Charlotte sitzt nach dem Schlaganfall im Rollstuhl, die Gemeinschaft ist am Ende. Quelle: Unbekannt

Unter großem Beifall haben die Kulissenschieber Ostfildern das Stück „Richtfest“ wieder aufgeführt. In Lutz Hübners tragikomischem Werk verliert die Gemeinschaft gegen den Egoismus.

Ostfildern Lutz Hübner zählt zu den meistgespielten deutschsprachigen Autoren. Ein Stück aus seiner Feder ist ein Garant fürs Gelingen. So auch „Richtfest“, eine Komödie, die sich zur Tragödie ausweitet. Die Kulissenschieber Ostfildern hatten das gesellschaftskritische Stück um den Traum von elf völlig verschiedenen Häuslesbauern bereits im vergangenen Jahr auf dem Spielplan. Die Wiederaufnahme unter der Regie von Tobias Metz fand am vergangenen Wochenende unter großem Publikumsbeifall im Theater an der Halle in Nellingen statt.

Es wäre zu schön gewesen: Elf Menschen wollen als Baugemeinschaft zusammen ein Haus bauen. „Es soll ein lebendiges Haus werden“, prophezeit Philipp (Oliver Knickel), ambitionierter Architekt und künftiger Mitbewohner, der das Haus als berufliches Prestigeprojekt sieht. Die künftige Gemeinschaft trifft sich in entspannter Atmosphäre, chillige Jazzklänge kommen aus dem Off, man stößt mit gutem Wein an. Alle plappern durcheinander, können sich nicht auf die Pointe beim letzten Treffen einigen. Franka (Yvonne Bobbe), Leiterin einer Musikschule, die mit ihrer Lebensgefährtin, der Musikerin Micka (Andrea Körfer), einziehen möchte, bringt das Problem auf den Punkt: „Wie wollen wir zusammen ein Haus bauen, wenn wir nicht mal eine kleine Anekdote zusammenkriegen?“ Da lachen noch alle.

Ziemlich schnell wird klar, dass die Parteien sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Schöner Wohnen haben. Und nicht einmal die Paare selbst sind sich über das Projekt einig. Es sind die Probleme des Mittelstands, wie sie einem überall begegnen und deshalb greift die Geschichte, auch ohne hochgeschraubte Dialoge. Der Witz liegt im vorhersehbaren Scheitern. Und, dass der Titel, „Richtfest“, niemals Berechtigung haben wird, ist allen im Publikum nach fünf Minuten klar.

Obwohl – eine leise Hoffnung besteht doch. Die keimt in Birgit (Heide Schmid), Leiterin einer Jugendhilfe, Ehefrau von Holger (Dirk Weitz), einem Beamten, und Mutter der renitenten Abiturientin Judith (Patricia Ulmann). Birgit nervt zwar alle mit ihrer Spießigkeit, ist aber die Einzige mit sozialer Ader, die in der Baugemeinschaft auch eine Lebensgemeinschaft sieht.

Letztlich scheitert aber der hehre Ansatz von der Verknüpfung des Privaten mit dem Gemeinschaftlichen am Egoismus jedes Einzelnen. Die Diskrepanzen lassen sich irgendwann nicht mehr wegdiskutieren. Statt eines Festes endet der Traum in einer großen Keilerei, nachdem das stinkreiche Pärchen Ludger (Frank Seeger) und Vera (Andrea Ragnit) der klammen Jungfamilie Christian (Marco Kordik) und Mila (Sandra Hockun), einem Assistenzarzt und einer Jura-Referendarin in Elternzeit, die finanzielle Unterstützung zur Wohnbaufinanzierung verweigern. Sie fühlen sich in ihrem gehobenen Lebensstandard von der Gemeinschaft nicht geachtet. Auch Christian und Mila sehen sich in ihrem Wunsch, Kinder und schicke Wohnung zu haben, unverstanden.

Das Lesben-Pärchen outet die ehemalige Kneipenwirtin Charlotte (Claudia Schilling-Dreyer) als Messie. Die sozial isolierte Frau bekommt einen Schlaganfall und wird noch vor Vertragsunterzeichnung zum Pflegefall. Die Baugemeinschaft sieht sich plötzlich als Wahlverwandtschaft. Birgit versucht sich noch einmal an einer sozialen Utopie, schlägt ein Zeitkonto vor, auf dem jeder soziales Kapital sammelt, nach dem Motto: Jeder bringt in die Gemeinschaft was ein und kriegt später zurück, was er braucht. Philipp findet aber ein Pflegeheim passender und sieht seinen architektonisch wegweisenden Entwurf als „Fuchsbau mit Bastelkeller“ enden.

Monica Lange hat für die Kostüme viel Gelb ins Spiel gebracht, eine Farbe, die in der Symbolik gerne mit Egoismus assoziiert wird. Sie entwarf auch gemeinsam mit Tobias Metz das schlichte Bühnenbild. Drei Tische, stapelbare Hocker- mehr braucht es nicht, um der Gesellschaft in rasanten eineinhalb Stunden ein treffendes Spiegelbild entgegenzuhalten. Prädikat: sehenswert.