Unterrichtsausfall wegen Lehrermangel ist vielerorts ein Thema. Im Kreis Esslingen gibt es allerdings auch Schulen, an denen das kaum ein Problem ist. Foto: dpa/Peter Endig

Gestresste Lehrer und Unterrichtsausfälle – laut einer Umfrage fehlt es vielerorts im Südwesten an Lehrkräften. Wie die Schulen im Kreis Esslingen versuchen, die Situation in den Griff zu bekommen und wo Quereinsteiger bislang eingesetzt werden.

Der Lehrermangel könnte sich in den kommenden Jahren weiter zuspitzen – das befürchten vier von fünf Schulen in Baden-Württemberg. Aus einer Forsa-Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) ging hervor, dass 81 Prozent der Schulen im Südwesten glauben, dass sich der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern weiter vergrößert und damit noch mehr Unterricht ausfallen könnte. Sind die Aussichten tatsächlich so ernüchternd, und schlägt sich der Lehrkräftemangel auch im Landkreis Esslingen nieder?

Wie werden die Lehrerstellen besetzt?

Im Schelztor-Gymnasium in Esslingen ist die Lage laut dem Schulleiter Jörg Leihenseder überschaubar und stabil: „Bei uns sind aktuell alle Stellen besetzt.“ Der Ablauf bei der Stellenbesetzung an den Schulen sei überall gleich: Das Regierungspräsidium Stuttgart weist in der Regel die Lehrerstellen den Schulen zu. „Das kann sich bei Mangelfächern wie beispielsweise Physik logischerweise etwas schwieriger gestalten“, sagt Leihenseder.

Ein Teil der Stellen wird auch durch sogenannte schulscharfe Stellenausschreibungen besetzt: Das bedeutet, dass die Schule eine bestimmte Fächerkombination ausschreibt und mit den infrage kommenden Bewerbern Vorstellungsgespräche führt. „Es kann vorkommen, dass sich Kandidaten bei mehreren Schulen bewerben und die Schule den Wunschkandidaten nicht erhält, da dieser schon an einer anderen zugesagt hat“, sagt Leihenseder.

Quereinsteiger unterrichten Vorbereitungsklassen

Auch an der Zollberg-Realschule in Esslingen bestehe zum jetzigen Zeitpunkt kein Lehrermangel: „Aktuell können wir unsere Stundentafel ohne Kürzungen umsetzen“, sagt die Schulleiterin Carolin Saar. Man sei stolz darauf, eine so gute Schulgemeinschaft zu haben, sodass jede Lehrkraft gerne an der Schule ist und bleiben will. „Das ist auch gut so, da wir nicht einfach mit Goodies wie Geschäftswagen oder Bonuszahlungen locken können.“ Außerdem versuche man, vermehrt Quereinsteigern eine Chance zu gegeben. Sie unterrichten die Vorbereitungsklassen. So ermögliche man Kindern aus anderen Ländern einen Schulbesuch und mache sie mit der deutschen Sprache vertraut.

Auch die Riegelhof-Realschule im Ostfilderner Stadtteil Nellingen konnte einen Quereinsteiger für die Vorbereitungsklasse gewinnen. „Er ist ausgebildeter Englischlehrer und hat jahrelange Unterrichtserfahrung aus diversen internationalen Schulen“, sagt der Schulleiter Markus Fritz. An der Riegelhofschule bestehe aktuell ebenfalls nur ein geringer Lehrermangel in einzelnen Fächern. Die Versorgung liege bei nahezu 100 Prozent. Bislang habe es in diesem Schuljahr nur wenige zeitweilige Ausfälle gegeben und es konnte rechtzeitig vorgesorgt werden. Die Sanierung des Schulgebäudes ist genutzt worden, um den Arbeitsplatz der Lehrerinnen und Lehrer attraktiver zu gestalten. „Wir haben klare Arbeitsstrukturen und pflegen eine gute Gemeinschaft, beispielsweise war ein großer Teil des Kollegiums mal übers Wochenende zusammen Skifahren“, sagt Fritz. Dabei sei es auch wichtig, die Weiterentwicklung der Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen und zu akzeptieren, wenn sie sich auf andere Stellen bewerben möchten. „Es wäre falsch, da nur an sich selbst zu denken, und die Hauptsache ist, dass die Lehrkräfte im Landkreis bleiben“, sagt Fritz. An der Eduard-Mörike-Schule im Kirchheimer Stadtteil Ötlingen stellt sich die aktuelle Situation dagegen anders dar: „Zum einen fehlen aufgrund eines eher kurzfristigen Ausfalls immer wieder Lehrkräfte an der Schule und im Unterricht, und zum anderen gibt es auch längerfristig einen Lehrermangel“, sagt die Schulrektorin Caroline Nick.

Grundsätzlich gebe es im System aber keine Vertretungskräfte, die an der Schule im Bedarfsfall einspringen könnten. Deshalb würden sich kurz- und längerfristige Ausfälle direkt auf die Unterrichtsversorgung auswirken. Das bedeutet für die Lehrkräfte eine deutliche Mehrbelastung. Man beziehe zwar Aushilfskräfte und Lehrbeauftragte in den Unterrichtsalltag ein, aber bisher wurden keine Quereinsteiger an der Schule eingestellt. „Für das kommende Schuljahr haben wir Stellen schulscharf ausgeschrieben und sind derzeit in der Bewerbungsphase“, berichtet Caroline Nick.

Keine Vertretungskräfte an der Eduard-Mörike-Schule in Kirchheim

Tausende Lehrkräfte sollen in den kommenden Jahren fehlen

Insgesamt werden sich laut der Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Zukunftsprognosen in Baden-Württemberg nicht verbessern. Das Problem, dass Lehrkräfte fehlen, würde sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Immer weniger junge Menschen können sich vorstellen, den Lehrberuf zu ergreifen. Die GEW geht davon aus, dass bis 2035 zwischen 16 000 und 27 000 Lehrkräfte in Baden-Württemberg fehlen könnten. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) rechnet auch im kommenden Schuljahr mit Unterrichtsausfällen. 5500 Stellen seien zu besetzen. Dabei beendeten nur 4100 Referendarinnen und Referendare ihre Ausbildung.

Lehrermangel in der Region

Werdegang
 Wer in Baden-Württemberg als Lehrer an staatlichen Schulen unterrichten möchte, muss ein Hochschulstudium absolvieren. Studierende starten mit einem lehramtsbezogenen Bachelorstudiengang, an den sich ein Lehramtsmaster anschließt. Der erfolgreiche Abschluss des Masterstudiums ist Voraussetzung für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst – das sogenannte Referendariat. Das Lehramtsreferendariat dauert eineinhalb Jahre und wird nur an einer Schule absolviert.

Image des Lehrberufs
Bei jungen Leuten ist der Beruf nicht sehr gefragt. An den sechs pädagogischen Hochschulen (PH) in Baden-Württemberg konnten laut Wissenschaftsministerium zum ersten Mal nicht alle Studienplätze für das Lehramt an Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschulen besetzt werden. Für alle Lehrämter geht die Zahl der Bewerber seit Jahren zurück. Das Image des Berufs habe laut Karin Schweizer, Vorsitzende der PH-Landesrektorenkonferenz in der Coronapandemie erheblich gelitten.