Der frühere Bordell-Chef im Stuttgarter Gerichtssaal. Foto: Archivfoto: dpa - Archivfoto: dpa

Sauber und fair soll die Prostitution im Bordell „Paradise“ gewesen sein – so propagierte es der Betreiber. Doch von paradiesischen Zuständen konnte keine Rede sein.

Leinfelden-EchterdingenNach knapp einem Jahr hat das Landgericht Stuttgart den ehemaligen Chef des Bordells „Paradise“ in Leinfelden-Echterdingen, Jürgen Rudloff, wegen Beihilfe zum schweren Menschenhandel und Zuhälterei sowie vierfachen Betrugs in Millionenhöhe zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der 52-jährige Marketingleiter muss wegen der gleichen Delikte für drei Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Ein 71-jähriger Steuerberater kam wegen Beihilfe zum Betrug mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten davon.

Der Entscheidung war eine Absprache zwischen den Prozessbeteiligten vorausgegangen, nachdem die Angeklagten am 52. Verhandlungstag Geständnisse abgelegt hatten. Der vierte Angeklagte, der ehemalige Geschäftsführer des Bordells, hatte bereits im Dezember sein Schweigen gebrochen und im Gegenzug eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren erhalten. Die für den Bordellbetrieb Verantwortlichengaben zu, sechseinhalb Jahre lang Zwangsprostitution durch Mitglieder der Rockerbanden Hells Angels und United Tribuns billigend in Kauf genommen, wollten aber von den Misshandlungen der oftmals sehr jungen Frauen im Einzelfall nichts gewusst haben.

Der Vorsitzende Richter der 7. Großen Strafkammer, Rainer Gless, erhofft sich von dem Urteil eine Signalwirkung für die Szene: Strafrechtliche Verantwortung bestehe auch ohne konkretes Wissen. Gless wollte Jürgen Rudloff nicht absprechen, dass er vorhatte, selbstständig arbeitende Prostituierten im „Paradise“, das im Februar 2008 eröffnet wurde, einen sauberen und transparenten Arbeitsplatz für ein Eintrittsgeld von 60 Euro zu bieten. Doch ohne ausreichende Anzahl von attraktiven Frauen mit gehobenem Niveau sei die „Wellness-Oase für Männer“ kein einträgliches Geschäft gewesen. 60 Prostituierte sollten es sein, um gewinnbringend zu arbeiten. Dann seien, so Gless, die „bösen Geister“, die Menschenhändler und Zuhälter, auf den Plan getreten, um den Frauenmangel zu beheben. Mitglieder der Hells Angels und der United Tribuns schickten „ihre Frauen“, die wie ein Stück Ware mit dem Vornamen des Besitzers an gut sichtbaren Körperstellen tätowiert waren, ins „Paradise“. „Loverboys“ hatten den Frauen, von denen viele nicht älter als 18 oder 19 waren, die große Liebe vorgetäuscht. Mit Drohungen und Schlägen wurden sie zur Prostitution gezwungen, sagt Gless. Von ihrem Dirnenlohn durften sie kaum etwas behalten. Der Richter führte in seiner Urteilsbegründung das Schicksal der 17 Zwangsprostituierten den Zuhörern im voll besetzten Verhandlungssaal vor Augen. Übrigens sind elf der Zuhälter bereits zu Freiheitsstrafen von einem bis sechs Jahren verurteilt worden. Es sei für Rudloff und Co. sowie die Hells Angels und United Tribuns. eine Win-Win-Situation gewesen, bemerkte der Richter sarkastisch. Neben dem Thema „Rotlichtmilieu“ habe aber auch das Thema „Betrug“ die Kammer seit März letzten Jahres beschäftigt. Die Finanzierung von Großbordellen finde nämlich kaum über Banken, sondern hauptsächlich über private Investoren statt. Neben dem „Paradise“ in Leinfelden-Echterdingen gibt es heute noch weitere Etablissements in Frankfurt, Saarbrücken und Graz. D as öffnete vor allem Rudloff Tür und Tor. Darlehen in Millionenhöhe, die aufgrund von falschen Versprechungen gewährt wurden, landeten nämlich in der eigenen Tasche. Einer der Betrogenen war übrigens der ehemalige Manager von Michael Schuhmacher, Willi Weber. Der ebenfalls angeklagte Marketingleiter und der Steuerberater hatten laut Gless nicht bei allen Betrugsfällen mitgemacht. Der Bordellchef hingegen sei wie auch bei dem Vorwurf der Zwangsprostitution der Drahtzieher gewesen, um vor allem seinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren. Im Urteil wurde die Einziehung von 1,3 Millionen Euro aus dem mehrfachen Schwindel angeordnet.

Chronik des Prozesses

30. November 2014: Großrazzia unter anderem im Bordell „ Paradise“ in Leinfelden-Echterdingen, Jürgen Rudloff setzt sich ins Ausland ab, kehrt aber wieder nach Stuttgart zurück und sitzt seit Ende September 2017 in Untersuchungshaft. Elf Rocker der Hells Angels und der United Tribuns werden in den folgenden zwei Jahren wegen Menschenhandels und Zuhälterei angeklagt und zu Haftstrafen zwischen einem und sechs Jahren verurteilt.

23. März 2018: Prozessbeginn vor dem Stuttgarter Landgerichts nach insgesamt über fünf Jahre Ermittlungsarbeit.

Juni 2018: Junge Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden, sagen aus

November 2018: Willi Weber, ehemaliger Manager von Michael Schuhmacher, tritt als Zeuge auf und bestätigt Betrug.

Dezember 2018: Ehemaliger Geschäftsführer des „Paradise“ bricht sein Schweigen und gesteht, von Zwangsprostitution gewusst zu haben. Verurteilung nach zu zwei Jahren auf Bewährung.

Anfang Januar 2019: Verteidiger lehnen die 7. Große Strafkammer wegen Befangenheit ab – erfolglos.

7. Februar 2019: Rudloff und die verbleibenden Mitangeklagten gestehen.