14.10.: Die Stuttgartnacht geht unter die Haut

 Foto: Ink Station / Eisenmann

Stuttgart – Bei der Stuttgartnacht waren am Samstag Kulturinteressierte bis in die frühen Morgenstunden auf den Beinen. Mehr als 60 Einrichtungen zeigten, was sie so einzigartig macht. Altbewährtes ließ sich neu erleben, versteckte Orte wurden entdeckt. Heiße Tanzeinlagen, gewitzte Kleinkunst und kuriose Führungen unterhielten die Nachtschwärmer. Unerschrockene konnten sich in 144 Metern Höhe ein Tattoo stechen lassen.

Die Kunst der Verführung: Stuttgart ist die Stadt des Automobils, die Stadt zwischen Wald und Reben. Aber auch die Stadt der Erotik? Im Stuttgarter Westen geht es an diesem Abend heiß her. Und das liegt nicht nur an den Besuchern der Stuttgartnacht, die dicht aneinander gepresst darauf warten, dass in der Erotikboutique „Frau Blum“ die Show beginnt. Auch im Freien kleben Menschengruppen wie Fliegen an den Scheiben. Schließlich will man dabei sein, wenn Curly Curvy, Raunchy Rita und Fanny Da Favola auf der Bühne fantasievoll die Hüllen fallen lassen. Selbstverständlich geschieht dies mit der gebotenen Langsamkeit – Masche für Masche werden weiße Seidenstrümpfe herabgerollt und Handschuhe abgestreift. Ein erotisches Knistern liegt in der Luft.

Heiße Nadel: Das Heraustragen des Mülls kann durchaus Folgen haben. Zumindest im Fall von Iris Serve. Als die 30-Jährige vor wenigen Tagen einen Blick auf die Hinterlassenschaften wirft, entdeckt sie in einer Zeitung die Ankündigung, dass bei der Stuttgartnacht auf dem Fernsehturm das höchste mobile Tattoo-Studio der Stadt zu finden sei. Für die „absolute Lokalpatriotin“ ist sofort klar, dass auch sie zu den Besuchern gehören wird, die sich das Wahrzeichen samt Anker auf der Haut verewigen lassen. Und der Standort hat durchaus viele Vorzüge: Das Lichtermeer des Kessels bietet eine grandiose Kulisse, um sich von den Schmerzen abzulenken. Das Surren der Nadel, die an einen Zahnarztbohrer erinnert, harmoniert mit der Lounge-Musik im Hintergrund.

Gegensätze ziehen sich an: Die Teilnehmer der Stuttgartnacht lassen sich auch dieses Mal wieder von dem ungewöhnlichen Geschehen an den Stationen mitreißen. Viel Gegensätzliches steht auf dem Programm: Anspruchsvolle Theaterkost wird ebenso dargeboten wie Boulevardstücke. Klassik trifft auf Country. Charleston findet seine Fans genauso wie Salsa oder Tango. Im Plenarsaal des Landtags haben Poetry Slammer das Sagen. „Ist mir deutlich lieber als das Rumgeeier mancher Abgeordneten“, sagt ein älterer Mann verschmitzt. Eines müssen die Besucher fast überall mitbringen: Geduld beim Anstehen.

Sternenhimmel: Die 25-jährige Partnerschaft mit der russischen Stadt Samara wird im Rathaus mit Musik, Essen und Tanz gefeiert. In noch weiter entfernt liegende „Gefilde“ geht es auf der Dachterrasse: Dort sind Mitglieder der Sternwarte mit ihren Teleskopen zugegen. „Eine perfekte Nacht“, schwärmt Vorstand Andreas Eberle. Er hat mit einem Linsenteleskop für die Besucher einen Kugelsternhaufen anvisiert, der aus mehr als einer Million einzelner Sonnen besteht. „Das Licht ist 22 000 Jahre weit gereist.“
Um zwei Uhr schließen die meisten Einrichtungen. Während viele Besucher sich auf den Heimweg begeben, geht für einen Teil der Nachtschwärmer die Partytour jetzt erst so richtig los. Die Veranstalter des Stadtmagazins „Lift“ zeigten sich gestern mit der Stuttgartnacht zufrieden. Rund 10 000 Besucher wurden gezählt – so viele wie im Vorjahr. Die 17. Auflage ist am 13. Oktober 2018 geplant.