Quelle: Unbekannt

Der Olgahain unweit von Bebenhausen: ein ehemaliges Waldidyll aus dem Musterbuch der Romantik.In der Nähe von Hohenentringen stehen Mammutbäume, deren Samen aus Nordamerika importiert wurden.

Von Thomas Krazeisen

Als Goethe 1797 auf seiner Reise in die Schweiz mit der Kutsche von Stuttgart über Waldenbuch nach Tübingen fuhr, präsentierte sich der Schönbuch ziemlich schütter. Nachhaltigkeit war noch keine Tugend der überwiegend agrarisch geprägten Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Vor allem übermäßiger Holzeinschlag und intensive Waldweide hatten mit der Zeit zu einem Rückgang des Hochwald-Baumbestandes geführt.

Die wechselvolle Geschichte dieses heute größten zusammenhängenden Waldgebietes in der Region Stuttgart ist im Schönbuch-Museum in Dettenhausen anschaulich dokumentiert (siehe den EZ-Sommerserienbeitrag vom vergangenen Freitag). Erst recht freilich lohnt der Besuch des „Freilicht-Museums“ Schönbuch per pedes oder mit dem Rad. Praktisch auf Schritt und Tritt gelangt man in freier Natur etwa zwischen Einsiedel und Hohenentringen auf geschichtliche und geologische Lehrpfade, die eine großartige Kulturlandschaft mit einer reichen Vergangenheit lebendig werden lassen.

Als Ausgangspunkt bietet sich der Parkplatz beim Kirchentellinsfurter Baggersee an. Vom Neckartal geht’s, der Beschilderung folgend, gleich einmal ordentlich bergauf Richtung Einsiedel. Kommt man aus dem Wald, sind es durchs Lindenspalier zwischen wogenden Getreidefeldern nur wenige Hundert Meter zu diesem landesgeschichtlich höchst bedeutsamen Erinnerungsort, von dessen einstiger Funktion heute freilich nicht mehr allzu viel zu sehen ist. Auf einer Rodungsinsel mit herrlichem Blick auf Achalm und Reutlinger Alb ließ Graf Eberhard im Bart, „Württembergs geliebter Herr“, erster Herzog und Tübinger Universitätsgründer 1482 ein Jagdschloss errichten, von dem heute lediglich ein Flügel erhalten ist. Ein Jahrzehnt später folgte die Gründung des Stiftes St. Peter, in welchem Geistliche, Adlige und Bürger zusammenlebten. Als einfacher Bruder in der blauen Kutte dieser sogenannten Fraterherren wurde auch der 1496 verstorbene württembergische „Landesheilige“ im Stift Einsiedel gemäß seinem letzten Willen beigesetzt. Die Grabplatte ist so wenig wie das Stift selbst erhalten; seine Reste wurden nach einem Brand im Jahr 1580 in den darauffolgenden Jahrzehnten abgebrochen, Eberhards Gebeine waren bereits unter Herzog Ulrich 1537 in den Chor der Tübinger Stiftskirche überführt worden. Auch von einem Lustschlossprojekt Carl Eugens aus dem 18. Jahrhundert ist nichts mehr übriggeblieben. Nur das kerzengerade zum Schönbuchrand führende Sträßchen, einst die Hauptachse eines ganzen Strahlenkranzes von Alleen, welche direkt auf Carl Eugens Lustschloss zuliefen, erinnert noch an dieses repräsentative Projekt auf dem Einsiedel. Auf der schnurgeraden Lindenallee befinden wir uns historisch betrachtet auf einem „Zubringer“ zur von Stuttgart her Richtung Balingen, Tuttlingen und Schaffhausen verlaufenden alten Schweizerstraße. Nur die meisten der Linden sind jüngeren Datums, nachdem der Orkan Lothar 1999 auch hier eine Schneise der Verwüstung geschlagen hatte. Wer mehr über Geologie, Klimaeinflüsse und frühere Besiedlungen durch Kelten und Römer auf der fruchtbaren Einsiedel-Hochebene wissen will, kann dies in einem ausgezeichneten Lehrpfad tun, der neben dem Schloss beginnt.

