Im Landtag ließen sich die Besucher von Live-Musik mitreißen – zum Beispiel von der Gruppe RasgaRasga. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Tausende sind in Stuttgart am Samstagabend unterwegs, um so viel wie möglich vom Mammutprogramm der Langen Nacht der Museen mit mehr als 60 Stationen mitzubekommen.

Die Kenner gingen strategisch vor und haben ganz genaue Pläne für die Lange Nacht der Museen. Im Stundentakt von Attraktion zu Attraktion, man musste sich ranhalten. Wie sollte man sonst wenigstens einen Teil des Programmes mit mehr als 60 Stationen bewältigen, das am Samstag von 18 Uhr bis nach Mitternacht nach Angaben des Veranstalter etwa 20 000 Kunst- und Kulturinteressierte in die Stuttgarter Innenstadt, in den Westen und zum Hafen lockte. Schlangestehen an den Kassenhäuschen und Einlässen war unvermeidlich, aber niemand murrte. Wann kommt man sonst schon ins Neue Schloss. Und in den Landtag von Baden-Württemberg. Menschen mit einem gewissen Sinn fürs Morbide verschmähten auch nicht das Rendezvous mit dem Tod im Krematorium des Pragfriedhofs.

Frauenpower mit Pikanterie

Geschichten von starken Frauen ziehen immer. So groß war der Andrang zum Frauenpower-Rundgang, dass drei Gruppen gebildet werden mussten. Marcia Haydee galt die erste Aufmerksamkeit beim Start an der Treppe zur Staatsoper, dem Ort der Triumphe der Primaballerina. Dabei habe sie der damalige Generalintendant Schäfer eigentlich für „zu dick“ gehalten, verriet die kundige Stadtführerin Beate Durst: Vielleicht habe die Brasilianerin, unglücklich in ihrem vorherigen Engagement in London, sich mit zu viel Schokolade getröstet. Aber John Cranko war von ihr überzeugt. Und dann war die Haydee bekanntlich ein Star ohne Fehl und Tadel.

Doch schon ein paar Meter weiter, am Schicksalsbrunnen, war von allzu Menschlichem die Rede: Durst berichtete vom berühmtesten Stuttgarter Eifersuchtsdrama, dem die Sängerin Anna Sutter am 29. Juni 1910 zum Opfer fiel, erschossen vom verschmähten Liebhaber, dem Hofkapellmeister Alois Obrist. Mit schockierenden Details, weil die Künstlerin generell sehr freizügig war.

Pikanterien würzten auch die Geschichten, die Beate Durst an den weiteren Stationen Neues und Altes Schloss von Württembergs Herrschern berichtete: Dass sich König Wilhem I. nach dem Tod seiner geliebten Katharina, enttäuscht von ihrer Nachfolgerin Königin Pauline, mit der Schauspielerin Amalie von Stubenrauch tröstete, dass Herzog Carl Eugen neben 77 illegitimen Kindern mit adligen Damen eine „vierstellige Zahl von Nachkommen“ gezeugt habe, ehe ihn Franziska von Hohenheim an die Kandare gelegt habe. Und dass das Eheleben von Barbara Gonzaga de Mantua mit Herzog Eberhard im Barte und erst recht von Sabina von Bayern mit Herzog Ulrich kein Zuckerschlecken war. Das Publikum, in der Mehrzahl Damen, dankte begeistert. Während die Männer auf die Gelegenheit hin fieberten, im Ehrenhof vorm Neuen Schloss in einem Oldtimer mitfahren zu können.

Der Landtag wird zum Club

Muhterem Aras konnte kaum stillstehen. Da ging es der Landtagspräsidentin nicht anders als allen anderen Besuchern, die von der Live-Musik mitgerissen wurden. Denn im Landtag von Baden-Württemberg herrschte Club-Atmosphäre. Mit Worldbeats von RasgaRasga, sechs Freunden, zwölf Instrumenten, vier Sprachen und der wunderbaren Sängerin Daria Assmus, der vor allem das junge Publikum buchstäblich zu Füßen lag. „Ich freue mich, dass so viele Besucher kommen“, versicherte Aras als Hausherrin. „Die Bürgerinnen und Bürger nehmen ihr Haus in Anspruch, haben keinerlei Schwellenangst, so soll es auch sein.“

Da bewähre sich auch die verstärkte Transparenz, die durch den freien Blick in den Plenarsaal hinter Glas geschaffen wurde. Der bekannte Stuttgarter Poetry Slammer Nikita Gorbunov trat nicht zum ersten Mal hier auf. Zusammen mit Muhterem Aras hatte er hier ausländerfeindliche Mails vorgelesen, die die grüne Politikerin regelmäßig bekommt. „Tschau Papa“ hieß sein Text, den er als „Abgesang auf die „gute, alte Männlichkeit und was daran traurig und einsam macht“ beschreibt. „Die Frauen“, sagte er, „dürfen ihre Rollen ändern“. Oder sie haben längst die Power.