlägen auf Bahnen aber auch damit „VerkehrsministerInnen, GeschäftsführerInnen im Rahmen des polit-aktivistischen Zwangs in Gewahrsam“ zu nehmen, „nachts bei Ihnen persönlich vorbei“ zu kommen, um „unseren Forderungen den nötigen Nachdruck zu verleihen“.

Soweit kam es dank der Ermittlungen von LKA und der Stuttgarter Staatsanwaltschaft nicht mehr. Hätte der Nürnberger Brandsatz gezündet, hätte der Anschlag auch Menschen verletzen oder gar töten können, sind sich Ermittler sicher: In dem Gebäude wird rund um die Uhr gearbeitet, es wird von einem Sicherheitsdienst bewacht.

Parlamentarisches Nachspiel

Die Vorfälle sollen jetzt auch parlamentarisch aufgearbeitet werden. Die FDP im baden-württembergischen Landtag hat bereits eine Kleine Anfrage gestellt. Der Heilbronner Liberale Nico Weinmann will von der Landesregierung wissen, welche Beziehungen zwischen Eickhoff, Grahlow und anderen Mitgliedern der linksextremen Szene existieren. Aber er verlangt auch Auskunft darüber, ob das Duo an der Stuttgarter Krawallnacht in Juni beteiligt war oder am Überfall auf einen Gewerkschafter des rechtsextremen „Zentrums Automobil“ am 16. Mai am Cannstatter Wasen.

„Politik, Ermittlungsbehörden und Gesellschaft müssen sich allen Arten des Extremismus entgegenstellen. Jeder politische Extremismus, ob Rechts- oder Linksextremismus oder der Islamismus, richtet sich gegen Andersdenkende, die er einschüchtern und mundtot machen will“, sagt Innenexperte Weinmann. Die hohe Zahl gewaltbereiter Linksextremer im Land zeige, dass Sicherheitsbehörden hier weiterhin entschlossen agieren müssen. „Es muss nun aufgeklärt werden, wer aus dem linksextremen Kreis Mitwisser oder Förderer dieser Taten war.“

Inzwischen nehmen nach Recherchen unserer Zeitung die Ermittler des LKAs weitere Kontakte von Eickhoff und Grahlow in die linksextreme Szene ins Visier. Der aktuelle Ermittlungserfolg, sagt LKA-Präsident Ralf Michelfelder, „belegt abermals, dass wir auf keinem Auge blind sind. Rechter, linker und religiöser Extremismus und Terrorismus sind bei uns gleichermaßen und intensiv im Fokus“.