Die nächste Etappe führt nach Bebenhausen. Fährt oder wandert man die gesamte Lindenallee durch, muss man am Ende nach links über den sogenannten Ersatzweg Richtung Zeitungseiche-Parkplatz. Bequemer (aber mit eingeschränktem Pkw-Verkehr) gelangt man über das Sträßchen am Roten Tor vorbei zum Parkplatz. Hier ist die frequentierte alte Stuttgarter Straße zu überqueren. Hinter dem Gatter geht’s alsbald im Staatswald bergab - wir befinden uns hier zugleich auf einem Teilstück des Jakobsweges, den wir aber auf dem Ziegelhäuslesweg nach links verlassen. Auf ihm gelangen wir, weiter den Berg hinab, in das Kirnbachsträßchen, welches zum Kirnbach-Parkplatz unweit von Bebenhausen führt. Hier lohnt ein Abstecher in den sogenannten Olga-Hain, den man über den Spartakus-Weg erreicht. Dieser Waldhang unterhalb einer Rhätsandstein-Abbruchkante mit seinen Moosen und Farnen, kleinen Teichen, mächtigen Felsbrocken und faszinierenden Licht- und Schattenspielen war so recht nach dem Geschmack der Zeit: ein Sehnsuchtsort wie aus dem Musterbuch der Romantik. In diesem ihr gewidmeten und mit Steinstufen versehenen kleinen Waldparadies, in dem möglicherweise auch ein Teehäuschen stand, lustwandelte die russische Zarentochter und württembergische Monarchin Olga (1822-1892), die Frau von König Karl I. von Württemberg, bei ihren Aufenthalten in Bebenhausen.

Zunächst prägten den historisch bedeutendsten Schönbuch-Ort fast dreieinhalb Jahrhunderte lang Zisterziensermönche. Aufgrund seiner rechtlichen Privilegierung und seines stattlichen Grundbesitzes zählte dieses in staufischer Zeit durch Pfalzgraf Rudolf I. von Tübingen gegründete Kloster bald zu den reichsten des Landes. Am Ende des 15. Jahrhunderts gehörte der Abt von Bebenhausen zur Gruppe jener mehr als ein Dutzend Klostervorsteher, die über ihren Sitz im Landtag zeitweise auch politischen Einfluss in Württemberg erlangen konnten. Nach der Einführung der Reformation in Württemberg unter Herzog Ulrich war diesem Konvent das Schicksal aller württembergischen Klöster - also auch St. Peter auf dem Einsiedel - beschieden: Er wurde aufgelöst. Bis zum Ende des Alten Reiches wurde das Gebäude als evangelische Klosterschule genutzt, im 19. Jahrhundert bauten die württembergischen Könige Teile des Klosters zum Jagdschloss um; der letzte württembergische Monarch, „Bürgerkönig“ Wilhelm II., und seine Frau Charlotte wählten das Jagdschloss Bebenhausen zu ihrem Alterswohnsitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte noch einmal die einstige politische Bedeutung des Ortes auf, als zwischen 1946 und 1952 der Landtag von Württemberg-Hohenzollern in Bebenhausen tagte.

Am Ortsende vor der Brücke, welche über den Rittweg hinauf nach Tübingen-Waldhausen führt, starten wir unsere letzte Etappe nach Hohenentringen. Zwischenziel ist das Heuberger Tor. Mit dem Rad bietet sich die Fahrt über den Bettelweg an. Nach etwa einem Kilometer auf dem Radweg Richtung Rottenburg/Herrenberg (Bebenhäuser Straße) führt der Bettelweg den Wald hinauf, bis man nach etwa eineinhalb Kilometern am Heuberger Tor ankommt. Von hier aus hat man über Hagelloch und seine Streuobstwiesen hinweg einen prächtigen Blick Richtung Zollernalb. Der Radweg führt nach rechts weiter am Waldrand entlang über den Roten Weg, der am Bogentor einen Knick nach rechts macht. Weiter der Beschilderung Richtung Hohenentringen folgen. Eine schöne Variante führt am Ende einer Lichtung nach links zu drei Mammutbäumen mit Lehrtafel und Grillplatz. Die mächtigen Wellingtonien stammen aus jener von König Wilhelm I. 1864 eigentlich für die Wilhelma georderten Saat aus Nordamerika; die Lieferung fiel so üppig aus, dass auch außerhalb von Stuttgart noch genügend Exemplare dieser Waldriesen gepflanzt werden konnten.

