Ist Angela Merkel führungsschwach? Foto: dpa - dpa

Selten wurde auf einem Parteitag der Kreis-CDU so heftig diskutiert. Die Ergebnisse des Koalitionsvertrags wurden unterschiedlich bewertet. Auffallend: Die harte Linie der Esslinger CDU gegenüber Flüchtlingen.

Von Peter Dietrich

Kreis EsslingenDie SPD-Genossen und die Grünen streiten sich. Die CDU ist aber ein braver Abnickverein? Dieses Klischee scheint Geschichte zu sein. Noch nie habe er bei einem CDU-Kreisparteitag derart heftige Diskussionen erlebt, meinte Thomas Wust nach der Veranstaltung im Nürtinger Restaurant Schlachthofbräu. Der Andrang war so groß, dass weitere Stühle herbeigeschafft wurden. In der Diskussion über die Einschätzung einer möglichen Großen Koalition (GroKo) traten unterschiedliche Einschätzungen zu Tage.

„Mit den Inhalten kann ich einigermaßen gut leben“, fasste Michael Hennrich, CDU-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Nürtingen, seine Einschätzung des Koalitionsvertrages zusammen. Ja, für Digitalisierung und Schulen werde viel Geld ausgegeben, aber das sei ein Muss. Auch die Ausgaben für Soziales und die Pflege seien gut. Ihre Nachforderungen bei der Härtefallregelung bei Geflüchteten, bei befristeten Arbeitsverhältnissen und der Bürgerversicherung habe die SPD „nicht sonderlich gut durchsetzen können“. Mit einem „weinenden Auge“ und „mit geballter Faust in der Tasche“ betrachte er hingegen die Ressortverteilung. „Man muss das akzeptieren, so schwer es einem fällt. Was wäre die Alternative gewesen? Eine Minderheitsregierung?“ Hennrichs Bemerkung „wenigstens das Kanzleramt haben wir behalten“ wurde mit Gelächter quittiert. Der Esslinger Bundestagsabgeordnete Markus Grübel war als Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz verhindert.

„Lust auf neue Debattenkultur“

Wie die SPD zur GroKo abstimmen werde, könne er noch nicht abschätzen, sagte Hennrich. Immerhin habe die CSU zugestimmt. Bei allen denkbaren Alternativen mahnte Hennrich, die Differenzen zwischen der CDU und den Grünen nicht zu vergessen. Bei Fragen wie dem Familiennachzug, Sicherheit und Recht sei die SPD der einfachere Verhandlungspartner gewesen. Nun hofft Hennrich darauf, schnell stabile Verhältnisse zu bekommen. Die Frage, wie es mit der CDU weitergehe, komme erst anschließend: „Wir wollen nicht am Stuhl von Leuten sägen, die noch verhandeln.“ Angela Merkel solle für vier Jahre Kanzlerin bleiben, doch 2019 könne ein neuer Parteivorsitzender gewählt werden. „Wir brauchen auch ein neues Grundsatzprogramm.“ Und es müsse parteiintern diskutiert werden: „Ich hätte Lust auf eine neue Debattenkultur.“

Mit dem Koalitionsvertrag gut leben? Das kann Holger Kappel vom Stadtverband Esslingen nicht. Er sieht darin „70 Prozent SDP-Forderungen durchgesetzt“. Mit der Ministerauswahl ist er erst recht nicht einig: „Mit ihren bundesweit acht Prozent hätte die CSU höchstens ein Ministerium bekommen dürfen.“ Auch an der CDU übte er Kritik. Von der Leyen habe die Bundeswehr heruntergewirtschaftet. Der Altbacher Gemeinderat Helmut Maschler vermisst in der CDU Führungskraft und Führungswille: „Wo war denn Angela Merkel?“ Der Eindruck in der Bevölkerung sei „70, 80 Prozent SPD“. „Wir haben grundlos unheimlich nachgegeben, um die SPD zu retten.“

