Esslingens landschaftsgeschützter Stolz: die terrassierten Weinberge mit ihren Trockenmauern. Ihre Zukunft ist ungewiss. Foto: Roberto Bulgrin

Die terrassierten Hänge sind ein Wahrzeichen der Stadt Esslingen, aber aufwendig zu bewirtschaften und für viele Wengerter kaum noch rentabel. Außerdem setzen Nachwuchsmangel und Klimawandel diesen Rebflächen zu.

Sie sind landschaftsprägend, ein Wahrzeichen der Stadt – und Garant für besonders hochwertigen Weinanbau: die terrassierten Steillagen, die in Esslingen die Hänge hochklettern und die Rebflächen wie auf dem Präsentierteller der Sonne entgegenstrecken. Aber eines sind sie immer weniger: wirtschaftlich. „Wir müssen fünf Mal so viel Arbeitsaufwand reinstecken wie in Flächen, die wir mit dem Traktor bewirtschaften können“, sagt der Esslinger Wengerter Maximilian Kusterer, Juniorchef des gleichnamigen Weinguts. Seine Kollegen Adolf Bayer, ebenfalls Inhaber eines Weinguts, und Achim Jahn, Vorsitzender der Esslinger Weingärtnergenossenschaft Teamwerk, widersprechen nicht.

In Summe stellen die Aussagen der Weinbau-Profis ein großes Fragezeichen vor die Zukunft jener 27 Hektar, die von den knapp 90 Hektar Esslinger Rebfläche als Steillage gelten. Denn nicht nur die Wirtschaftlichkeit, auch der Nachwuchsmangel in der Branche und der Klimawandel setzen den traditionellen 1a-Lagen zu.

„Für einen wirtschaftlichen Betrieb muss die Flasche Wein schon zwölf bis 20 Euro kosten dürfen“; Achim Jahn, Vorsitzender der Genossenschaft Teamwerk Esslingen. Foto: Roberto/ Bulgrin

Ein Kernproblem sind die begrenzten Einsatzmöglichkeiten von Maschinen. „In der Steillage ist fast alles Handarbeit“, sagt Achim Jahn. „Da merkt man jede Mindestlohnerhöhung sofort“, ergänzt Maximilian Kusterer. Eine gewisse Erleichterung bringt zwar neuerdings der Einsatz von Drohnen beim Spritzen von Fungiziden, denn das ist „sonst eine wahre Knochenarbeit“, sagt. Jahn. Aber allein richtet es das Fluggerät laut Kusterer nicht: „Ein paar Mal muss man schon noch selbst mit dem Schlauch rein.“ Außerdem, so die Wengerter, schlägt der Kauf von Spezialmaschinen für die Steillage teuer zu Buche.

Dank Staffelsteiger-Verein überleben die Trockenmauern

Zwar gebe es Landeszuschüsse, sagt Kusterer. Und ohne den Einsatz des Vereins Staffelsteiger, der von der Stadt unterstützt wird und Mittel zum Erhalt der Trockenmauern bereitstellt, wären die Terrassenanlagen vielleicht schon verfallen. Dennoch müsse „für einen wirtschaftlichen Betrieb die Flasche Wein schon zwölf bis 20 Euro kosten dürfen“, rechnet Jahn vor – „und auch das rentiert sich nur, wenn eine gewisse Menge produziert wird“. An der Qualität dürfte der Preis nicht scheitern, zumal in Zeiten eines insgesamt stark zurückgehenden Alkoholkonsums beim Weinabsatz die strikte Devise Klasse statt Masse gilt. Und für Klasse, die dann auch ihren Preis hat, bürgen in den Steillagen die Wärmeabstrahlung der Trockenmauern und die exponierte Lage selbst.

