OB Frank Nopper jubelt, dass Stuttgart während der EM „ein Ort der Begeisterung“ gewesen sei. An der Weltoffenheit der Stadt zweifeln Straßenmusiker aus Argentinien, die von sechs Beamten umzingelt wurden, als hätten sie etwas Schlimmes getan.
Der Redner und weltweit tätige Verhandlungsexperte Frieder Gamm hat vor etwa acht Jahren in Argentinien Jazz- und Tangomusiker kennengelernt, mit denen er seitdem befreundet ist. Zur EM lud er die fußballbegeisterte Gruppe zu sich nach Stuttgart ein. Das Flugticket kostete pro Person 1500 Euro – mit Straßenmusik sollte das Geld eingespielt werden.
Der Plan, in Stuttgart zu spielen, musste jedoch rasch aufgegeben werden, weil die Argentinier, die sonst auf Konzertbühnen unter dem Namen Desmadre Orkesta auftreten, massiven Ärger mit der städtischen Ordnungsbehörde bekommen haben. „Das hat die Gruppe so rigoros nur in Stuttgart erlebt“, berichtet Frieder Gamm, „sie sind deshalb in die Schweiz oder nach Freiburg gefahren, wo es keinerlei Ärger mit der Polizei gab.“ Seine Beobachtung lautet: „Stuttgart ist, was Straßenmusik betrifft, in den letzten Jahren immer strenger geworden.“
Der Gruppe wurde eine Geldstrafe im Wiederholungsfall angedroht
Als die Argentinier während der EM relativ ruhig mit Posaune, kleiner Trommel und Bass vor dem früheren und nun leer stehenden Geschäft von Maute & Benger musizierten, ist ihr Spiel rasch beendet worden. Gleich sechs Beamte des städtischen Vollzugsdienstes rückten auf Geheiß der Ordnungsbehörde an, umzingelten die Musiker, als seien sie Verbrecher, die gleich fliehen könnten. Die Stadt brummte in der EM-Stimmung – doch die Straßenmusiker spielten wohl zu lange und waren zu laut.
Frieder Gamm, der bei dem Vorfall dabei war und das Foto gemacht hat, berichtet unserer Redaktion: „Die Beamten nahmen die Personalien der Argentinier auf, drohten ihnen, sie müssten Strafe zahlen, würden sie noch mal beim Musizieren erwischt, beim zweiten Mal würden dann auch noch ihre Instrumente eingezogen.“ Die Gruppe, die vor zwei Jahren beim Straßenmusikerfestival in Ludwigsburg den zweiten Platz belegte, sei „sehr eingeschüchtert“ gewesen – einer so fröhlich feiernden Stadt hätte sie nicht zugetraut, dass man hier so rigoros mit sechs Mann gegen die Belebung der City vorgehe. Gamm fühlt sich an den Szene-Treff Palast der Republik erinnert, der ebenfalls großen Ärger mit der Stadt hat.
Was sagt die Stadt zu diesem Vorfall? „Im Gegensatz zu anderen Städten muss in Stuttgart weder vorgespielt werden noch ist ein vorheriger Gang ins Rathaus erforderlich“, erklärt eine Rathaussprecherin. Jeder Straßenmusiker könne in der Stadt spielen, wenn er sich an die „Spielregeln“ halte, die der Gemeinderat beschlossen habe. Demnach darf an bestimmten Stellen in der Innenstadt und nur für eine begrenzte Dauer musiziert werden. Erlaubt ist es, immer nur zu vollen Stunde jeweils 30 Minuten lang zu spielen. Auf „laute und störende Instrumente“ muss verzichtet werden, zwischen 14.30 und 16 Uhr muss Ruhe sein.
„Angesichts der Vielzahl von Nutzungen, die in einer hoch frequentierten Innenstadt miteinander um den begrenzten öffentlichen Raum konkurrieren, ist es notwendig, vermeidbare Beeinträchtigungen für Anwohner, Angrenzer und Passanten zu verhindern“, sagt die Sprecherin. Nicht alle Anlieger freuten sich über eine längere Beschallung vor den Wohn- oder Geschäftsräumen. Dabei sei nicht auf die einzelne Nutzung, „sondern auf die sich teilweise überlappenden oder konkurrierenden Nutzungen und deren summarische Wirkung abzustellen.“
Warum hat eine Musikerin gelächelt?
Aufgrund der Europameisterschaft und der verschärften Sicherheitslage habe man die Streifenstärke erhöht. Beim Aufeinandertreffen mit der Gruppe habe eine Musikerin gelächelt, wie das Bild zeigte. Der Eindruck wie Schwerverbrecher behandelt zu werden, sei nicht entstanden, versichert die Stadtsprecherin. Dazu erklärt Frieder Gamm, der Freund der Gruppe: „Die Musiker kommen aus Argentinien, da lächelt man immer, wenn es einen Konflikt mit der Ordnungsmacht gibt.“
Tatsächlich habe der Vorfall seine argentinischen Freunde getroffen, gerade auch, weil man ihnen gedroht habe, die Instrumenten wegzunehmen. Seitdem fahren sie weit von Stuttgart weg, um auf der Straße zu spielen, sagt Gamm. Was er besonders schlimm findet für eine Stadt, die sich als „Ort der Begeisterung“ feiert und für „Weltoffenheit“ stehen will: „Bei den Straßenmusikern spricht es sich international herum, dass man in Stuttgart strenger gegen sie vorgeht als andernorts – und deshalb meiden immer mehr Stuttgart.“
Das Verhalten der Stadt, kritisiert der Buchhauschef, „sei zum Fremdschämen“
Ein Geschäftsmann der Königstraße hat auf den Vorfall reagiert und eine Mail an das Büro von OB Frank Nopper geschickt. Rainer Bartle, Geschäftsführer des Buchhauses Thalia/Wittwer, schlägt vor: „Die armen Musiker“ hätten eine Demo anmelden sollen. „Demonstranten dürfen in Stuttgart alles“, sagt er, „sicher auch Musik machen – Musiker eben nicht.“ Das Verhalten der Stadt und vor allem der Ordnungsbehörde sei „mal wieder zum Fremdschämen“, findet Bartle, „und der zuständige Bürgermeister lässt das zu“.