Nach gut 100 Metern biegen wir nach rechts ab, dann geht es immer geradeaus, vorbei an einer Spielwiese mit dem nächsten Grillplatz, bis zum Ende des Weges; dort wiederum rechts halten - nach wenigen Hundert Metern kommt bereits Schloss Hohenentringen in den Blick. Es ist bewirtschaftet und bietet von der Gartenterrasse aus einen grandiosen Blick übers Ammertal hinweg auf die Balinger Alb sowie ins Gäu. Das heutige Schloss stammt aus dem frühen 18. Jahrhundert, errichtet an einer Stelle, an der einst im Hochmittelalter eine Burg erbaut worden war. Ihre Geschichte ist, wie schon an den Wappen in der Gaststube abzulesen ist, abwechslungsreich, unter anderem finden wir wieder die Pfalzgrafen von Tübingen und die württembergischen Landesherren. Mit ihnen schließt sich historisch betrachtet der Kreis unserer Schönbuch-Tour: Graf Eberhard hatte 1468 Teile der Burg gekauft und seiner Frau Barbara Gonzaga von Mantua zur Hochzeit geschenkt. Die erste Herzogin von Württemberg starb 1503, fand aber nicht bei ihrem Mann auf dem Einsiedel ihre letzte Ruhe, sondern wurde - wohl auf eigenen Wunsch - im Chor des Kirchheimer Dominikanerinnenklosters beigesetzt, dem sie sich eng verbunden gefühlt hatte.

Bei der Rückfahrt zum Ausgangspunkt kann man die Ammertalroute über Schloss Roseck oder Hagelloch und ab Tübingen den ebenfalls ausgeschilderten Neckartal-Radweg wählen. Schön ist auf der anderen Seite von Schloss Hohenentringen aber auch der Talweg am Arenbach entlang, vorbei am Wildschweingehege „Saurucken“, bis nach Bebenhausen.

Von dort verläuft der Radweg durchs Goldersbachtal nach Lustnau, wo man sich an der Adler-Kreuzung nach links hält und den Berg hinauf Richtung Pfrondorf fährt. Zwischen Lustnau und Pfrondorf zweigt die alte Stuttgarter Straße nach links ab, auf der Höhe hat man einen spektakulären Albblick vom Hohenneuffen bis zur Burg Hohenzollern. Vorbei an der Sophienpflege gelangt man schließlich einige Hundert Meter weiter wieder über den Parkplatz Zeitungseiche und die Lindenallee zum Einsiedel und hinunter ins Tal nach Kirchentellinsfurt.

Informationen

Buchtipp: Im Tübinger Silberburg-Verlag ist von Dieter Buck der Band „Im Naturpark Schönbuch. Wanderungen und Spaziergänge zwischen Tübingen, Böblingen und Herrenberg“ erschienen. Der Band enthält 36 ausführlich beschriebene Routen (120 Seiten, 9,90 Euro).

Ebenfalls eine sehr gute Übersicht über die Rad- und Wanderwege durch den Schönbuch sowie ausführliche Informationen zu den Sehenswürdigkeiten und nicht zuletzt Veranstaltungshinweise findet man auf der Webseite www.naturpark-schoenbuch.de

Bis Ende Oktober hat auf dem Einsiedel sonn- und feiertags von 10.30 Uhr bis 18 Uhr die Wanderraststätte geöffnet (www.schloss-einsiedel.de).