Einst scharten sich in Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen im Winter die Menschen ums Kerzenlicht. Mit der Elektrifizierung wurde alles anders: aus unserer Serie „Lichtgeschichten von den Fildern“.
„Oh, Gott, gib mir Licht und feste Überzeugung, damit ich fröhlich deinen Willen thue!“ Vermutlich meinte der Echterdinger Pfarrer und Erfinder Philipp Matthäus Hahn, als er Ende November 1789 den Wunsch nach Licht in sein Tagebuch eintrug, vorrangig eine Form der spirituellen Erleuchtung. Doch auch im wörtlichen Sinn waren die Fildern zu Hahns Zeiten noch ein ziemlich spärlich beleuchteter Landstrich. Das sollte sich bald ändern.
„Auf den Dörfern war es dunkel“, betont Nikolaus Back, der Stadtarchivar von Filderstadt. Licht am Abend, das war gleichbedeutend mit der limitierten Beleuchtung einer Kerzenflamme oder einer kleine Öllampe. Das heller brennende Petroleum stand erst ab den 1860er-Jahren zur Verfügung. Gas und Elektrizität waren Zukunftsmusik.
Kerzenlicht galt lange als Luxus
„Es gab aber schon damals ein Stadt-Land-Gefälle“, erzählt Back im Filderstadtmuseum in Bonlanden. So gab es in den Häusern reicher Städter und bei Hof durchaus bereits Kronleuchter, die große Räume erhellen konnten. In Dörfern wie Bernhausen, Bonlanden oder selbst dem reicheren Echterdingen galt Kerzenlicht hingegen noch immer als teurer Luxus.
Um Kerzen oder Öl zu sparen, gleichzeitig aber auch um in der dunklen Jahreszeit unter Menschen zu sein, versammelten sich deshalb vor allem die Frauen und Mädchen der Dörfer bis etwa Lichtmess am 2. Februar in sogenannten Licht-, Kunkelstuben oder Lichtkarzen. Von solchen beleuchteten Räumen in einzelnen Bauernhäusern kann auch der ehrenamtliche Leiter des Stadtmuseums von Leinfelden-Echterdingen, Wolfgang Haug, berichten.
„Man ist abends nicht in die Wirtschaft gegangen. Das kostete Geld“, sagt Haug. Das Wort „Kunkel“ verweise darauf, dass die Frauen in den Stuben gemeinsam spannen. „Man arbeitete und sparte Heizkosten und Licht“, sagt Haug. Noch in den 1930er-Jahren sei aus Echterdingen die Existenz einer Kunkelstube in der Waldhornstraße 5 bekannt. Sie nahm allerdings bereits in historisierender Weise Bezug auf das 19. Jahrhundert.
Die Quellen berichten auch, dass die erhellten Kunkelstuben nicht selten den Argwohn der Obrigkeit auslösten: So vermerken Kirchenkonventsprotokolle des 18. Jahrhunderts aus Bonlanden, dass sich immer wieder junge Burschen Zutritt zu den Stuben verschafften. 1753 habe der Kirchenkonvent deshalb strenge Regeln verfasst, erzählt Back. Festgelegt wurde darin zum Beispiel, wie viele und welche Mädchen die Lichtkarze besuchen durften. Auch Kontrollvisiten gab es. Allerdings war der Erfolg der Maßnahmen überschaubar: Denn auch in der Folge berichten die Bonlander Akten von einschlägigen Vorfällen: So heißt es etwa 1778: „Dem Pfarramt war zu Ohren kommen, daß in der Christina Schall Lichtkarz ledige Söhne gewesen seyen.“ Vor dem Haus war es gar zu einer handfesten Rauferei gekommen.
Entscheidender Entwicklungssprung Anfang des 20. Jahrhunderts
Nach und nach erhellten sich die Dörfer, und die Notwendigkeit, sich gemeinsam um eine Lichtquelle zu scharen, verschwand allmählich. Nachdem die Einführung des Petroleums ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Beleuchtung von Häusern und Straßen vorangebracht hatte, sorgte, wo es nicht zuerst das Gas war, Anfang des 20. Jahrhunderts die Elektrizität für den entscheidenden Entwicklungssprung. Bereits Mitte der 1890er-Jahre hatten größere Städte in Württemberg eigene Elektrizitätswerke gegründet. Das 1896 in Altbach am Neckar privat gegründete Elektrizitätswerk versorgte ab 1900 Hohenheim als erste Gemeinde auf den Fildern mit Drehstrom. Weil 1909 auch das wohlhabende Echterdingen mit dem inzwischen als Neckarwerke AG Esslingen firmierenden Elektrizitätswerk einen Konzessionsvertrag abschloss, befasste man sich auch im benachbarten Bernhausen mit der neuen Errungenschaft. Die Hochspannungsleitung nach Echterdingen musste über Bernhäuser Markung geführt werden.
Stadtarchivar Back hat bereits 2010 anlässlich einer Ausstellung des Filderstadtmuseums die Geschichte der Elektrifizierung Filderstadts aufgearbeitet. Nachdem Echterdingen 1909 ans Stromnetz angeschlossen wurde, folgte im Januar 1911 Bernhausen. Für die Straßenbeleuchtung der Gemeinde seien sechs „ganznächtige Osramlampen“ mit je 150 Kerzen sowie 24 „halbnächtige Osramlampen“ mit je 50 Kerzen angeschafft worden. Sofort erhielten das Rathaus, die Wohnungen der Lehrer, das Klassenzimmer der Oberklasse sowie der Farrenstall elektrisches Licht. In einem Leserbrief im Filder-Boten vom 31. März 1911 zeigt sich ein Bernhäuser Bürger begeistert: „Für diese wohltätige Einrichtung möchte der Einsender dem Schultheiß samt seinem Kollegium auf diesem Weg aufrichtigsten Dank öffentlich aussprechen“, schreibt er. Nicht so erfreut dürfte der Nachtwächter der Gemeinde gewesen sein: Ihm wurde der Lohn gekürzt, weil er nicht mehr alle Petroleumlampen in den Straßen einzeln an- und ausschalten musste. Heute ist die Dunkelheit bei Nacht verschwunden: In Leinfelden-Echterdingen beleuchten 5450 Lichtpunkte etwa 155 Kilometer kommunale Straßen. Im Stadtgebiet Filderstadt sind es nach Auskunft der Verwaltung rund 145 Kilometer und 5500 Lichtpunkte.
In der Serie „Lichtgeschichten von den Fildern“ beleuchten wir, welche Rolle das Licht in der dunklen Jahreszeit hat, sprechen mit Menschen , die mit Licht zu tun haben, oder geben Tipps , wie man sich selbst aus der Dunkelheit holen kann.