Klimawandel: neue Rebsorten und das Problem mit der Trockenheit

In jüngeren Jahren hilft noch der Klimawandel nach – allerdings auf zwiespältige Weise. Im einstigen Trollinger-Paradies, versichern die Wengerter, gedeihen mittlerweile zwar auch die gefragten südeuropäischen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Syrah oder Merlot prächtig. Andererseits „schädigt die zunehmende Trockenheit die Steillagen massiv“, sagt Kusterer. „Die dünne Erdschicht auf dem Felsband reicht als Wasserspeicher höchstens für sechs Wochen.“

„Mein Sohn und Nachfolger sagt: Steillage macht er nicht. Das hat keine Perspektive“: Adolf Bayer, Chef des Esslinger Weinguts Bayer. Foto: Roberto/ Bulgrin

Eine künstliche Bewässerung, so Kusterer, sei aufwendig, also unwirtschaftlich, und könne nicht mehr auf das in heißen Sommern knapper werdende Trinkwasser bauen. Doch nicht nur die Trockenheit, auch das klimawandelbedingte Gegenteil schadet den steilen Lagen: „Der zunehmende Starkregen spült die Humusschicht weg und die Mauern gleich mit“, sagt Adolf Bayer. Und spricht gleich noch ein anderes Thema an: den Generationenwechsel – wenn es überhaupt einen gibt. Bei dem 64-Jährigen gibt es einen: Sein 19-jähriger Sohn Tobias steht in den Startlöchern. Aber: „Steillage macht er nicht, hat er gesagt. Das habe keine Perspektive“, erklärt der Vater – und hat Verständnis, bei allem Bedauern für die möglicherweise verschwindende Kulturlandschaft. Auch Kusterer – „ich bin selbst die nächste Generation“, sagt der 34-jährige Nachfolger seines Vaters Hans – befürchtet, dass „die Zeit der Steillage zu Ende geht“.

„Die zunehmende Trockenheit schädigt die Steillagen massiv“: Maximilian Kusterer, Juniorchef des Esslinger Weinguts Kusterer. Foto: Roberto/ Bulgrin

Von den 45 Mitgliedsbetrieben des Teamwerks wird zwar mit 23 Steillagenhektar das Gros dieser Esslinger Rebflächen bewirtschaftet – aber Jahn lässt ein deutliches „Noch“ ahnen: „Die Mehrzahl unserer Mitglieder sind Nebenerwerbsbetriebe, und da wird es in den nächsten Jahren eher weniger werden, weil es oft keine Nachfolge gibt.“ Etlichen Esslinger Steillagen könnte also im wörtlichen wie übertragenen Sinne das Schicksal einer Rebfläche oberhalb des Weintors bei der Frauenkirche blühen: überwuchert zu werden von Brombeer- und anderen Ranken.

Hobby-Wengerter als Rettung? „Viele merken, dass Schaffa a G’schäft isch“

Wäre eine Bewirtschaftung der Flächen durch Hobby-Wengerter oder ehrenamtliche Enthusiasten, die keinen Gewinn erzielen müssen, die Rettung der Kulturlandschaft? Bayer kennt erfolgreiche Beispiele solcher Initiativen im Kreis Ludwigsburg. Auch Jahn kann sich das vorstellen, freilich mit einiger Restskepsis: „Manchen Quereinsteigern fehlt es an Know-how – und viele merken, dass Schaffa a G’schäft isch.“

Weinbau in Esslingen

Quelle des Reichtums
Die damalige Freie Reichsstadt Esslingen hatte ihren Reichtum ab dem Hochmittelalter vor allem dem Weinbau zu verdanken. Nicht weniger als 1200 Hektar Rebfläche sind für das Mittelalter bezeugt. Heute werden noch knapp 90 Hektar bewirtschaftet. Ein beträchtlicher Teil des Weins wurde exportiert. Die verschiedenen Pfleghöfe in der Stadt dienten diesem Zweck: Sie verwalteten Anbauflächen im Besitz auswärtiger Klöster und lagerten vor dem Transport die landwirtschaftlichen Produkte, überwiegend Wein.

Heimspiel
Heute wird nicht nur Esslinger, sondern überhaupt Württemberger Wein fast nur in Württemberg verkauft und getrunken. In den Export im modernen Sinn – ins Ausland – geht weniger als ein Prozent. Vorurteilen zum Trotz ist dies weniger ein Qualitäts- als ein Preisproblem. Auch Esslinger Weine genießen inzwischen einen guten Ruf.