Der Kreisvorsitzende Thaddäus Kunzmann beschwichtigte: „Wir glauben, was uns irgendein SPD-Generalsekretär erzählt.“ Kunzmann war am Aschermittwoch bei der CSU in Passau. „Die haben dort den Koalitionsvertrag als 100 Prozent CSU verkauft, und 5000 Leute glauben es.“ Er messe den Koalitionsvertrag am Familiennachzug und den Registrierungszentren. Außerdem: „Man muss dem Koalitionspartner auch etwas gönnen, so wie es Helmut Kohl getan hat.“

Dieter Fichtner aus Wolfschlugen redete der Aufrüstung das Wort, für ihn fehlen im deutschen Verteidigungsetat 25 bis 30 Milliarden Euro. Tim Hauser sieht im Koalitionsvertrag viel Gutes, doch dies seien „nur die 30 Prozent“. Beim Bundesparteitag will er als Delegierter „so abstimmen, wie die Basis denkt“. Thomas Schulte aus Wolfschlugen hat mit großem Aufwand die Begriffe des Koalitionsvertrages analysiert und ein Ranking erstellt. Er sieht Innovation, Wirtschaft und Familie vorne, das soziale Miteinander erst an fünfter Stelle. „Dem kann man zustimmen.“ Doch die Umsetzung sei schwammig beschrieben. „Wir wissen nicht, wie die SPD nach dem Chaos in der Abstimmung entscheiden wird“, mahnte der CDA-Vorsitzende Peter Schuster. Er könne sich auch mit einer schwarz-gelben Minderheitsregierung mit Jens Spahn als Kanzler und Christian Lindner als Finanzminister anfreunden. „So schlecht sieht es nicht aus“, befand Hans Köhler aus Wendlingen nach intensivem Blick in den Koalitionsvertrag. „Nur den Posten des Finanzministers hätte ich nicht aufgegeben.“ Köhler mahnte aber auch: „Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander, das sage ich auch als Schwarzer.“

Zur verbreiteten Trauer um den Posten des Finanzministers nahm Hennrich Stellung: Bei der Jamaika-Debatte habe die Gefahr bestanden, dass Jürgen Trittin Finanzminister werde. „Da verteidige ich lieber Olaf Scholz, dem ich ein gewisses Vertrauen entgegenbringe.“

Heftig umstrittener Antrag

Zwei Anträge waren zum CDU-Kreisparteitag eingegangen. Die Frauen Union will, dass auf den Vorschlagslisten für die Regionalversammlung künftig auf mindestens jedem dritten Platz eine Frau steht. Der Kreisvorsitzende Thaddäus Kunzmann schlug vor, den Antrag an den Kreisvorstand zu verweisen. Dies fand einhellige Zustimmung.

Für heftige Kontroversen sorgte hingegen der Antrag des Stadtverbands Esslingen, federführend von Holger Kappel vorgetragen. Er will Flüchtlingen ohne gültige Papiere, die aus einem sicheren Drittstaat kommen, die Einreise verweigern. Der Antrag, der von „größten Terrorgefahren“ spricht, provozierte den jungen Maximilian Ilzhöfer zu einer heftigen Gegenrede gegen „vermeintlich einfache Antworten“. Im Jahr 2017 habe es in Deutschland nur einen Terroranschlag gegeben. Im Jahr zuvor 64, davon 50 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Allein zu Österreich habe Deutschland 801 Grenzkilometer mit 80 Übergängen. Die seien personell nicht dauerhaft zu sichern, eine Schließung der Grenzen gefährde die Wirtschaft. Stattdessen seien die Schengen-Außengrenzen zu stärken.

Peter Schuster sprach sich für den Antrag aus, Thomas Schüle hielt ihn für unnötig und für eine gefährliche Vorlage für andere Parteien. Tim Hauser hielt den Antrag ebenfalls für unnötig, aber für ein „gutes Signal“. „Bedenkt, ihr seid doch Christen“, mahnte Georg Adler. „Hätte man die Leute 1989 in Ungarn lassen sollen?“ Kreisvorsitzender Kunzmann schlug vor, den Antrag abzuschwächen und nur auf einer konsequenten Anwendung des Grundgesetzes und des Asylrechts zu bestehen. In dieser Form wurde er mehrheitlich angenommen.

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