In den bald elf Jahren, die Christian Mayer (links) und Timo Wirth gemeinsam im L-Quadrat tätig sind, hat sich vieles im Jugendtreff getan. Foto: Tim Kirstein

Liebeskummer, Stress mit den Eltern oder Schulstress – für viele Jugendliche seien das die wichtigsten Probleme der Welt, wenn sie in den Ostfilderner Jugendtreff L-Quadrat kommen, sagen die Mitarbeiter. Die Einrichtung bietet Raum zum Abschalten – mit einem kuriosen Zeitlimit.

An der Tischtennisplatte spielen zwei Jungs und unterhalten sich, der Billardtisch und der Tischkicker sind noch frei. „Darts darf natürlich auch nicht fehlen“, sagt Timo Wirth und zeigt auf die Scheibe an der Wand des „Cafés“, wie der zentrale Raum im L-Quadrat genannt wird. Gemeinsam mit Christian Mayer leitet Wirth den Jugendtreff in der Bonhoefferstraße 30 im Ostfilderner Stadtteil Scharnhauser Park.

Im Jahr 2007 öffnete das L-Quadrat als eines von vielen Angeboten der Jugendarbeit in Ostfildern seine Pforten. In der Einrichtung des Kreisjugendrings Esslingen in Trägerschaft der Kinder- und Jugendförderung Ostfildern wird vor allem offene Jugendarbeit betrieben. „Wir sind kein Veranstaltungshaus wie andere Jugendtreffs“, sagt Mayer. Mit dem Zentrum Zinsholz habe man schon vor der Eröffnung eine etablierte Jugendkultureinrichtung „in Steinwurfweite“ gehabt, sagt er.

Offene Jugendarbeit steht im Mittelpunkt

Natürlich gebe es im L-Quadrat auch Aktionen wie etwa das „Geisterhaus“ an Halloween oder den Kinderspieleabend. „Unser Ziel ist aber, dass wir hier offene Jugendarbeit machen“, sagt Mayer, der bereits seit der Eröffnung des Jugendtreffs im Team ist. Durch die bestehenden Angebote im direkten Umfeld habe das L-Quadrat seine eigene Zielgruppe gefunden: Jugendliche ab zehn Jahren. „Das sind die, auf die wir unsere Angebote ausrichten“, sagt Mayer. „Wir schicken aber niemanden weg“, fügt Wirth hinzu. Es komme hin und wieder vor, dass auch ältere Geschwister oder Ehemalige im L-Quadrat vorbeikämen.

Chillen steht bei Besuchern hoch im Kurs

Mit dem Café, einem „Chillraum“, der Werkstatt, der Küche und einem Tanzraum sei das L-Quadrat räumlich eine der größeren Einrichtungen im Landkreis, erklärt Mayer. Die Räume und das Angebot würden sich stetig verändern, sagt Wirth. „Das ist aber in Jugendtreffs völlig normal“, erklärt Mayer. Beispielsweise gab es anfänglich eine lebendige Breakdance-Szene im Haus, die aber zum Erliegen kam. Momentan habe man wieder zwei Tanzgruppen und auch das Breaken laufe langsam wieder an, sagt Wirth. Ein großer Erfolg sei die Einführung des „Chillraums“ gewesen, erklärt Mayer. „Das kam super an, wir mussten es dann sogar etwas reglementieren“, fügt er hinzu. 45 Minuten lang können die Jugendlichen den Raum nutzen. „Das Raumangebot ist ein wichtiger Grund, wieso die Kids in den Jugendtreff kommen“, sagt Mayer. Als Rückzugsraum habe der „Chillraum“ offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen.

Probleme junger Leute werden hier nicht belächelt

Im Gegensatz zu den Räumlichkeiten im L-Quadrat seien die Sorgen und Probleme der Jugendlichen im Kern noch die gleichen wie früher, erklärt Mayer. „Das sind Probleme des Alltags wie Schulstress, der erste Liebeskummer oder Stress mit den Eltern“, sagt er. Man möge die Probleme vielleicht belächeln, doch in diesen Situationen seien sie für die Jugendlichen das Wichtigste auf der Welt, sagt Mayer. Als „Hilfe zur alltäglichen Lebensbewältigung“ bezeichnet er seine Arbeit, denn das Jugendalter und die Pubertät seien für jeden eine schwierige Zeit. Vor allem in Zeiten von Social Media, in denen das Sehen und Gesehenwerden im Leben vieler Jugendlicher eine wichtige Rolle spielt, fügt Wirth hinzu.

Das Jugendalter sei auch eine Zeit, in der Grenzen ausgetestet werden, erklärt Mayer. Die beiden Jugendtreffleiter und auch die anderen Mitglieder des Teams, wie etwa die jungen Erwachsenen, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr im L-Quadrat leisten, würden jeden Tag aufs Neue von den Jugendlichen getestet werden. „Das Austesten ist ein wichtiger Teil dieses Lebensabschnitts“, sagt Mayer. Deshalb gebe es im L-Quadrat nur wenige Regeln. Die goldene Regel sei jedoch, dass man sich so verhalten soll, wie man es auch von anderen erwartet, erklärt Mayer. „Der Jugendtreff soll auch für die anderen eine Art ‚safe space’, ein sicherer Ort, sein“, sagt er.

Ein Hausverbot ist das allerletzte Mittel

Überwiegend funktioniert das Konzept gut. Manchmal gibt es auch kurze Vier- beziehungsweise Sechs-Augen-Gespräche. „Wir wollen das Verhalten der Kids spiegeln und hoffen, dass das hilft. Meist reicht es und sie sehen es ein“, sagt Mayer. Sollte all das nicht helfen, gebe es immer noch das Hausverbot. „Das ist aber die Ultima Ratio und passiert nur sehr selten“, sagt Mayer.

Die Mitarbeiter empfinden ihren Job als Privileg

Dass die beiden nun seit knapp elf Jahren zusammen im L-Quadrat tätig sind, komme nicht von ungefähr. Man habe bei der Gestaltung der Arbeit viele Freiheiten und könne sich auch selbst ausprobieren, erklärt Wirth. Eine Besonderheit sei das Feedback der Jugendlichen. „In unserem Job kannst du den Erfolg nicht messen“, erklärt Mayer. Durch die regelmäßigen Gespräche bekomme man aber viel zurück. „Außerdem ist es auch irgendwo ein Privileg, ins Vertrauen gezogen zu werden“, erklärt Mayer. Langweilig werde es im L-Quadrat nie. „Es ist ein Stück weit wie Kinder erziehen“, sagt er.

Jugendarbeit in Ostfildern

Kiju
Das L-Quadrat ist nur eines von mehreren Angeboten der Kiju-Jugendarbeit. In Ostfildern gibt es auch das Zinsholz, die Kinderaktivwerkstatt, den Ganztagesbildungsbereich Lindenschulen, die Mobile Jugendarbeit, die Partnerschaft für Demokratie, das Ikeros Jugendbüro und „RESET“.

Partnerschaft
Eine Besonderheit der Jugendarbeit im L-Quadrat ist die seit dem Jahr 2009 bestehende Partnerschaft mit der offenen Jugendarbeit Hohenems in Österreich. Diese internationale Verbindung wird vor allem durch gegenseitige Besuche von Jugendgruppen belebt.

Nachgefragt
Zwar sei das L-Quadrat schon vor der Coronapandemie gut besucht gewesen, seit deren Ende kämen aber sogar noch mehr Kinder und Jugendliche, sagt Christian Mayer. Im Schuljahr 2023/24 besuchten täglich durchschnittlich 44 Jugendliche das L-Quadrat.